Lion – Der lange Weg nach Hause

Blu-ray Review

Lion - Der lange Weg nach Hause Blu-ray Review Cover
Universum Film, 14.07.2017

OT: Lion

 


Sheru

Ein fast unglaublicher Fall nach wahren Begebenheiten.

Inhalt

Khandwa 1986: Weil der fünfjährige Saroo nicht eine Woche lang praktisch alleine zuhause bleiben will, schließt er sich seinem älteren Bruder Guddu an, der unterwegs sein wird, um ein bisschen Kleingeld zu finden oder Zahnpasta zu verkaufen. Auf einer Parkbank soll er auf Guddu warten und schläft darüber ein. Als er aufwacht, ist sein Bruder immer noch nicht zurück. Saroo irrt etwas umher, um ihn zu finden und steigt schließlich intuitiv in einen Zug ein. Auch dort wacht er viel später erneut auf und ist in Kalkutta – weit weg von Daheim. Von den Erwachsenen als Straßenkind missachtet (oder gejagt) versucht Saroo, sich zurecht zu finden und landet irgendwann in einem Waisenhaus. Aus dem heraus wird er eines Tages von einem australischen Paar adoptiert und wächst dort behütet und liebevoll umsorgt auf. Doch der Gedanke an seine echte Familie lässt ihn nie los. Um herauszufinden, wo genau er gewohnt hat und wo seine Odyssee damals begann, hilft ihm 20 Jahre später dieses neue Internetprogramm: Google Earth …

Der Bestseller „A Long Way Home“ des echten Saroo Brierley ist die Basis für dieses Drama, das auf wahren Begebenheiten beruht und immerhin für sechs Oscars nominiert war. Zwar ging Lion – Der lange Weg nach Hause von Langfilm-Regie-Debütant Garth Davis (TV-Serie: Top of the Lake) bei den Annual Academy Awards 2017 leer aus, doch das wertet den Film in keinster Weise ab. Ganz im Gegenteil: Es dauert keine fünf Minuten und man ist gefangen in einer Geschichte, die schon berührend wäre, wenn man sie frei erfunden hätte. Die Tatsache, dass es sich wirklich so abgespielt hat, bewegt umso mehr. Und sie bewegt von Beginn an, weil das Casting schlicht sensationell ist. Schon der junge Sunny Pawar ist als fünfjähriger Saroo dermaßen witzig und niedlich, dass man ihn auf der Stelle adoptieren würde. Manchmal wirkt das vielleicht ein bisschen zu naiv-gutmütig, um wahr zu sein, aber es lässt eben auch nicht kalt. Wenn er mit forschem Witz seinem Bruder beweist, wie stark er ist, möchte man ihn einfach nur liebhaben. Gleichermaßen weiß er aber in seiner Panik zu überzeugen, wenn er im Zug aufwacht und vollkommen alleine ist – ein starkes, ein bewegendes Filmdebüt. Inhaltlich wirkt es nach einer faszinierenden ersten halben Stunde schon mal ein wenig, als hetze man von einem Erlebnis des jungen Saroo zum nächsten. Die augenscheinliche Thematik des Kinderhandels, die angedeutet wird, bleibt (obwohl eine unangenehme Stimmung erzeugend) ein wenig blass und wirkt an dieser Stelle überflüssig – zumal Lion mit der Schilderung der schlimmen Verhältnisse im Waisenhaus schon schwer genug zu verdauen ist.

Lion lebt aber nicht alleine von seinem mutig aufspielenden Jungdarsteller, sondern auch von den blendend aufgelegten Co-Stars: Dev Patel, der den erwachsenen Saroo spielt, ist vorzüglich besetzt und selbst Nicole Kidman (mit unfassbarer, aber verbürgter Pudel-Frisur) brilliert in ihrer (gerade später) nicht einfachen Rolle. Sanft und zärtlich nähert sie sich dem Adoptivsohn, für den die australische Welt nach Monaten im Waisenhaus so fremd ist wie nur irgendwas; und verletzlich reagiert sie, wenn es um die Dinge geht, die der zweite Adoptivsohn Mantosh ihr angetan hat. Nach gut 55 Minuten kommt dann der Wechsel in die Gegenwart und weil Davis seinen Film bis dahin linear und ohne Rückblenden oder flash forwards erzählt, ist das vom Storyfluss her erst einmal ein Bruch. Doch man findet sich bald ebenso gut im Jahre 2008 wieder, in dem Saroo immer stärker darunter zu leiden beginnt, dass er seinen Bruder und seine Mutter immer noch nach ihm suchend wähnt. Dass seine Beziehung zu Partnerin Lucy (erneut sensationell nuanciert: Rooney Mara) dabei den Bach runtergeht, ist abzusehen und zeigt, wie sehr einen die Dämonen aus der Vergangenheit verfolgen können. Und wenn Saroo dann vor einem grobpixeligen Google-Earth-Bild seines Heimatdorfs sitzt, laufen nicht nur ihm die Tränen runter. Zum Gelingen des Films trägt mitentscheidend auch die grandiose Filmmusik von Dustion o’Halloran und dem Deutschen Hauschka (Volker Bertelmann) bei. Was die beiden hier an gefühlvollen Klavier-Arrangements komponiert und zusammengefügt haben, ist mal sphärisch im besten Sinne eines Terrence-Malick-Films, mal etwas sakral, aber immer passend zum Geschehen.

