No Looking Back – Ohne Rücksicht auf Verluste – Mediabook [uncut]

Blu-ray Review

Pierrot Le Fou, 13.05.2022

OT: Otorvi i vybros

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Generationenkonflikt

Endlich Nachschub vom Why-Don’t-You-Just-Die-Regisseur.

Inhalt

Masha hat ihre Mutter vier Jahre nicht gesehen

Masha ist sichtlich verdutzt, als sie Abends zur Oma zurück kommt und aus dem Haus ein lauter Streit zu vernehmen ist. Kaum geht die Tür auf, rauscht ihre Mutter Olga auf sie zu, packt sie am Ärmel und nimmt sie mit. Die Zehnjährige hatte ihre Mum seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Was kein Wunder ist, verbrachte Olga diese Zeit doch im Knast, nachdem sie ihrem Freund Oleg im Streit ein Auge ausgestochen hatte. Nun will Olga neu anfangen. Und Masha ist ihre Tochter. Da ist es doch nur verständlich, dass sie sich von nun an um sie kümmern möchte. Doch die Großmutter sieht nun gar nicht ein, ihrer Tochter die Enkelin so mir nichts, dir nichts zu überlassen. Also nimmt sie die Verfolgung auf. Und zur Verstärkung holt sie sich Oleg, der ohnehin noch eine Rechnung mit Olga offen hat. Und während die Tochter mit der Mutter auf der Flucht ist und der Ex-Freund mit der Oma die Verfolgung aufnimmt, geschehen Dinge, die das Leben der Zehnjährigen nicht nur ein bisschen, sondern ziemlich auf den Kopf stellen …

Sieht die Mutter-Tochter-Idylle so aus?

Zu Beginn der Rezension (leider) etwas Politik: „Ministerium für Kultur der Russischen Föderation“ – die erste Einblendung vor dem eigentlichen Start von No Looking Back macht deutlich: Der Film wurde zum Teil auch mit russischen Staatsmitteln finanziert. Ein Grund, warum unter anderem das Glasgow Film Festival die jüngste Arbeit von Kirill Sokolov (Why Don’t You Just Die) vom Spielplan nahm. Jetzt darf man sich durchaus die Frage nach der Ambivalenz zwischen Verhältnismäßigkeit und Konsequenz stellen. Wie konsequent muss/sollte man einerseits auch im Bereich der Kultur sanktionieren, weil der russische Präsident einen Krieg gegen die Ukraine führt? Und wie verhältnismäßig ist es dabei, einen Regisseur zu bestrafen, der russische Fördergelder weit vor dem Angriff auf die Ukraine nutzte? Einen Regisseur (und dessen Film) zu boykottieren, der ukrainische Wurzeln hat (Teile der Familie leben dort noch immer) und der sich bereits mehrfach gegen den Krieg ausgesprochen sowie Antikriegs-Petitionen unterschrieben hat – wohlwissend, dass ihm dadurch selbst drastische Konsequenzen im eigenen Land drohen könnten – ist das wirklich zweckdienlich?
Letztlich eine Frage, die auch ich mir gestellt habe, die ich hier aber ganz klar beantworten konnte. Denn nichts läge mir ferner als ein Über-den-Kamm-scheren sämtlicher Menschen und (Kultur)Produkte aus Russland; sie mit den Taten ihres Präsidenten gleichzusetzen. Die Engländer haben einen guten und treffenden Begriff für dieses mittlerweile viel beobachtete Phänomen der Russophobie: „Putinizing all Russians“. Man mag geteilter Meinung über gewisse Sanktionen gegenüber russischen Oligarchen sein, aber der Boykott eines Films eines erklärten Gegners des Kriegs und Regisseurs, dessen halbe Familie ukrainischstämmig ist, geht sehr weit über eine gesunde Verhältnismäßigkeit hinaus. Sorry, für diesen kurzen Exkurs. Aber da heute gerne Dinge missverstanden werden, war’s mir ein Anliegen, diese Worte vorab zu schicken.

Gemeinsame Sache?

