Im Labyrinth des Schweigens

Blu-ray Review

Im Labyrinth des Schweigens Blu-ray Review Cover
Universal Pictures, ab 21.05.2015

OT: –

 


„Wir hatten doch keine Wahl“

Filmische Geschichtsstunde ohne Muff, das ist der großartige deutsche Film Im Labyrinth des Schweigens.

Inhalt

Frankfurt 1958: Staatsanwalt Johann Radmann ist jung und darf im Moment nur Verkehrsunfälle vertreten. Das ist zwar frustrierend, aber jeder fängt halt mal klein an. Und da er als aufrechter junger Kerl lieber mal einer angeklagten Verkehrssünderin 20DM leiht, dafür aber nicht vom im Gesetz verankerten Straßmaß abweicht, horcht er auf, als er mitbekommt, wie ein Passant  mit einem Redakteur der Frankfurter Rundschau im Gerichtsgebäude erscheint und davon erzählt, dass der unbescholtene Bürger ein Auschwitz-Überlebender ist und in einem Lehrer einen ehemaligen KZ-Aufseher erkannt zu haben glaubt. Radmann übernimmt die Ermittlungen in dem Fall, wenngleich er von seinen Kollegen nur Spott erntet. Doch gemeinsam mit Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und dem Journalisten Thomas Gnielka bringt er nach und nach Licht ins Dunkel, erfährt die ganze unbegreifbare Geschichte Auschwitz‘, verdichtet Fakten und Zeugenberichte zu einem Ganzen und ermittelt die Täter – der Auschwitzprozess ist von nun an in vollem Gange. Allerdings konzentriert sich Radmann zu sehr auf eine bestimmte Person und droht das große Ganze aus den Augen zu verlieren …

Das Kinodebüt von Giulio Ricciarelli gehört zu den besten Dramen, die während der letzten Jahre in Deutschland produziert wurden – und das gleich aus mehreren Gründen. Während vordergründig Ausstattung, Darsteller und die an sich schon packende Geschichte überzeugen, ist das eigentlich fesselnde Element von Im Labyrinth des Schweigens die Tatsache, dass der Film in eine Art Schwarzes Loch hineinarbeitet, das filmisch bisher absolut unbesetzt war. Während es an Werken nicht mangelt, die während oder gegen Ende des Zweiten Weltkriegs spielen, gibt es nur wenige wirklich gute Filme, die eben jene Zeit beschreiben, in der das historische Bewusstsein der Deutschen überhaupt erst geschärft wurde. In einer frühen und denkwürdigen Szene fragt der Reporter Gnielka im Gerichtsgebäude nicht nur Radmann, sondern auch jüngere Angestellte, ob sie schon einmal von Ausschwitz gehört hätten oder, falls ja, wüssten, was dort passiert ist. Was man heutzutage gar nicht mehr auf dem Schirm hat, war während der ersten zwei Jahrzehnte der Nachkriegszeit noch Alltag: Die Kriegsvergangenheit wurde konsequent verschwiegen, kleingeredet und übergangen: „Dieses Land will Zuckerguss, es will die Wahrheit nicht wissen“ – ein ebenso brillant ins Drehbuch geschriebener wie bemerkenswert wahrer Satz, den der ehemalige KZ-Insasse Simon Kirsch gegenüber Radmann in einem Moment fallen lässt. Kein Wunder also, dass neben den Nürnberger Prozessen, die praktisch jedem geläufig sind, die Auschwitzprozesse nur Wenigen ein Begriff sind. Dies dem interessierten Filmfan nahezubringen ist beinahe noch ein größerer Verdienst als die Geschichte von Im Labyrinth des Schweigens selbst. Diese beruht in der Tat auf wahren Begebenheiten: Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und Journalist Thomas Gnielka sind reale Figuren, die maßgeblich dazu beitrugen, dass die Geschichte aufgerollt wurde und die Verantwortlichen (Mit)Täter vor Gericht kamen. Zwar ist die Figur des jungen Staatsanwalts fiktiv, doch das vor allem, um die entsprechende Spannung zu erzeugen und eine emotionale Bindung zu einer Hauptfigur herzustellen. Auch reibt sich an Radmann die versammelte Ignoranz und das 13 Jahre nach Kriegsende immer noch vorhandene Altnazitum. Von seinen Kollegen wird er spöttisch behandelt, von den älteren Herrschaften mit Verachtung und Gewaltandrohungen bedacht und von den Behörden erfährt er Ignoranz. Selbst in der US-Botschaft bekommt er kaum mehr als ein „Ihr wart doch eh alle Nazis!“ oder ein „Lass es ruhen, die Russen sind die neuen Feinde!“ entgegengeschmettert.

