Platz 3: Little Miss Sunshine

Platz 3: Little Miss Sunshine (Blu-ray Review)

Blu-ray im Vertrieb von 20th Century Fox
Blu-ray im Vertrieb von 20th Century Fox

OT: Little Miss Sunshine

 


Von Proust-Kennern und Miss-Wahlen

Das Kinodebüt der Clipregisseure Jonathan Dyston und Valerie Faris ist nichts anderes als einer der schönsten Filme über Verlierer überhaupt.

Story

Während Richard Hoover sein Neun-Stufen-Programm „Nie wieder verlieren“ erfolglos in Seminaren mit fünf Besuchern promotet, träumt seine kleine und etwas pummelige Tochter Olive davon, an einem Schönheitswettbewerb teilzunehmen. Dafür übt sie fleißig mit ihrem heimlich Heroin schnupfenden Grandpa. Mutter Sheryl hält, so gut es eben geht, die etwas chaotische Familie zusammen und kümmert sich auch um Onkel Frank, der gerade aus Liebeskummer versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Er wird vorübergehend beim Sohn des Hauses einquartiert – Dwayne, der seinen Körper für die Air-Force-Academy trainiert und, inspiriert von Friedrich Nitzsche, ein Schweigegelübde abgelegt hat. Als Olive die Nachricht erhält, dass sie in der Rangfolge einer Vorentscheidung für den Schönheitswettbewerb Little Miss Sunshine nachgerückt ist und nun tatsächlich dort teilnehmen kann, ist sie überglücklich und nicht zu bremsen. Das Dumme daran: Die Young-Miss-Wahl findet im entfernten Kalifornien statt und Vater Richard gibt vor, wichtige Termine zu haben. Zumal eigentlich alle mitfahren müssten und für sechs Personen nur der klapprige alte VW Bus in Frage kommt. Doch am Ende ist der Entschluss gefallen: Entweder die ganze Familie fährt zur Unterstützung mit, oder niemand geht. Es schließt sich ein Roadtrip an, der schmerzvolle und heitere Wahrheiten offenbaren und für alle auch eine Reise ins Ich werden wird …

Warum gerade „Little Miss Sunshine“?

„Du warst in einen Jungen verliebt?“
„Ja, so ist es – wie verrückt.“
„Das ist echt albern!“
„Du hast recht, es war albern.“
„Dafür gibt’s noch ein anderes Wort!“

Der Dialog zwischen der jungen Olive und ihrem Onkel Frank, der sich gerade aufgrund seines Liebeskummers versucht hat, das Leben zu nehmen, der dann abrupt von Grandpa kommentiert wird, steht sinnbildlich für den schonungslosen und offenen Umgang der Figuren untereinander. Das sind mal schmeichelnde, oft aber harte und ehrliche Worte, die einen Prozess der Selbstreflexion in Gang setzen. Trotz allen Einschreitens seitens Richards, der gerne die unangenehmen Themen verschweigen würde, muss auch der Zuschauer immer mal wieder einen dicken Brocken schlucken, bevor er im nächsten Moment durch brüllkomischen oder einfach herzlichen Humor wieder entspannt wird. Genau diese perfekte Balance macht das Regiedebut von Dayton/Faris aus, die inszenatorisch mit Little Miss Sunshine einfach alles richtig gemacht haben.
Zunächst der Blick auf die Figuren, die allesamt eher zu den Verlieren gehören: Grandpa, der wegen seiner Sex- und Drogenexzesse aus dem Heim geflogen ist und sein Leben in Schimpfwörter fasst; Vater Richard, der sein Motivationsprogramm nicht an den Mann bringt; Frank, dessen Liebe zu einem jüngeren Studenten scheiterte und Dwayne, der im Laufe des Films die größte Niederlage erfahren und erdulden muss. Mama Sheryl versucht inmitten dieser gegensätzlichen Charaktere eine katalysierende und bindende Funktion einzunehmen, scheiterte daran zuletzt aber immer. Nur Tochter Olive scheint mit ihrem etwas naiven Wunsch der Teilnahme an einer Miss-Wahl absolut mit sich im Reinen zu sein. Bis ihr ausgerechnet Papa Richard zu verstehen gibt, dass sie eigentlich zu dick für so etwas ist.

