Obsessed – Tödliche Spiele [Braid]

Blu-ray Review

Lighthouse Home Entertainment, 24.01.2020

OT: Braid

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Dekonstruktion der Realität

Achtung: Hier kommt ein kleines Genre-Highlight für Über-den-Tellerrand-Gucker.

Inhalt

Na das üben wir noch mal

Einst waren Petula, Tilda und Daphne die besten Freundinnen. Als Kinder hatten sie stets miteinander gespielt und sind gemeinsam in eine Fantasiewelt eingedrungen. Oft spielten sie Doktor und krankes Kind, bei dem Daphne stets die Mutter gab, während Tilda die Tocher und Petula den Arzt spielte. Nun, gut 20 Jahre später haben Tilda und Petula Drogenschulden bei gar nicht so zimperlichen Kriminellen. Und bevor diese den beiden Damen habhaft werden, müssen sie zu Geld kommen. Um an dieses zu kommen, führt sie ihr Weg erneut zu Daphne. Die hatte es in der Zwischenzeit zu Geld gebracht und lebt in einem fürstlichen Anwesen – alleine. Und möglicherweise mit einem Safe voller Kröten. Das Problem: Daphne existiert immer noch in ihrer Fantasiewelt. Wenn Tilda und Petula an das vermutete Geld kommen wollen, müssen sie also Daphnes Spiel spielen – und zwar mit allen Konsequenzen und nach den bekannten Regeln …

Die alten Doktorspiele werden wieder rausgepackt

Vor dem eigentlich Review zunächst einmal eine kurze Aufklärung zur Vermeidung von Missverständnissen: Obsessed – Tödliche Spiele ist ein anderer Film, als der 2011 erschienene Episoden-Horror Obsession – Tödliche Spiele. Letzterer hatte ohnehin (auch) einen deutschen Fantasie-Titel, hieß er im Original doch Little Deaths.
Dieser Obsession hier hat ebenfalls einen deutschen Fantasie-Titel und heißt eigentlich Braid, was wiederum „flechten“ bedeutet.
So viel, so (un)klar. Ohne mehr als nötig Verwirrung stiften zu wollen, darf man sich schon fragen, warum die Anbieter (hier Lighthouse) sich unter dem einen englischen Titel mehr versprechen als unter dem anderen – originalen – englischen Titel.
Sei’s drum, bei dem hier vorliegenden Obsession handelt es sich also nicht um einen Episodenfilm, sondern um das Regiedebüt von Mitzi Peirone.
Moment, Mitzi weeeeer?
Mitzi Peirone ist Italienerin, hat eine umfassende Ausbildung in Philosophie, Kunstgeschichte und Griechischer Tragödie (sowie einigen anderen Fächern) und ging irgendwann nach New York, um dort Theater zu studieren. Und bevor man von ihrem durchaus sehr hübschen Äußeren schließt, sie sei eine weitere Schönheit, die in Hollywood das große Schauspiel- oder Modelgeld sucht, sei empfohlen, das Interview mit ihr zu lesen, das die Kollegen von Dread Central gemacht haben (Quelle).
In diesem wird alleine durch die Sorgfältigkeit ihrer Antworten deutlich, wie sehr sie sich mit ihrem Film und der gesamten Thematik befasst hat. Wie reflektiert sie an die Geschichte gegangen ist und was sie damit zum Ausdruck bringen wollte. So gibt Peirone an, dass Obsession/Braid für sie eine philosophische Abhandlung sei. Die Idee kam ihr während intensiver Phasen von existenziellen Reflektionen und die Story selbst entstand aus der Frage, was Realität WIRKLICH ist und inwiefern sie von unseren Gedanken und uns selbst bestimmt wird. Können wir die wirklich eine Grenze ziehen zwischen dem, was erfunden ist und dem, was wirklich wahr ist? Mitzi stellt die philosophische These auf, dass alles, was in der Realität existiert, erfunden ist: geografische Grenzen, Namen – ja, die ganze Gesellschaft an sich. Deshalb spielt der Film auch an einem Ort. Praktisch sind die Charaktere in der Situation gefangen. Ihre Identität beginnt zu verschwimmen und es kristallisieren sich die intensivsten inneren Dramatiken heraus. Wohlgemerkt war sie 22, als sie mit der Entwicklung der Geschichte begann. Neben der Tatsache, dass Mitzi all ihre Ideen und Leidenschaft in das Projekt steckte, stand sie aber zunächst vor dem Problem, komplett ohne Finanzierung zu starten. Sie hatte keine großen Kontakte zu Filmproduzenten und natürlich selbst auch nicht genug Geld, um los zu legen. Doch erneut siegte die Kreativität. Obsessed/Braid ist der erste Film, der nicht über übliches Crowdfunding, sondern per Kryptowährung-Funding finanziert wurde. Die Kampagne basierte auf der Blockchain-Technologie und sicherte auf diesem Wege jedem Investor, dass er sein Geld durch die Währungsverteilung zurück bekommt (und sogar Gewinne erzielte). Peirone ergatterte damit in kürzester Zeit ihr gesetztes Ziel und konnte trotz anfänglicher Startschwierigkeiten mit der dafür eingerichteten Software satte 1,7 Mio. Dollar generieren – nicht eben wenig, für einen selbstfinanzierten Horror-Thriller.

