Lost Girls [Netflix]

Blu-ray Review

Netflix, 13.03.2020

OT: Lost Girls

 


LISK

Star gespieltes Serienkiller Drama nach wahren Begebenheiten.

Inhalt

Die Gilberts organisieren sich auch im Internet

„Kann ich morgen vorbei kommen?“ Mari Gilbert freut sich, dass ihre älteste Tochter Shannan sie und die beiden jüngeren Schwestern besuchen kommen möchte. Nicht nur, weil Mari gerade in finanzieller Schieflage ist und Shannan ihr etwas Geld leihen wollte. Doch die Älteste kommt nicht. Und sie meldet sich auch nicht. Gar nicht mehr. 48 Stunden später meldet Mari sie als vermisst. Doch die Polizei tut praktisch nichts. Also stellt die Mutter selbst Nachforschungen an. Gemeinsam mit ihren verbliebenen Töchtern Sherre und Sarra klappert sie Hinweise ab, spricht mit Kontaktpersonen und übt Druck auf die Polizei aus. Dabei nimmt sie in Kauf, dass die beiden jüngeren Schwestern pikante Details über Shannan erfahren. Dass sie eine Prostituierte war, zum Beispiel. Was vielleicht auch ein Grund ist, warum die Behörden so unwillig in die Ermittlungen gehen. Als einige skelettierte Mädchenleichen gefunden werden, rückt die Möglichkeit ins Licht, dass ein Serienkiller sein Unwesen treibt. Und Mari ist sich sicher, dass Shannan auch ihm zum Opfer gefallen sein könnte. Doch erneut stößt sie auf Ablehnung bei der Polizei. Bis einige Zeit später weitere Leichen gefunden werden …

Auch andere Eltern der toten Mädchen schließen sich Mari an

Im Dezember 2010 fand ein Polizist die skelettierte Leiche einer Frau an der Südküste von Long Island. Die Ermittlungen führten zu einer Suche, die drei weitere Leichen zu Tage förderte. Vier Monate später fand man weitere Leichenteile, die später insgesamt sechs Menschen zugeordnet wurden. Und Anfang 2012 entdeckte man dann die Leiche von Shannan Maria Gilbert. Die als Escort tätige Shannan war am ersten Mai 2010 verschwunden, nachdem sie bei einem Kunden gewesen war. Ihre Mutter Mari war es, die durch ihre Unzufriedenheit mit der Untätigkeit der Polizei dafür sorgte, dass man einige Leichen überhaupt erst fand.
Und sie war es, die selbst nie den Glauben daran verlor, dass auch ihre Tochter von dem Serienmörder getötet wurde, dem die anderen zehn Opfer zugeschrieben werden. Der Long Island Serial Killer (LISK) ist bis heute nicht gefasst worden, obwohl sich seit 2015 sogar das FBI in die Ermittlungen eingeschaltet hatte. Ein Schritt, der wohl nur deshalb so lange dauerte, weil der im Oktober zuvor aus dem Job entlassene Polizeikommissar James Burke aufgrund eigener Vergehen das FBI offenbar jahrelang aus dem Fall heraus halten wollte (Quelle).

Mari wendet sich auch an die Medien

Die intensive und aufopfernde Arbeit von Mari Gilbert war es, die Regisseurin Liz Garbus zu dem Projekt hinzog. Basierend auf der Buchvorlage Lost Girls: An Unsolved American Mystery von Robert Kolker inszenierte sie ein intensives Schauspiel aus Drama mit einem Hauch Mystery. Garbus hatte bisher ausschließlich Filme gemacht, die auf Tatsachen basieren. Allerdings waren sämtliche vorherigen Werke Dokumentarfilme. Viele ihre Dokus beschäftigten sich bereits mit unbequemen und schwierigen Themen, eine Oscar-Nominierung erhielt sie allerdings für die Nina-Simone-Dokumentation What Happend, Ms. Simone?
Bis 2018 war die Produktion noch mit Konkurrent Amazon Studios assoziiert, bis dann doch Netflix übernahm. Dort ist Lost Girls nun seit dem 13. März 2020 abrufbar und folgt der Geschichte vom Verschwinden Shannans bis hin zu ihren Auffinden.
Garbus konzentriert sich auf Mari und ihre aufopferungsvollen Versuche, selbst an Informationen zu kommen und gleichzeitig die Polizei davon zu überzeugen, mehr Arbeit in die Nachforschungen zu stecken. Es wird deutlich, wie nachlässig die polizeilichen Ermittlungen waren. Der Druck, der auf den leitenden Ermittler (knorrig: Gabriel Byrne) ausgeübt wird, dass es sich doch besser nicht um seinen Serienkiller zu handeln habe (schlecht fürs Image und so); die Ignoranz bestimmter Mitarbeiter der Behörden; nicht konfiszierte Tapes von Videoüberwachungen – die Verfehlungen der ermittelnden Behörden waren vielfältig.