Bild- und Tonqualität

Im Gegensatz zu vielen aktuellen Filmen liefert die Blu-ray von Lion – Der lange Weg nach Hause ein etwas zu helles Bild, das während dunkler Szenen nicht sonderlich viel Tiefe zeigt und im Schwarz kaum Zeichnung hat. Der Kontrastumfang ist aber auch später begrenzt, wenn die Szenerie in die Gegenwart wechselt, um dort dem erwachsenen Saroo zu folgen. Dafür ist die Bildruhe gut, zeigt so gut wie keine Körnung und bleibt auch in Bewegungen astrein. Die Schärfe geht in Ordnung, wobei oft mit starken Schärfen-Untiefen gearbeitet wird und Figuren dann bei Vor-Zurück-Bewegungen schon mal aus dem Fokus geraten. Auch sind die unteren Bildränder bisweilen bewusst unscharf gehalten (28’29).
Akustisch gibt’s weniger zu meckern als beim Bild. Zunächst mal kann man wählen, ob man Lion komplett (also auch in den Szenen mit den Kids in Indien) synchronisiert schauen möchte oder die teilsynchronisierte Fassung wählt. Dialoge kommen in beiden Fällen gut verständlich zum Zuhörer. Dazu brettert der Zug weiträumig durchs Heimkino und der Muezzin einer islamischen Gemeinde ruft leise, aber vernehmbar direktional von den Rears. Zikaden zirpen räumlich und die Atmosphäre in der Natur ist ebenso großartig wie das hektische Treiben in der Stadt (8’00, 8’35). Ohnehin ist Lion für ein Drama außerordentlich lebhaft und liefert weit mehr Surroundsignale als so manches Action-Highlight.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Lion wurden neun Interviews mit Crew & Cast sowie das Musikvideo zu „Never Give up“ von Sia abgelegt. Obendrauf gibt’s noch einen Behind-the-Scenes-Bereich, der mit fünf Featurettes aufwartet. Porträtiert werden hier der echte Saroo Brierley, Hauptdarsteller Dev Patel und Nicole Kidman sowie Regisseur Davis. Ein Making-of der Musik gibt es ebenfalls. Einen Kloß im Hals hat man erneut, wenn Brierley zu den Bildern des Films wiederholt, was er erlebt hat und das geschah auch Dev Patel, der zu Protokoll gibt, das erste Mal beim Lesen eines Skripts zu Tränen gerührt gewesen zu sein.

Fazit

Lion – Der lange Weg nach Hause fühlt sich ab und an etwas zweigeteilt an, was prinzipiell aber die Zerrissenheit seiner Hauptfigur wiedergibt. Darüber hinaus ist er rührend, bewegend, in allen Rollen brillant gespielt und zum Schluss herzerwärmend schön, wenn die echten Familienmitglieder sich in die Arme schließen können.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 85%
Tonqualität (Originalversion): 85%
Bonusmaterial: 50%
Film: 90%

Anbieter: Universum Film
Land/Jahr: Australien/Großbritannien/USA 2016
Regie: Garth Davis
Darsteller: Dev Patel, Rooney Mara, Sunny Pawar, David Wenham, Nicole Kidman, Abhishek Bharate, Divian Ladwa, Priyanka Bose
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 119
Codec: AVC
FSK: 12

Trailer zu Lion

Lion - Trailer (deutsch/ german; FSK 6)

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2 Kommentare
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Andreas Warmuth

Hallo Timo

Stimmt alles was du schreibst. Klasse Rezension, wie immer. In diesem Fall hatte ich ausnahmsweise den Film im TV mal vor deiner Bewertung entdeckt, jetzt habe mir die Bluray gekauft. Der Film bewegt wie kaum ein anderer, vor allem die Bilder am Ende, wo der echte Saroo seine Mutter trifft und man erfährt, dass Saroo’s Bruder Guddu in der gleichen Nacht starb, als die Odyssee des Saroo begann.

Der Film steht bei mir emotional auf gleicher Stufe wie „Soul Surver“ und „Invincible“ (Unbesiegbar – Der Traum meines Lebens). Beides Filme, die es zwar nur auf DVD gibt, was der Klasse der beiden Filmen jedoch keinen Abbruch tut, bei solchen Filmen sind mir die Bild- und Tonqualität nicht so wichtig.