Blu-ray Review
OT: The Jesus Rolls
Der schmale Grat zwischen Gut und Böse
Fortsetzung? Spin-off? Weiterführung des Dudeismus? Was ist John Turturros Film mit Jesus Quintana als Hauptfigur?
Inhalt
Jesus Quintana hat seine Strafe abgesessen. Erneut verbrachte er einige Zeit im Knast. Wegen Bagatellen, so findet er. Immerhin benahm er sich dort gut und führte das Bowling-Team des Gefängnisses zu einem wichtigen Sieg. Nun ist er frei, der Jesus. Abgeholt wird er von Petey, seinem besten Kumpel. Und kaum auf freiem Fuß, muss er seiner Mutter erst einmal sagen, dass sie es in ihrem Alter mit der Prostitution doch besser mal sein lassen sollte. Weil Jesus aber nicht Jesus wäre, wenn er nicht ein bisschen auf der krummen Seite des Gesetzes stehen würde, klaut er mit Petey den alten Muscle Car des lokalen Friseurs. Kein Wunder, dass der das nicht witzig findet und die zwei Diebe per Schießeisen vertreibt. Petey muss fortan damit leben, dass eine Kugel seinen Hoden nur knapp verfehlte, während Jesus dem Haardesigner kurzerhand auch noch die Freundin, seine gute alte Bekannte Marie, ausspannt. Das Trio bewegt sich fortan mit unterschiedlichen fahrbaren Untersätzen durch die abseits gelegenen Gegenden New Yorks. Immer dabei: Die Gipsy Kings und ein bisschen Bowling …
Man hört sie bereits rufen, die Unken und Zweifler; die Fans des Coen-Kulthits The Big Lebowski und die Traditionalisten des Kinos, die hier Frevel vermuten.
Eine Fortsetzung zum großen Lebowski? Im Ernst? Und das auch noch ohne eine der Hauptfiguren? Ohne den Dude, ohne Walter Sobchak, den Katholiken polnischer Abstammung mit Vietnam-Vergangenheit, der kürzlich zum Judentum konvertierte? Ohne die Nihilisten?
Nee, also wirklich. Wer kommt auf solch eine Idee?
John Turturro kommt. Und nicht nur darauf. Offenbar war es dem Coen-Kollaborateur schon lange ein Herzenswunsch, die Geschichte noch mal bei den Eiern zu packen. Da die Coens zu einem Sequel allerdings stehts mit “auf gar keinen Fall” antworteten, schien der Plan schon begraben, bevor auch nur ein Zipfel davon das Licht der Welt erblickte. Turturro sah seine Idee aber auch nie als Sequel, sondern eher als Spin-off zu seiner Figur des Jesus. Und so kam es, dass die Coen-Brüder zu ihrem Lieblingsdarsteller sagten: “Du musst es tun, weil wir es nicht tun werden”.
Und Turturro tat. Kam er im Original 1998 nur in zwei Szenen vor, sollte Jesus Rolls sich komplett um den Bowling-Champ drehen, der so leidenschaftlich die Kugel vor dem Wurf ableckt und bei einem Strike zum Latino-Tänzer mutiert.
“Niemand verarscht Jesus” – Turturro brauchte 1998 nicht viel Text. Er brauchte nicht viel Screentime, um seiner Figur den großen Auftritt zu verschaffen. Extrovertiertes Outfit gepaart mit extrovertiertem Auftreten und ein paar markigen Sprüchen – fertig war ein weiterer Kultcharakter aus dem Coen-Meisterwerk.
Es sollte doch ein leichtes sein, um diesen Charakter eine ganz Story zu spinnen, oder? Der Drehbuchautor in Turturro überlegte, wie er das Ganze anlegen könne und stieß dabei schnell auf eine französische (Sex)Komödie namens Les Valseuses. Hierzulande unter Die Ausgebufften bekannt, sah man dort einem jungen Gerard Depardieu zu, wie er mit seinem Kumpel ein lockeres Leben gegen jede Konvention führte. Als halbstarke Vagabunden genießen sie Luft, Liebe und den Sex – egal, mit wem und mit wie vielen. Und das klingt doch gar nicht mal so weit hergeholt, wenn man bedenkt, wie sexuell aufgeladen die Figur des Jesus in Big Lebowski ist. Stellt sich natürlich die Frage, was Turturros Film mit dem pikanten Detail anstellt, nachdem Jesus im “Mutterfilm” von Walter als Päderast bezeichnet worden war – wobei: Wenn man genau hinschaut, bricht die Kamera ab, bevor Jesus nach dem Klingeln an den Türen der Nachbarn etwas sagen kann. Ein “Versäumnis” der Coens, das Turturro doch blendend mit einem überraschenden Inhalt füllen könnte, oder?
Nun, es gibt zumindest eine ziemlich einleuchtende Erklärung für den Eintrag ins Kriminellen-Register als Päderast – und sie stellt klar: Jesus wäre niemals ein Triebtäter. Die Szene mit dem Türklingeln lässt Turturro leider ungenutzt.
Den Lebowski-Fan wird natürlich erst einmal stören, dass hier praktisch kaum gebowlt wird. Das Lebenselixier des Dude, in dem auch Jesus so grandios erfolgreich scheint, dient in Jesus Rolls eher als kurzer Zeitvertreib – und das noch dazu in einer seltsam abrupten Szene.