Richard Dormer ermittelt – oder tut zumindest so

Kein Wunder, dass Mari mit ihren verbliebenen Töchtern selbst nachforschte. Gemeinsam mit den Müttern der anderen Opfer formiert sie sich und übt ihrerseits Druck aus. Man beginnt, ihr zuzuhören. Die Medien werden teilweise aufmerksam und stellen den Behörden daraufhin schon mal unbequeme Fragen.
Die Medien sind es aber auch, die verdeutlichen, wie die US-Gesellschaft tickt: Da die toten Frauen praktisch ausnahmslos aus dem Bereich der Prostitution kamen, hört man des Öfteren Sprüche wie: „Es waren doch nur Huren“. Auch die Medien spiegeln diese Meinung wider und zeichnen das Bild einer abweisenden und respektlosen Gesellschaft, die offenbar Unterschiede zwischen den Menschen macht und Prostituierte für weniger wichtig hält, wenn es um die Aufklärung von Morden geht.
Parallel wird deutlich, wie sehr Mari ihr beiden verbliebenen (eigentlich waren es drei) Töchter vernachlässigt und bisweilen schroff abweist. Selbst wenn diese unverkennbar um Hilfe rufen. Einer der Männer aus Shannans Leben spricht davon, dass die Mutter ihre Tochter nur für gut genug befand, um sie um Geld zu bitten. Und die Jüngeren benutzte sie später für ihre Suche nach der vermissten Tochter.
Hier spielt Lost Girls auf das Drama an, das sich nach der Zeit abspielte, die der Film abdeckt. Denn was dieser nicht mehr (in Bildern) erzählt, ist, wie es für Mari weiterging, nachdem sie und die jüngeren Töchter Gewissheit über den Tod Shannans hatten. So ging ihre Suche nach dem Verantwortlichen weiter und ihr Vorgehen gegen die Polizei ebenso. Die dramatischen Umstände dieser Zeit trugen bei Sarra zu einer schweren Psychose bei. Ihre Schizophrenie war es, die sie Stimmen hören ließ und am Ende zum Mord an der Mutter führte. Mit über 200 Messerstichen nahm Sarra Mari das Leben und sitzt seit 2017 lebenslang im Gefängnis

Die Gilberts geben ihre Auffassungen an die Presse weiter

Bild- und Tonqualität

Mari ist mit ihren Gefühlen weitgehend alleine

Lost Girls liegt bei Netflix in 4K mit Dolby Vision vor. Da Netflix prinzipiell bei den Eigenproduktionen mittlerweile voraussetzt, dass nativ in 4K gedreht wird, ist davon auszugehen, dass der Film hier auch eine durchgängige 4K-Master-Kette hatte. Regulär liefe das dann bei Netflix mit 15.25 Mbps, REGULÄR!
Denn aktuell hat sich der Streaming-Anbieter in Absprache mit der EU dazu entschlossen, die Datenrate zu reduzieren, um Netzkapazitäten freizuhalten. Während man über die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme streiten kann, bedeutet das in der Praxis eine Datenrate von 7.25 Mbps – also eine Reduktion auf die Hälfte. Dem Bild von Lost Girls sieht man das insofern an, als dass uniforme Hintergründe teils stehende Rauschmuster aufweisen. Außerdem setzt es bei hellen (Himmels)Hintergründen Banding-Artefakte (17’48). Diese Probleme sollten bei einer Öffnung der Datenrate aber passé sein. Ansonsten kann vor allem die Laufruhe überzeugen. Körnung ist hier praktisch nicht vorhanden und trotz der Datenreduktion bleibt die Schärfe in Close-ups schön detailreich. Die grundsätzliche Stimmung ist schmuddelig-grau. Hell scheint es in diesem Film nicht werden zu wollen und Innenräume werden fahl ausgeleuchtet, sodass kaum Kontrastdynamik entsteht. Dolby Vision liefert in den wenigen Szenen, in denen mal helles Licht in dunklen Abschnitten zur Geltung kommt (Interview bei 19’40) allerdings schöne Highlights. Auch das weiße Hemd, das Gabriel Byrne trägt sticht aus dem Anzug hervor (23’01). Ansonsten zeigen sich gedeckte Farben, die entlang einer Grau-, Braun-, Grünpalette gewählt wurden. Auch das grundsätzliche Color Grading tendiert zum Grünen, was der durchweg melancholisch-depressiven Stimmung des Films zugute kommt. Nicht schön ist die grundsätzlich dunkle Abstimmung in Nachtszenen, die kaum Durchzeichnung bieten.

