Johnny Mnemonic – Vernetzt

Blu-ray Review

Johnny Mnemonic Blu-ray Review Cover
Turbine Medien, 23.03.2018

OT: Johnny Mnemonic

 


Cyberpunk-Dystopie

90er Jahre Kult-Sci-Fi nun auch auf regulärer Blu-ray.

Inhalt

Das Jahr 2021: Megakonzerne regieren die Welt. In dieser arbeitet Johnny als mnemonischer Kurier. Er transportiert Daten über einen Chip in seinem Hirn. Dies hat über die Zeit allerdings dafür gesorgt, dass Kapazitäten seines Hirns für Speicherplatz freigemacht werden mussten und entsprechende Erinnerungen erloschen. Um sein Gedächtnis wieder zu erlangen, will Johnny aussteigen. Doch da ist noch dieser eine Auftrag. Dumm, dass dessen Datenmenge die sonst übliche Größe von 120GB fast um das dreifache übertrifft und Johnny Hirn plötzlich unter extremen Flashbacks an seine Kindheit leidet. Damit ihm physisch nicht der Schädel platzt, muss er die Daten schnellstmöglich abliefern und aus seinem Speicher entladen. Da er aber bald rausfindet, dass diese Daten hochbrisant sind, will er sie nicht abliefern. Denn die Empfänger wissen ebenfalls um die Tatsache, dass man mit den Informationen ein Heilmittel für eine Krankheit entwickeln kann, unter der die Hälfte der Bevölkerung leidet. Da aber die Medikamente zur Unterdrückung der Symptome lukrativer sind, wollen sie nicht, dass die Daten an die Öffentlichkeit gelangen und machen Jagd auf Johnny. Der sieht seine einzige Chance in einer Kollaboration mit den LoTeks – Untergrund-Hackern, die gegen die mächtigen Unternehme kämpfen …

Gut 800 Dollar bekam der heute berühmte Sci-Fi-Autor William Gibson für seine zweite Kurzgeschichte „Johnny Mnemonic“, die er 1981 veröffentlichte. Eine stolze Summe für den damals 33-jährigen Schriftsteller. Dass er später mit seiner mit Neuromancer sämtliche Sci-Fi-Literaturpreise einheimsen konnte, wusste er da noch nicht – und auch nicht, dass er mit den Worten wie „Cyberspace“, „Cyberpunk“ und vor allem „Matrix“ Begriffe prägte, die heute allgemeines Kulturgut sind und natürlich auch die Trilogie der Wachowski-Geschwister prägten. Auf dem Regiestuhl nahm bei Johny Mnemonic ein weiterer kreativer Kopf Platz: Robert Longo. Der Avantgarde-Künstler, der zuvor mit Kurzfilmen und Videos (unter anderem R.E.M.s The One I Love) auf sich aufmerksam machte, nutzte die Cyber-Story, um vor allem eine visuell für die damalige Zeit völlig bizarre Welt zu erschaffen. Klar: Aus heutiger Sicht sehen die Tricks unglaublich billig aus. Aber 23 Jahre sind eben auch eine lange Zeit und die Technik ist fortgeschritten(er). Witzigerweise ist allerdings auch die Story von Gibson nicht (oder noch nicht) eingetreten. Wir haben noch keine Möglichkeit, das Gehirn mit Bits und Bytes zu füttern – und wenn wir sie hätten, wären die 320GB, die Johnnys Hirn fast zum Platzen bringen, heute wohl ein schlechter Witz. Aber es geht natürlich um viel mehr. Es geht um Wirtschafts- und Gesellschaftskriti. Um eine Welt, in der große Konzerne das Leben dominieren und die Menschen manipulieren.
Und das – ohne großer Verschwörungstheoretiker zu sein – ist kein sonderlich unrealistisches Szenario. Dass effektive Medikamente zur Heilung von invasiven Krankheiten von Pharmakonzernen nicht mit dem großen Budget versorgt werden, dass sie verdienen würden, weil die Medikamente zur Bekämpfung von Symptomen etablierter und geschäftsträchtiger sind, ist eine der weit verbreitetsten Vorwürfe an Großkonzerne überhaupt. Und auch hier darf man wohl einen wahren Kern vermuten.