Gerade Richard, der so gerne die Fassade einer gut situierten und stimmigen Familie aufrecht erhalten möchte, liegt mit seinen Analysen und Ideen immer wieder vollkommen daneben. So missinterpretiert er Dwaynes Verhalten und sein Schweigegelübde als selbst auferlegte Disziplinierungsmaßnahme auf dem Weg zum Erfolg, während Dwayne einfach nur keinen Bock mehr darauf hat, mit seiner dysfunktionalen Familie zu kommunizieren.
Das ist aber nur eine der Wahrheiten, die jedes der Familienmitglieder auf ihrer Reise quer durch die Staaten erfahren wird und zu denkwürdigen Situationen führt: Der Moment, in dem Dwayne seine ganze Wut, seinen ganzen Ärger und Frust darüber, dass er als Air-Force-Pilot nicht geeignet ist, in einem einzigen langen „Fuuuuck“ in die Welt herausschreit, gehört zu den erinnerungswürdigsten Szenen der gesamten Filmhistorie.
Aber es sind nicht nur die dramatischen Elemente, die Little Miss Sunshine so besonders machen. Es sind eben auch die heiteren und bisweilen unglaublich komischen Situationen: Wenn die Familie nach einer Panne mit dem VW Bus fortan das Fahrzeug immer gemeinsam anschieben muss, um weiterzukommen, ist das nicht nur überaus witzig, sondern hat auch eine hohe Symbolkraft. Wie Frank beständig darauf beharrt, der beste Proust-Kenner der Vereinigten Staaten zu sein und wie Grandpa seinem Enkel Dwayne den Rat gibt, jede Menge Frauen „flach zu legen“ solange Dwayne und die entsprechenden Mädels noch minderjährig sind und er sich nicht strafbar macht – das sind so herrlich und erfrischend authentisch rübergebrachte Momente, dass einem das Herz aufgeht.

Doch das würde alles nicht so blendend funktionieren, wenn nicht ein famos aufspielendes Ensemble an Darstellern beteiligt wäre. Greg Kinnear gibt den mit aller Macht nach Annerkennung strebenden Familienvater so inbrünstig, dass man es ihm jederzeit abnimmt. Alan Arkin durfte für seine entfesselte Performance als süffisant-sarkastischer Grandpa gar einen Oscar als bester Nebendarsteller in Empfang nehmen und Toni Collette als Mutter Sheryl stellt als zentrale Mitte der Geschichte glaubhaft dar, wie schwer es ist, so eine Chaosfamilie zusammenzuhalten. Paul Dano war als Dwayne Hoover für mich damals die Entdeckung überhaupt und hat, wie erwähnt, die beste Szene des Films. Und an die unschuldig-liebenswerte Abigail Breslin, die zuvor schon in „Signs“ und zuletzt in „The Call“ auf sich aufmerksam machte, wird wohl jeder, der den Film mag, sein Herz verlieren.

Über allen steht jedoch ein Steve Carell, der all seinen, bis zu dem Zeitpunkt gespielten Rollen witziger bis alberner Natur den Rücken kehrte und in der Ernsthaftigkeit und Introvertiertheit seiner Figur die beste Leistung seiner Karriere vollbrachte. Es ist schon erstaunlich, wie ein Schauspieler, der zuvor hautpsächlich mit Grimassen und naiv-charmanten Dialogen, sowie manchmal albernem Slapstick auffiel, sich in einen komplexen und komplizierten Charakter wie Frank einfinden kann. Dabei ist gerade diese Figur der ruhende Pol, an dem sich der Zuschauer in Little Miss Sunshine festhalten kann und von dem aus der feinsinnige und subtile Humor ausgeht. Gepaart mit einer zurückgenommenen aber immer noch extrem witzigen physischen Komik legt Carell eine ebenfalls oscarreife Performance hin.
Zwei weitere Punkte lassen den Independentfilm zum Highlight werden: Neben der fantastisch ausgewählten und perfekt passenden Filmmusik verpackt das Regieduo in seine heiter-dramatische Familiengeschichte ganz nebenbei auch noch eine bissige und durchaus ernstgemeinte Kritik am Schönheitswahn in den USA. Mehr noch lassen Dayton und Faris diese Kritik in einem Finale enden, das eine perfekte Gratwanderung aus Fremdschäm-Faktor und Harmoniegefühl darstellt und der amerikanischen Gesellschaft gekonnt den Spiegel vorhält. Am Ende ist es sicher: Diese Familie aus schrägen Typen ist weit weniger „kaputt“, als die ach so vermeintlich normalen Menschen, die ihre Kids mit tonnenweise Schminke verunstalten und an so einem lächerlich-entwürdigenden Event teilnehmen lassen. Womit sich der Kreis schließt, denn die anfängliche Disharmonie innerhalb der Hoovers verwandelt sich nach dem gemeinsamen Roadtrip nachvollziehbar in das Gegenteil – die Verlierer gehen als Sieger aus der Geschichte hervor.

Fazit

Brüllkomisch, bewegend tragisch und entwaffnend ehrlich – Little Miss Sunshine ist rundum und ohne jede Einschränkung ein Glücksfall von Film. Hier passt einfach alles!
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 70%
Film: 100%

Anbieter: 20th Century Fox
Land/Jahr: USA 2005
Buch/Regie: Jonathan Dayton, Valerie Faris
Darsteller: Greg Kinnear, Tony Collette, Steve Carell, Alan Arkin, Abigail Breslin, Paul Dano
Tonformate: dts HD-Master 5.1: en // dts 5.1: de, fr
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 103
Codec: AVC
FSK: 6

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