Womit wir bei No Looking Back wären, der auch inhaltlich (wie schon der grandiose Vorgänger) sichtbare Kritik an der russischen Gesellschaft übt. Denn in den beiden Langfilmen von Sokolov werden Menschen als Instinktgetriebene dargestellt. Menschen, die aus dem Affekt heraus in vollkommener Unvernunft handeln, deren Taten fast animalisch wirken und vom Fehlen der Empathie geprägt sind. Man kann hier durchaus eine Metapher auf die Taten des russischen Präsidenten ziehen, wenn man mag. Verwunderlich indes, dass hier überhaupt russische Staatsgelder in die Produktion geflossen sind. Das animalisch-instinktgetriebene Verhalten der Protagonisten war zwar in Why Don’t You Just Die! noch stärker ausgeprägt, wird aber bei No Looking Back kaum positiver gezeichnet. Sokorov kontert dieses bittere Bild der Verrohung seiner Heimat auf satirische Weise und überzieht es mit einer deftigen Blutspur. Zwar geht’s hier nicht mehr ganz so comichaft überzogen zu wie im Vorgänger, doch auch sein Zweitling geht wirklich nicht zimperlich zur Sache. Schon die durch ihre Inszenierung mit trockenem Humor intonierte Szene, in der Olga Oleg das Auge zersticht, offenbart, wie überspitzt und augenzwinkernd (sorry, für den flachen Witz an dieser Stelle) Sokorov Gewalt darstellen kann. Außerdem hat der Regisseur mindestens mit einem Auge ins Westerngenre geschielt (erneut sorry für den flachen Querverweis auf Olegs Handicap, war der letzte Gag dieser Art), das er in einigen Szenen zitiert.
Im Kern geht’s natürlich um das Familiending und um die Dysfunktionalität innerhalb der drei Generationen. In einer der wenigen Szenen, in denen Mutter und Mutter miteinander sprechen, reagiert Olga auf Veras Vorwurf, sie sei als Ex-Sträfling wohl kaum ein gutes Vorbild, dass sie nur so sei, weil Vera ihre Mutter ist. Da kann man durchaus mal drüber nachdenken und reflektieren.

Mutter-Tochter-Disput

Apropos Worte: In No Looking Back wird viel geflucht. Sehr viel. Jedenfalls so viel, dass Olga in puncto Kommunikation nun wirklich kein gutes Vorbild für ihre Tochter ist. Dass Sokolov auch hier wieder ein außergewöhnliches Talent für absurde Action hat, zeigt sich spätestens, wenn Olga und Masha nach etwas über 20 Minuten rücklings den Waldabhang hinunter rauschen – eine klasse inszenierte und beim Zuschauen schon schmerzhafte Szene. Kurze Slapstickmomente gibt es zudem, welche die Erinnerung an den kurzweiligen Vorgänger wecken. Ganz so rasant wie Why Don’t You Just Die! geht es hier allerdings nicht zu, sodass die Dynamik vornehmlich aus der innerfamiliären Thematik und dem oft trockenen Humor in absurden Situationen entsteht. Und absurde Situationen kann Sokolov wirklich gut. Dennoch hängt es in der zweiten halben Stunde erzählerisch ein wenig, weil die Story am Ende auch ein wenig dünn geraten ist und man sich ein paar mehr Schauplätze gewünscht hätte. Darstellerisch hatte Sokolov schon im Vorgänger ein glückliches Händchen bewiesen. Und auch hier passt das hervorragend. Die junge Masha-Darstellerin Sofya Krugova fand man über Instagram (so geht das also heute) und machte sich ihre artistischen Fähigkeiten zu Nutze. Dass sie selbst schimpfen kann wie ein Rohrspatz, hilft im Zusammenspiel mit ihrer Filmmutter, Sokolovs Lebenspartnerin Viktoriya Korotkova. Die beiden schenken sich nichts, wenn es um gegenseitiges Abfeuern von scharfzüngigen Spitzen geht. Anna Mikhalkova als Oma ist dazu herrlich grimmig. Den Vogel aber schießt Aleksandr Yatsenko ab, der den einäugigen Ex-Freund herrlich trottelig gibt. Dabei ist es gerade seine Figur, die einen der bittersten Kommentare abgibt. Während er Olga längst verziehen hat, dass sie ihm das Auge ausstach, merkt er gar nicht, dass er der Aggressor war – eine selbstgefällig-narzisstische Haltung, die vollkommen zu Recht eigentlich aufregen darf.