Frühstück für die Tochter

Auf jeden Fall aber genug, um sich drei talentierte und sogar recht bekannte Darstellerinnen für die Hauptrollen zu schnappen. Daphne-Akteurin Brewer kennt man als Tricia Miller aus Orange is the New Black, Petula wird von Imogen Waterhouse (bekannt aus Nocturnal Animals) gespielt und Sarah Hay hat als Ballettprofi schon in Black Swan agiert. Das Damen-Trio setzt um, was Peirone vorgibt: Starke Frauenfiguren, deren Psyche tief blicken lässt und die bisweilen eruptiv und heftig zur Gewalt greifen. Das wiederum wirkt so verstörend und „anders“, weil es eben Frauen sind, die hier an Frauen (und Männern) Gewalt ausüben. Etwas, was das vornehmlich von den Herren der Schöpfung dominierte Genrekino nicht so wirklich kennt und deshalb umso mehr wirkt.
Man muss sich natürlich schon einlassen können, auf das, was hier gezeigt wird. 08/15 können andere Filme.
Dabei ist Obsessed schon stilistisch einzigartig. Da preschen treibende Electrobeats das von dynamischer Handkamera begleitete Geschehen nach vorne und die schrägsten Kamerawinkel werden genutzt, um Atmosphäre zu erzeugen. Während eines ausgiebigen Drogentrips verändern sich die Farbtöne vollkommen und nach knapp 50 Minuten wird das Geschehen auch einfach mal auf den Kopf gestellt. Etwa zu diesem Zeitpunkt stellt Obsessed auch klar, dass die Täter-Opfer-Rollen schnell vertauscht werden, wenn die Figuren ihr wahres Ich offenbaren. An Wendungen ist Peirones Film durchaus reich und stellt damit auch den verwöhnten Storytwist-Liebhaber zufrieden. Zumal Mitzi auch immer wieder originelle Dinge einfallen, um zwischendurch völlig unerwartete Elemente einzubringen – von Anleihen an Ferreris Das große Fressen bis hin zu Opern-Karaoke von Rossinis Barbier von Sevilla zu ziemlich blutigen Bildern. Und wenn Obsessed dann nach etwas über 70 Minuten die Katze aus dem Sack lässt, wird auch klar, was Peirone meint, wenn sie von verschwimmenden Grenzen zwischen Wahrheit und Erfindung spricht. Dem Gorehound wird allerdings vielleicht nicht so ganz schmecken, dass die derbste Gewalttat zum einen außerhalb der Kamera passiert und zum anderen von Opernklängen begleitet wird. Dennoch ist die 18er Freigabe berechtigt, denn das dort begangene Blutbad ist nicht von schlechten Eltern. Ohne zu sehen, was es wirklich anrichtet, reicht die Art der Inszenierung aus, um eine gewisse Wirkung nicht zu verfehlen. Aber, wie schon gesagt: Einfach zu konsumieren ist der Film keineswegs. Für aufgeschlossene Genrefreunde aber eine willkommene Abwechslung abseits der üblichen Einheitskost.