Vielmehr schreibt sich Turturro (nach der genannten französischen Vorlage) eine Art Road Trip auf den eigenen Leib, der von seltsamen Figuren gesäumt wird. Das fängt an bei Jesus’ alter Freundin Marie, die als Friseurin mit Schnatterschnabel die Schere schwingt oder sich nackelig zwischen ihn und Petey setzt. Und es geht weiter bei Bobby Cannavale, der mit angeschossenem Bein durch den Film humpelt, während er seine Aggressionen an einem alten Muscle Car auslässt. Aufhören tut’s bei einer herrlich griesgrämigen Susan Sarandon, die für eine kurze Zeit zur Begleitung der zwei Outlaws wird und die Wichtigkeit der weiblichen Periode hervorhebt.
Man darf nicht den Fehler machen und Jesus Rolls mit den Maßstäben eines Big Lebowski messen. Daran kann Turturros Film nur scheitern. Man muss ihn für sich alleinstehend nehmen. Vielleicht maximal als Erweiterung des Lebowski-Kosmos, der gerne auch mal ein Zitat des großen Originals einstreut (“bis es kligggt”). Und als solche (Erweiterung) hat der Film durchaus ein paar Momente. Wenn Jesus und Petey auf geklauten Drahteseln deren Besitzern davon zu radeln versuchen, sieht das nicht nur herrlich unbeholfen aus, sondern lässt für einen Moment durchaus die absurde Komik der großen Vorlage aufblitzen. Und wenn die beiden “Deckhengste” in ihren Liebeskünsten von Marie gehörig in die Schranken verwiesen werden, demontiert das die herrlich machohafte Jesus-Szene aus Big Lebowski nachträglich mit einem Augenzwinkern. Warum allerdings Audrey Tautou (Die fabelhafte Welt der Amelie) in die Rolle der Marie geschlüpft ist und (meist) hysterisch aufspielt als sei sie auf irgendeiner Droge hängengeblieben, wird wohl ungeklärt bleiben. Und in Summe sind ein paar gute Szenen eben noch kein wirklich guter Film – schade.
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Bild- und Tonqualität
Digital gefilmt und super glatt und smooth präsentiert sich das Bild von Jesus Rolls von Beginn an. Schon Christopher Walkens Antlitz wird super gut aufgelöst abgebildet und die Schrift auf den Schildern am Ausgang des Knastgebäudes ist vollständig lesbar. Auch die Farben sind kräftig. Allerdings überkontrastieren sie in dunklen Szenen ein wenig. Apropos dunkel: In den zahlreichen Nachtszenen zu Beginn ist die Durchzeichnung das größte Problem der Blu-ray. Immer wieder hat man Mühe, hier Details in Schattenbereichen zu erkennen.
Wenn man an Jesus in Big Lebowski denkt, denkt man auch an die Musik, die seinerzeit bei seinem Auftritt genutzt wurde: Die schmissige Gipsy-Kings-Coverversion von Hotel California. Und natürlich geht auch Jesus Rolls in dieser Tradition los. Erneut sind es die Gipsy Kings, die ihr Un Amor zum Besten geben. Der Film nutzt es, um ein bisschen mit dem Publikum zu spielen, indem zwei der Bandmitglieder in einer der Zellen sitzen und zum Publikum gerichtet den Song spielen. Ebenso wie die Kommentare der anderen Zelleninsassen gelangen die fliegenden Akustikgitarren wunderbar aufgelöst und räumlich ins Heimkino. Was selbst beim nur bedingt dieser Art von Musik zugetanem Verfasser dieser Zeilen den Wunsch nach einer gut abgemischten Live-Blu-ray der Band hervorruft. Der Sound des V8 nach fünf Minuten sorgt dann für sattes Brabbeln, während die Dialoge hier und da etwas klarer klingen dürften. Schön knackig und dynamisch klingen die wenigen, einzeln abgefeuerten Schüsse aus kleinkalibrigen Waffen.
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Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Jesus Rolls gibt es lediglich den Trailer zum Film.
Fazit
Jesus Rolls hat im Prinzip kein Ziel. Und er hat John Turturro als Hauptdarsteller. Damit erschöpfen sich aber bereits die Gemeinsamkeiten und Verwandtschaften zwischen ihm und The Big Lebowski. Das Spin-off erreicht dabei zu keiner Zeit das kultische Niveau des Coen-Meisterwerks. Wer das erwartet, kann nur enttäuscht werden. Wer sich aber 85 Minuten mit ein paar skurrilen Figuren auf einen irgendwie seltsamen Roadtrip wagen möchte, der könnte gut unterhalten werden – Lust auf das große Original macht’s allemal. Und einen netten Schluss-Twist gibt’s auch.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 80%
Bonusmaterial: 5%
Film: 55%
Anbieter: EuroVideo Medien
Land/Jahr: USA 2019
Regie: John Turturro
Darsteller: John Turturro, Bobby Cannavale, Audrey Tautou, Christopher Walken, Susan Sarandon, Tim Blake Nelson
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 86
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter EuroVideo)
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Trailer zu Jesus Rolls
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild”verbesserern” zu verfälschen.
Veröffentlicht an Ostern – wie subversiv 🙂
😉