Preis: 18,99 €
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Format: Blu-ray
Spieldauer:
Erscheinungstermin: Fri, 13 May 2022
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Bild- und Tonqualität

Einen Augenblick später

Schon in Why Don’t You Just Die nutzte Regisseur Sokolov ein sehr stilisiertes und nachträglich bearbeitetes Bild. In No Looking Back tut er dies noch deutlicher. Der grundsätzlich per ARRI-Kamera digital aufgenommene Film sieht vielmehr aus wie ein auf analogem Material gedrehtes Werk. Die künstliche Körnung, die hinzugefügt wurde, spricht hier ein deutliches Bild. Wird es sehr dunkel, nimmt das Rauschen noch etwas zu. Zum Film passt das allerdings ganz gut, vermittelt es doch eine gewisse schmuddelige Atmosphäre, die dem Thema gerecht wird und schon fast ein wenig Grindhouse-Atmosphäre versprüht. Da weite Teile der Geschichte im Hellen und vor dem Hintergrund des Waldes erzählt werden, sieht man deutlich, wie bunt man den Film gemastert hat. Bäume, Wiesen und Moos nehmen ein leuchtendes Apfelgrün an, werden bisweilen gar neonartig. Auch auf den Hautfarben wird deutlich, wie sehr man ins Grün gegangen ist. Denn selbst Gesichter färben sich vor diesem Hintergrund grünlich ein. Die Schärfe ist erneut nur durchschnittlich, was gerade in Halbtotalen und Totalen sehr auffällig ist. Manchmal sitzt der Fokus nicht, manchmal gibt’s im Hintergrund leichte Doppelkonturen und untere Randbereiche sind ebenfalls mitunter unscharf (12’00). Die Kontrastierung leidet ebenfalls unter dem sehr stilisierten Look und der farblichen Einfärbung. Da bleibt kein Raum für sehr dynamische Bilder und der Schwarzwert ist maximal okay. No Looking Back beginnt auch akustisch schmissig und mit räumlicher Filmmusik. Allerdings beschränkt sich das weitgehend auf die Front. Die Rears werden nur selten mit einbezogen und sind die meiste Zeit still. Lediglich bei einigen Musikpassagen werden sie aktiv. Schade, dass man hier auf ein echtes Surroundumfeld verzichten muss, denn immerhin passiert doch eine ganze Menge auf dem Bildschirm. Dafür wird’s immer mal wieder dynamisch, bei diesem DTS-HD-Master-Sound. Denn sobald der Sohn der Gefängniswärterin unangenehme Faustschläge in Olyas Magen versenkt, gibt’s richtig Pfund aus dem Tiefbassbereich. Auch das Poltern an der Tür nach acht Minuten sowie der Crash des Polizeiwagens kommen satt rüber. Alles in allem ein akzeptabler, aber wenig effektvoller Ton.

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Bonusmaterial

Das auf der Disk enthaltene Bonusmaterial von No Looking Back rekrutiert sich aus einem vierminütigen Intro des Regisseurs sowie einem leider sehr kurzen Behind-the-Scenes. Gerade Letzteres hätte durchaus länger und inhaltsvoller ausfallen dürfen. Deutlich mehr Information kann man aus dem 24-seitigen Booklet des Mediabooks ziehen, das auf Texten und Interviews vom Deadline-Magazin beruht. Hier erfährt man dann deutlich mehr über die Produktion als im eigentlichen Making-of.

Fazit

No Looking Back mag nicht ganz so ideenreich und rasant sein wie der Vorgänger. Regisseur Sokolov legt dafür den Finger ganz tief in die Wunden einer in seinen Augen ziemlich verrohten Gesellschaft, die wenig Perspektiven zu haben scheint. Dass er dafür russische Staatsförderung bekam, ist schon fast verwunderlich. Dass ein europäisches Filmfestival das nicht erkannte und den Film von der Liste strich, ist aber geradezu peinlich.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 20%
Film: 70%

Anbieter: Pierrot Le Fou // ALAMODE FILMDISTRIBUTION oHG
Land/Jahr: Russland 2021
Regie: Kirill Sokolov
Darsteller: Igor Grabuzov, Vitaliy Khaev, Viktoriya Korotkova, Sofya Krugova, Olga Lapshina, Aleksandr Yatsenko, Anna Mikhalkova
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, ru
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 99
Codec: AVC
FSK: 18 (ungeschnitten)

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Pierrot Le Fou)
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Trailer zu No Looking Back

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dc_coder_84

Off topic: Kennen Sie den Film Elling von 2001? Finde den Film absolut spitze mit seiner Mischung aus Drama und Komik, nur leider gibt es den Film bis heute nur auf DVD. Ein ziemliches Sakrileg für solch einen tollen Film welcher jetzt schon wieder über 20 Jahre alt ist. Alle möglichen Gurken werden auf Blu-ray veröffentlicht aber Elling scheint es selbst international nur auf DVD zu geben.