Wie Filmwissenschaftler Dr. Rolf Giesen im zweiten (exklusiven) Audiokommentar zudem schildert, geht es auch um die Meta-Ebene. Denn Longos Film ist der erste Sci-Fi-Genre-Beitrag, der das Körperliche auflöst und das Bewusstsein in eine virtuelle Welt verlagert – na, Matrix-Fans, merkt ihr was?
Filmisch gesehen ist Johnny Mnemonic seinerzeit nicht gerade wohlwollend aufgenommen worden, was bei den Zuschauern vielleicht an der Unkenntnis der Vorlage lag und beim Kritiker wohl eher daran, dass das seinerzeit produzierende Studio Columbia Tristar gleich 30 Mio. Dollar locker machte und Keanu Reeves als Hauptdarsteller eingesetzt haben wollte. Ursprünglich hatte Regisseur Longo vorgesehen, den Film gemeinsam mit (Drehbuch)Autor Gibson für 1-2 Mio. Dollar als Neo-Noir-Thriller umzusetzen. Das wäre dem Studio (natürlich) zu sperrig, weshalb man mehr Geld investierte und den Blick auf das Mainstream-Publikum richtete. Jenes bekommt zwar mit einem kybernetischen Delphin als Anführer der Lo-Teks immer noch etwas ziemlich bizarres (aber korrekt aus der Vorlage entnommenes) Stück vorgesetzt, doch Action und Optik wurden dann doch auf Zeitgemäß getrimmt. Übrigens auch die Story an sich – zumindest die für den internationalen Markt. Denn während die japanische Langfassung wesentlich mehr Screentime für Takeshi Kitano bereithält und ihm einen persönlichen Hintergrund gibt, fehlen die meisten dieser Szenen in der regulären Version. Das ist auch deshalb schade, weil Kitano schauspielerisch seine US-Kollegen an die Wand spielt. Denn während Reeves in Johnny Mnemonic nicht gerade glücklich agiert (Nominierung für die Goldene Himbeere) und Dina Meyer sich in ihrem Langfilm-Debüt gar maßlos überschätzt (sieht sie ihre Rolle doch als Mix aus Sigourney Weaver in Aliens und Linda Hamilton in Terminator), gibt Kitano den stoischen und überzeugenden Kontrapunkt des Antagonisten.
Trotz all der kleinen und mittleren Probleme des Films – heute genießt er Kultstatus. Und das eben weil es viele berühmte(re) und erfolgreiche(re) Filme ohne ihn nicht gegeben hätte.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Johnny Mnemonic wurde für die Blu-ray remastered, läuft erstaunlich ruhig und für einen 23 Jahre alten Film sogar ansprechend scharf. Im Vergleich zur SD-Version sind das schon Welten. Das lässt sich im direkten Vergleich gut sehen, wenn man die Japanfassung anschaut, die vor Artefakten wimmelt, in kurzen Bewegungen schwimmt als bestünden Gesichter aus fluider Masse und unscharf bis zum Abwinken ist.
Ganz anders die Blu-ray, für die man zwar nicht jeden Schmutzpartikel getilgt hat, die aber erstaunlich defektfrei ist und einen wesentlich besseren Kontrast hat als die bisherigen SD-Veröffentlichungen. Dabei hat man glücklicherweise keine brutalen Rauschfilter eingesetzt, sondern das Filmkorn des Original-Negativs beibehalten. Dadurch sind viele Einstellungen zwar etwas körnig, aber eben auch knackig und scharf – und das ganz ohne Überschärfungen oder Halos an Kanten – viel besser kann man ein analoges Master aus den 90ern vermutlich nicht umsetzen.

Johnny Mnemonic Blu-ray Review Bildvergleich BD SD 3
Warum eine Blu-ray eines über 20 Jahre alten Films ihren Sinn macht, lässt sich anhand der Screenshots nachvollziehen. Links im Bild die SD-Version der japanischen Langfassung. Kontraste sind flau, Farben matt und die Schärfe findet man nicht mal mit der Lupe
Johnny Mnemonic Blu-ray Review Bildvergleich BD SD 4
Die remasterte Blu-ray zeigt lebhafte Farben, deutlich bessere Kontraste und – Überraschung: Man kann sogar was erkennen

 

Johnny Mnemonic Blu-ray Review Bildvergleich BD SD 1
Sinus, Cosinus und Tangens – mit viel Fantasie und hinter all den Treppenstufen und Artefakten
Johnny Mnemonic Blu-ray Review Bildvergleich BD SD 2
Sinus, Cosinus und Tangens –  über die Full-HD-Fassung sichtbar und vermutlich auch funktionsfähig. Sehr zum Leidwesen junger Schüler

Turbine Medien brachte Johnny Mnemonic erstmals im Februar 2017 auf Blu-ray raus. Damals in einem schicken Mediabook mit zwei Disks, die unter anderem sogar noch die Nostalgiefassung in SD enthielten. Außerdem gönnte man dem Film in der limitierten Fassung neben der Dolby-Atmos- auch noch eine Auro-3D-Version. Letztere fehlt nun in der regulären Blu-ray, die etwas über ein Jahr nach dem Mediabook erscheint. Geblieben ist damit aber die Dolby-Atmos-Fassung in Deutsch und Englisch. Deren Mastering beruht auf der Arbeit von Gareth Llewellyn, der mit Turbine auch schon bei der UHD BD von Texas Chainsaw Massacre zusammenarbeitete sowie an den 3D-Mixen von Everest oder John Wick beteiligt war).
Grundsätzlich ist der Surroundmix ganz vorzüglich geraten. Sowohl die Einbettung der Musik als auch die klaren Stimmen und die generell rauschfreie Wiedergabe aller Sounds ohne große Schwankungen überzeugt. Das hat man bei 90er-Jahre-Filmen auch schon deutlich anders gehört. Erstaunlich dann, wie offensiv Llewellyn die Atmos-Höhenspeaker genutzt hat. Schon während der Intro-Szene wird der Audio-Anteil des Internet auf die 3D-Ebene gelegt und während der Demo klappern die Holzstangen ziemlich deutlich auch von oben (4’40). Das macht rein visuell nicht unbedingt Sinn, ist aber gerade für Fans von reichhaltigen Höhen-Sounds ein Fest.