Man erfährt beinahe physisch, was für eine Sisyphusarbeit es gewesen sein muss, gegen alle behördlichen, privaten, beruflichen und öffentlichen Widerstände in einem Land, das einfach nur vergessen wollte, gegen diese sich manifestierende Vergessenheit anzuarbeiten. Sinnbildlich dafür steht der Moment, in dem Radmann vom US-Botschaftsmitarbeiter ins Archiv geführt wird, in dem 600.000 Akten über Nazis und davon alleine 8000 über jene Parteimitglieder, die in Auschwitz gedient haben, gesammelt stehen. Förmlich erschlagen wird man auch als Zuschauer von dieser Masse und kann sich gut vorstellen, was für eine Puzzlelei es gewesen sein muss, all diese Informationen zu sichten, Bilder zu begutachten, Verantwortliche zu erkennen und entsprechende Verbindungen zu noch Lebenden herzustellen. Neben allen dramatischen Elementen gibt es in Im Labyrinth des Schweigens aber durchaus Auflockerungen humorvoller Natur. So zum Beispiel in dem Moment, wenn für Radmann eine ganze Kofferraumladung Telefonbücher ankommt, in denen er die Adressen der Täter ausfindig machen will, da die Behörden sich gegen die Herausgabe sperren.
Wie eingangs erwähnt, tut die hervorragende und extrem authentische Ausstattung ihr Übriges zum Gelingen dazu. Egal, ob das die Anzüge und Kleider, die Fahrzeuge, die stetige Quarzerei oder die Inneneinrichtungen der Büros sind – die 60er leben förmlich auf. Inmitten dieser realistischen Atmosphäre sind es dann natürlich die Darsteller, die ihre Figuren zum Leben erwecken. Allen voran ein beängstigend guter Alexander Fehling, der seinen hervorragenden Leistungen in Filmen wie Buddenbrocks oder Wir wollten aufs Meer eine weitere Glanzrolle hinzufügt. Besonders seine Verwandlung vom unbedarften Verkehrsrechtler zum bald besessenen Strafrechtler mit Mission, der seine körperliche Gesundheit hinten anstellt und irgendwann nichts Positives mehr erkennen kann, gerät beeindruckend. Allerdings begeht Im Labyrinth des Schweigens an dieser Stelle seinen einzigen „Fehler“, denn er überdramatisiert und droht sich in der selbstmitleidigen Dämonisierung, die Radmann praktiziert, zu verlieren. Das ist sicher den üblichen Konventionen, dem finalen Spannungsbogen eines Kinofilms geschuldet, verschleppt aber das Tempo im letzten Viertel etwas und entfernt sich spürbar von den vorherigen Ermittlungsarbeiten. Auch die Liebesgeschichte zwischen ihm und der Schneiderin Marlene wirkt aufgesetzt und wie ein Zugeständnis ans harmonieverwöhnte Publikum – zur Geschichte selbst trägt dieser (teils verkitschte) Nebenplot jedenfalls nichts bei. Gegen diese Mankos kann man jedoch weitere Darsteller-Glanzleistungen zu Felde führen, denn ebenso herausragend wie Fehling arbeitet Gert Voss als Generalstaatsanwalt Bauer. Dessen düster-deprimiertes Spiel macht die Leiden der Opfer erlebbar. Auch André Szymanski als Gnielka agiert nuanciert und verkörpert seine ambivalente Rolle ebenso glaubhaft wie emotional.

Bild- und Tonqualität

Das überaus klare Bild der Blu-ray von Im Labyrinth des Schweigens ist extrem laufruhig und weist nur in extremen Randbereichen mal eine Unschärfe auf. Schwarzwerte sind knackig, die Anzüge der Herrschaften stechen plastisch und griffig hervor. Leider ändert sich dies immer dann, wenn die Ausleuchtung schwächer wird. Während der dunkleren Szenen geht zunächst die Detailzeichnung in Schattenbereichen verloren. Wird es noch düsterer, gesellen sich Unruhen dazu und der Kontrast schwächelt.
Beim Ton gefallen die von Beginn an offenen Musikuntermalungen sowie das natürliche Flair der Umgebungsgeräusche. In Innenräumen klingt’s authentisch, allerdings sind Stimmen nicht dauerhaft synchron, laufen schon mal etwas aus der Lippenbewegung heraus. Auch dürften die Akteure noch ein wenig besser verständlich vom Center kommen. Ab und an liegt ein wenig zu viel Hall auf den Dialogen und sie sind im mittleren Frequenzbereich etwas dumpf. Ganz vereinzelt wird es sogar mal dynamisch, so zum Beispiel während Radmanns Alptraum vom KZ-Arzt Mengele (92’02).

Bonusmaterial

Schade, dass das Bonusmaterial von Im Labyrinth des Schweigens keine zusätzlichen Infos über die wahren Hintergründe liefert und sich mit dem Originaltrailer und Programmtipps abfinden muss.

Fazit

Ohne simpel auf die Betroffenheitsschiene abzugleiten oder stupide auf die Tränendrüse zu drücken, liefert Im Labyrinth des Schweigens eine perfekte Mischung aus spannungsgeladenem Investigations-Gerichtsthriller und historischem Kriegsdrama. Blendend besetzt, glänzend gespielt, sorgsam inszeniert und von hoher Authentizität ist Ricciarellis Spielfilm ein Glücksfall des deutschen Kinos.

Wer mehr über die Thematik der Auschwitzprozesse erfahren möchte, dem sei die Homepage des Fritz Bauer Instituts empfohlen. Das Fritz Bauer Institut ist eine unabhängige Forschungs-, Dokumentations- und Bildungseinrichtung zur Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen – insbesondere des Holocaust – und deren Wirkung bis in die Gegenwart. Auf der Website www.auschwitz-prozess.de stellt das Institut in Kooperation mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, dem  Hessischen Hauptstaatsarchiv und dem Deutschen Rundfunkarchiv die Abschriften des 430-stündigen Mitschnitts des 1. Auschwitz-Prozesses sowie 100 Stunden Tonmitschnitte ausgewählter Vernehmungen zur Verfügung.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Bonusmaterial: 5%
Film: 90%

Anbieter: Universal Pictures
Land/Jahr: Deutschland 2014
Regie: Giulio Ricciarelli
Darsteller: Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht, Johannes Krisch, Hansi Jochmann, Johann von Bülow, Lukas Miko, Gert Voss
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de // Hörfilmfassung dts 2.0: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 123
Codec: AVC
FSK: 12

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