Blu-ray Review
OT: Dabba
Mittagessen in Mumbai
Grandios erzählter Film aus Indien.
Inhalt
Witwer Saajan steht kurz vor seiner Pension und soll seinen Nachfolger einarbeiten, als er unverhofft eine Lunchbox auf dem Schreibtisch stehen hat. Die enthaltene Mahlzeit isst er mit Genuss, was ungewöhnlich ist, denn er bestellt das Essen in einer Großküche und das ist nicht immer überzeugend. Was Saajan nicht weiß: Seine Lunchbox wurde auf dem Weg vertauscht, erhalten hat er jene von Ila, die eigentlich ihrem Ehemann eine Freude machen wollte. Da Ilas Ehe auf Sparflamme kocht, sollte das Essen eigentlich wieder etwas Leben ins Spiel bringen. Als Ila erfährt, dass ihr Mahl an den Falschen geraten ist, behält sie es für sich und kocht am nächsten Tag erneut für den Unbekannten – immerhin hatte der die Behälter restlos leer gegessen. Sie geht sogar noch weiter und platziert einen Zettel zwischen den Brotfladen. Auf diesem bedankt sie sich für dessen scheinbargem Gefallen an ihrem Essen. Saajan schreibt zurück: „Liebe Ila, dein Essen war heute versalzen“ – der Witwer ist eben ein echter Charmeur. Doch nach und nach werden die Botschaften der beiden feinfühliger, harmonischer, ja intimer. Die beiden gestehen sich ihre Sehnsüchte und Probleme, entwickeln eine Art Fernbeziehung – doch mit welchem Ausgang?
Es gibt Filme, die wie einzigartige Glücksfälle inmitten der 08/15-Mainstream-Produktionen wirken – Lunchbox gehört ohne jeden Zweifel dazu! Man mag Vorurteile gegenüber dem indischen Kino haben – vor allem, wenn man kein Fan des bunten Bollywood-Reigens ist. Ritesh Batras Film hat mit kunterbunten Gesangsnummern hingegen so viel zu tun, wie Michael Bay mit Charaktertiefe. Lunchbox ist eine zärtliche, mit leisem Humor versehene und doch tief melancholische Beschreibung des Lebens zweier einsamer Menschen, die sich scheinbar in ihr Schicksal gefügt haben und gemeinsam wieder Träume entwickeln. Wie Regiedebütant!! Batras nach und nach das Lesen der Briefe für seine Protagonisten zum Ritual werden lässt, zur kleinen Flucht aus dem grauen Alltag, ist großes Erzählkino. Allein durch seine Bilder, seine ruhigen Aufnahmen Irrfan Khans, vermittelt sein Film mehr als so manches Werk in zwei Stunden Spielzeit. Hinzu gesellt sich feiner Humor: Der sparsame Sarksamus von Saajan, der in seiner ersten Antwort auf Ilas Botschaft zum Vorschein kommt, verursacht ein ganz tief empfundenes Schmunzeln. Wenn er dann am nächsten Tag voller Erwartung in der Lunchbox kramt und keinen neuen Zettel findet, steht ihm die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben – gefolgt vom Entsetzen, da Ila ihm das Mahl absichtlich gründlich scharf gemacht hat. Als Zuschauer möchte man sagen: „Zu Recht!“, ertappt sich aber gleichzeitig dabei, wie bereits zu diesem Zeitpunkt die Verbundenheit mit den beiden Protagonisten so groß ist, dass man gar nicht mitbekommt, wie ruhig die Erzählweise ist, wie ereignislos eigentlich das Geschehen. Nur selten schaffen es Filme, über eine gute Geschichte, die passende Inszenierung und herausragende Darsteller so überzeugen. Lediglich das Nebenthema mit Saajans Arbeitsplatznachfolger wirkt hier und da etwas gespreizt.
Bild- und Tonqualität
Das Bild von Lunchbox ist ebenso überraschend unbunt, wie der Film sich vom Bollywood-Thema distanziert. Farben sind natürlich und werden über einen hohen Kontrastumfang transportiert. In dunklen Szenen bleibt die Zeichnung vorhanden, Schwarzwerte sind knackig – Letzteres macht sich vor allem beim dichten dunklen Haar der Menschen bemerkbar. Ein filmisches Korn liegt über dem grundsätzlich sehr scharfen Bild.
Der Regen zu Beginn prasselt heftig aus allen Lautsprechern und das geschäftige Treiben am Bahnhof, das Hupen der Fahrzeuge und der Verkehrslärm dringen effektvoll zum Zuschauer durch. Hervorragend gelingen die Stimmen der Darsteller und noch besser gelungen ist die Synchronisation. Bei Filmen mit indorianischem Sprachhintergrund ist es nicht leicht, die Lippensynchronität zu gewährleisten – umso schöner, dass in Lunchbox nicht nur das wunderbar gelingt, sondern auch die Qualität der Sprecher hervorragend ist.
Bonusmaterial
Im knapp siebenminütigen Interview mit Regisseur Batra erfahren wir, dass der Regisseur 2007 bereits schon mal einen Dokumentarfilm über das System der Mittagessen-Verschickung in Mumbai gedreht hat und ihm dabei die Idee zu Lunchbox kam. Des Weiteren findet sich ein untertitelter Audiokommentar von Batra, Khan und Kaur sowie ein Booklet mit den Rezepten zum Film auf/in der Blu-ray.
Fazit
Rührender aber nie rührseliger, bewegender aber nie deprimierender Film über zwei Menschen, die das Schicksal zusammenführt und die aus ihrer Bekanntschaft neue Kraft schöpfen. Lunchbox ist ein filmisches Kleinod inmitten hektischer Big-Budget-Produktionen, der sogar für Nicht-Arthaus-Anhänger einen Blick wert ist.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt.): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 40%
Film: 90%
Anbieter: EuroVideo
Land/Jahr: D/F/IND 2013
Regie: Ritesh Batra
Darsteller: Irrfan Khan, Nimrat Kaur, Nawazuddin Siddiqui, Lillete Dubey
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, hin
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 105
Codec: AVC
FSK: 0