Weiter geht’s wenn Johnny die Daten in seinen Chip hochlädt (ab 10’40). Auch in der Disko gibt’s Musik von oben (20’30) und das Laserseil Shinjis fetzt auch schon über alle Speaker. Besonders intensiv geraten die Flashback-Momente Johnnys, die wie ein elektrisches Feedback über die Heights kommen oder auch die Aktivitäten Mnemonics im VR (bspw. ab 39’00). Etwas unrealistisch ist der LKW nach gut einer Stunde, der sich anhört wie ein von hinten-oben anfliegender Jet, obwohl er nur aus dem Rücken kommt. Das hat eigentlich auf den Heights nichts zu suchen (61’00). Hübsch krachig ist dagegen die Explosion des Fahrzeug, das über sämtliche Lautsprecher in Flammen aufgeht (64’20).
Bei der einen oder anderen Stimmwiedergabe hätte es für die deutsche Synchro ein bisschen mehr Volumen haben dürfen, aber ein echter Schwachpunkt ist das nicht. Der Produktionszeit des Films geschuldet ist die relativ schwache Einbindung des Subwoofers. Wirklich vehemente Dynamik gibt’s auch in den Actionszenen nicht. Selbst die Explosion nach etwas über 20 Minuten zeigt kaum Druck (24’00).
Die englische Fassung ist übrigens noch etwas aggressiver auf die Höhenspeaker gemischt, was schon in der visuellen Eröffnungsszene deutlich wird, wenn das kugelförmige Element durch das Internet flitzt.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Johnny Mnemonic findet sich ein kurzes Featurette, das Darsteller, Regisseur und Schaffer der Romanvorlage zu Wort kommen lässt – ansonsten gibt’s hier eine grobe Zusammenfassung des Films mit eingefügten Kommentaren. Das Hinter-den-Kulissen-Featurette zeigt die Kreativen bei der Arbeit und zeigt, wie witzig es ist, wenn die kurzen Schnitte in den Actionszenen verbergen, wie rudimentär es doch vor der Kamera eigentlich vorgeht. Sechs Interviews mit einer Gesamtlänge von etwa 12 Minuten. Der Videoclip zu Stabbing Westwards „Nothing“ komplettiert das Angebot. Allerdings sind da auch noch zwei Audiokommentare. Einen von ihnen bestreitet der Regisseur selbst, den anderen steuert Filmwissenschaftler Dr. Rolf Giesen bei. Diesen sprach er Ende 2015 ein, also gut sechs Jahre vor dem Zeitpunkt, auf den der Film anspricht. Er spielt vor allem darauf an, dass der Film seinerzeit nicht besonders gut ankam – weder bei der Kritik, noch beim Publikum. Giesen interessiert dabei die Meta-Ebene, die viele Menschen zum Denken anregte – selbst wenn sie den Film nicht mochten. Oben drauf gibt’s dann noch die Wahl, die japanische Langfassung des Films anzuwählen.

Fazit

Johnny Mnemonic hat im Nachhinein ein ganzes Genre beeinflusst – selbst wenn man das dem Film als solches nur bedingt anmerkt. Alleine als Wegbereiter des Cyberpunk-Films gehört er aber in jede Sci-Fi-Sammlung – gerade, wenn man die Mediabooks im letzten Jahr verpasst hat.
Immerhin bekommt man hier ein erstaunlich gutes Bild und einen sehr aktiven Atmos-Sound.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 80%

Tonqualität BD 2D-Soundebene (dt. Fassung): 70%
Tonqualität BD 3D-Soundebene Quantität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität BD 3D-Soundebene Qualität (dt. Fassung): 70%

Tonqualität BD 2D-Soundebene (Originalversion): 75%
Tonqualität BD 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 80%
Tonqualität BD 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 70%

Bonusmaterial: 70%
Film: 65%

Anbieter: Turbine Medien/AL!VE AG
Land/Jahr: Kanada 1995
Regie: Robert Longo
Darsteller: Keanu Reeves, Dolph Lundgren, Takeshi Kitano, Ice-T, Dina Meyer, Udo Kier, Denis Akiyama, Barbara Sukowa
Tonformate: Dolby Atmos: de, en // dts 2.0: de, en
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 97
Codec: AVC
FSK: 16

(Copyright der Cover, Szenenbilder und vergleichenden Screenshots: © 1995, 2018 Turbine Medien)

Trailer zu Johnny Mnemonic

Johnny Mnemonic - Official® Trailer [HD]

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