Mahnwache für die

Lost Girls liegt für die deutsche Sprache in Dolby Digital Plus vor, während die US-Fassung Dolby Atmos liefert. Grundsätzlich konzentriert sich der Ton hierbei auf die sehr gut verständlichen Dialoge. Kein Wunder, denn Action gibt’s hier praktisch gar nicht. Der herausragendste Surroundeffekt ist dann das Rascheln des Schilfs im Wind, was in zahlreichen Außenszenen genutzt wird, um Atmosphäre zu schaffen. Das gelingt dann auch ganz gut und lässt in Verbindung mit dem stimmungsvollen Bild schon mal etwas frösteln. Der melancholische Score legt sich dazu sehr weiträumig und sanft auf die Lautsprecher, was trotz datenreduzierter DD+-Spur wirklich sauber und ohne Komprimierungsprobleme klingt. Das kann die englische Fassung auf der regulären Ebene auch nicht wirklich besser. Bezieht man deren Höhen-Ebene mit hinzu, fragt man sich natürlich, was ein charakterbasiertes Serienmörder-Drama überhaupt mit 3D-Sounds verbinden würde. Tatsächlich sollte man hier auch nicht wirklich viel erwarten. Die Heights gesellen sich oft während der Musiksequenzen hinzu. Auch die leisen Gesangsstimmen während des Intros hört man dezent von oben. Und dann gibt es sogar doch noch echte Sounds wie den Bagger nach knapp zehn Minuten, der Erdwerk aushebt und über die Kamera wuchtet. Nach etwa 67 Minuten raschelt dann mal Schilf über die Heights und man hört jemanden Amazing Grace summen – sehr leise allerdings. Und das war’s dann auch schon. 3D-Sound ist im Prinzip Mangelware. Da Dolby Atmos aber nicht zwingend nur mit 3D-Geräuschen in Verbindung gebracht werden sollte, geht es hier einfach mal etwas dezenter zu. Und das geht auch in Ordnung, da es ohnehin keinen Anlass für 3D-Sounds gegeben hätte.

Fazit

Lost Girls schildert mit atmosphärischen Bildern und auf den Schultern einer starken Hauptdarstellerin eine erschreckende Geschichte über die Morde an zahlreichen Frauen, die von der Gesellschaft nur am Rande zur Notiz genommen wurden. Der Film ist dabei mehr Spiegel einer Gesellschaft als Mörderhatz. Man sollte hier also nicht erwarten, dass man zum Miträtseln eingeladen wird. Deshalb wird es auch schon mal ein wenig zäh. Dennoch ein sehenswertes Drama über eine fast unglaubliche Serie von Polizeipannen und Medien-Ignoranz.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70% (unter Vorbehalt aufgrund aktueller Datenraten-Reduzierung)

Tonqualität (dt. Fassung): 70%

Tonqualität 2D-Soundebene (Originalversion): 70%
Tonqualität 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 10%
Tonqualität 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 60%

Film: 65%

Anbieter: Netflix
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Liz Garbus
Darsteller: Thomasin McKenzie, Amy Ryan, Gabriel Byrne, Oona Laurence, Reed Birney
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): en // Dolby Digital Plus: de
Bildformat: 2,00:1
Laufzeit: 95
Real 4K: Ja
Datenrate: 15.25 Mbps (aufgrund freiwilliger Datenreduktion von Netflix derzeit nur 7.25 Mbps)
Altersfreigabe: 6

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)

Trailer zu Lost Girls

LOST GIRLS | Official Trailer | Netflix

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