Mia Madre

Blu-ray Review

Mia Madre Blu-ray Review Cover
Koch Media, seit 24.03.2016

OT: Mia Madre

 


Aufstand der Realität

Als Film getarnte Biografie eines wichtigen italienischen Regisseurs.

Inhalt

Regisseurin Margherita ist mit den Nerven gerade ein wenig am Ende: Die Schauspieler und ihr Team tanzen nicht so nach ihrer Pfeife, wie sie’s gerne hätte und der eigens engagierte US-Schauspieler für ihr Drama um den Arbeiteraufstand an einer Fabrik stellt sich als launische Diva mit Größenwahn und mangelndem Talent heraus. Auch die Presse ist da keine Hilfe, wenn sie bohrende Fragen darüber stellt, ob genau DIESER Film in DIESER Zeit eine gute Idee wäre. Als dann die Lungenentzündung ihrer Mutter auf deren Herz schlägt und man ihr eröffnet, dass sie praktisch im Sterben liegt, bekommt Margherita nach und nach selbst keine Luft mehr. Das wird auch nicht besser, als Margherita merkt, dass ihr die eigene Tochter aus den Händen zu gleiten droht und auch noch die Wohnung einer Überschwemmung anheim fällt …

Nannie Moretti (Habemus Papam), gefeierter italienischer Regisseur und leidenschaftlicher Vertreter sozialgerechter Interessen, inszeniert sich selbst, ohne die Hauptfigur zu spielen. Sein Alter Ego ist Margherita Buy, deren Leben als Regisseurin in einer Katastrophe zu enden droht. Er nimmt auf diese Weise in Mia Madre Abschied von seiner eigenen Mutter, die gleichsam Lateinlehrerin war und ebenfalls verstarb. Gleichzeitig liefert er bissige Kommentare aufs US-Kino und bekommt sogar ein paar selbstironische Seitenhiebe hin. So lässt er seine Margherita während der Produktion für deren Film irgendwann lauthals sagen, dass „die Regisseurin ein Arschloch sei, der man alles durchgehen lässt“. Die meiste Zeit ist Mia Madre aber ein selbstgefälliges und vor allem selbstmitleidiges Stück Kino geworden. Margherita reiht Neurose an Neurose und fährt einen 105-minütigen Egotrip. Besonders schade ist das, weil er diese Rolle eine Frau zuteilt, während er selbst als Margheritas Bruder Giovanni auftritt, der stets besonnen und verständnisvoll agiert. Man könnte Moretti vorwerfen, dass er sich hinter seiner Hauptfigur versteckt. Hätte er sich selbst als neurotischen Regisseur inszeniert, wäre die Selbstkritik offenbar und weniger geheuchelt. Immerhin lässt er irgendwann Margheritas Ex-Freund auftreten, der ihr (stellvertretend für den Regisseur) mal gehörig die Leviten liest. Was man Moretti an dieser Stelle vorwerfen kann, macht er in der Quintessenz seines Films wieder etwas wett: Liebe deine Mutter, deine Angehörigen, solange es geht. Das klingt simpel, hält aber ein paar bewegende Szenen bereit – vor allem wenn alle drei Generationen am Krankenbett der Großmutter sitzen. Auch gelingt ganz gut die Gegenüberstellung der authentischen Realtität, der Margherita offenbar schon lange nicht mehr angehört. Wenn sie sich darüber beschwert, dass ihre Komparsen nicht „von der Straße seien“, weil sie lange Fingernägel und gezupfte Augenbrauen haben, dann entgegnet ihr der Aufnahmeleiter, dass die Menschen auf der Straße heute eben so aussehen. Hauptdarstellerin Margherita Buy wirkt glaubwürdig in ihrer gestressten Rolle, die nur mühsam die Fassung bewahrt, wenngleich man sie zu keiner Zeit sympathisch findet. Geradezu grandios ist John Turturro, der nicht nur ideal besetzt ist, sondern einen sichtlich höllischen Spaß hat, den übertriebenen Schauspieler aus der Filmmacht USA zu geben – da darf man auch schon mal kräftig overacten. Wenn er an seinem ersten Drehtag eine falsche Szene spielt und Margherita ihm das vorwirft, ist sein „Nooooo“ einfach brüllkomisch. Wer des Italienischen mächtig ist, sollte sich Mia Madre im Original anschauen, denn die Vermischung der Landessprache mit dem englisch, bzw. halbitalienisch Turturros liefert viel Situationskomik, die auf der deutschen Tonspur einfach nicht zu übersetzen ist.

Bild- und Tonqualität

Das farblich reduzierte Bild von Mia Madre liefert eine kühle Grau-Blau-Palette, die eine etwas distanzierte Stimmung erzeugt. In Bewegungen verliert die ansonsten sehr gute und ausgewogene Schärfe schon mal ihre Contenance. Auch Helligkeitsverläufe sind nicht immer auf dem Punkt (Flutlicht bei 79’37)Der Kontrastumfang ist eher niedrig, Schwarzwerte wirken grau und insgesamt ist das Geschehen einfach zu hell. Die Detailtiefe ist verhältnismäßig gut – so sieht man im Krankenhaus auf dem Monitor noch recht gut die Werte, obwohl die Akteure weiter vorne im Fokus stehen (76’38). In Sachen Räumlichkeit bleibt Mia Madre etwas zurückhaltend. Der Subwoofer wähnt sich beispielsweise öfter im Urlaub und schaltet ab. Effektvolle Sequenzen gibt es, wenn zu Beginn der Arbeiteraufstand gefilmt wird oder innerhalb der großen Produktionshalle Stimmung herrscht. Die Dialoge kommen konzentriert, vielleicht ein wenig bedämpft aber immer gut hörbar, aus dem Center.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Mia Madre findet sich neben knapp 18 Minuten an entfallenen Szenen noch ein Making-of, das allerdings eher ein unkommentiertes Behind the Scenes mit Patzern und Improvisationen ist.

Fazit

Mia Madre wirkt wie ein autobiografischer Film von Regisseur Nanni Moretti. Leider hat der Film die schöpferische und gesellschaftskritische Kraft seiner Vorgänger gegen eine intime Geschichte getauscht, die zu ernstgemeint rüberkommt und seinen Regisseur als selbstmitleidigen Egoisten outet. Davon lenkt ein glänzend aufgelegter John Turturro ab, der (entgegen der Kritik, die er innerhalb von Mia Madre als Barry hinnehmen muss) tatsächlich der beste Darsteller des Films ist.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 60%
Bonusmaterial: 20%
Film: 60%

Anbieter: Koch Media
Land/Jahr: Italien/Frankreich 2015
Regie: Nanni Moretti
Darsteller: Margherita Buy, John Turturro, Giulia Lazzarini, Nanni Moretti, Beatrice Mancini
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, it
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 107
Codec: AVC
FSK: 6

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