Bild- und Tonqualität

Das letzte Abendmahl

Obsessed ist durchweg bewusst stilisiert. Angefangen bei der sichtbaren Körnung über drastische Unschärfen an den Bildrändern, Banding auf uniformen Hintergründen, bewusste Farbverfälschung während der Drogentrips,Schwarz-Weiß-Sequenzen, schwach aufgelöste Bilder im Überwachungskamera-Stil – was einem auch einfällt, der Film bietet es. Eine Bewertung fällt aufgrund dessen nicht ganz leicht. Wirklich nicht schön ist der durchweg eher mittelprächtige Schwarzwert, der dunkle Bereiche auch noch grünlich einfärbt. Herausstechend sind einige Close-ups, die schon mal erstaunlich scharf geraten und die Gesichter der Darstellerinnen plastisch darstellen. Ebenso ist das Blut in den entsprechenden Szenen schön kräftig und intensiv. Nimmt man die Sequenzen, in denen die Farben bewusst verfälscht wurden, kommen auch diese lebhaft rüber und entsprechen dem, was sich Regisseurin Peirone dabei gedacht hat – von intensivem Magenta über Lila bis hin zu Cyan.
Beim Ton hat man für beide Sprachen dts-HD-Master-Spuren spendiert – also unkomprimierte Kodierungen. Zwar ist Obsessed eine kleine Genreproduktion, was aber nicht heißen muss, dass man sich beim Ton-Mastering nicht dennoch Mühe gegeben hat. Die elektronischen Beats der Filmmusik kommen recht druckvoll rüber und das Klopfen und Poltern an der Tür zu Beginn hält echte und direktionale Toneffekte parat. Ebenso tut das die stimmungsvoll-gruselige Musik nach 17 Minuten, die genauso räumlich von den Rears widerhallt. Dazu steigert sich in den dramatischen Szenen die Filmmusik erstaunlich dynamisch und wird deutlich lauter. Klasse ist auch der Soundeffekt beim Versenken des Fahrzeugs, wenn das Wasser über die Kamera schwappt und der Ton das von vorne nach hinten räumlich begleitet (60’55). Zwar gibt es nicht sonderlich viele Möglichkeiten für den Ton, wirklich aktiv einzugreifen, da es dafür an entsprechenden Szenen fehlt, aber wenn diese Momente kommen, ist er präsent.

Bonusmaterial

Das Bonusmaterial von Obsessed hält lediglich den Trailer zum Film bereit. Informative Extras sucht man vergeblich. Das ist vor allem deshalb schade, weil die Entstehung des Films wirklich viel Stoff für spannende Interviews gegeben hätte.

Fazit

Mitzi Peirone hat mit Obsessed ein kleines und beachtliches Genre-Highlight für aufgeschlossene Arthaushorror-Freunde realisiert und empfiehlt sich als junge weibliche Nachfolgerin von David Lynch. Wer über den Tellerrand schauen kann und möchte, wird mit ungewöhnlichen Kamerawinkeln und der philosophischen Frage nach den Grenzen von Realität und Erfindung belohnt.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 5%
Film: 75%

Anbieter: Lighthouse Home Entertainment
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Mitzi Peirone
Darsteller: Madeline Brewer, Imogen Waterhouse, Sarah Hay, Scott Cohen, Clyde Baldo, Rob Leo Roy, Zack Calhoon, Lenore Wolf, Brad Calcaterra
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 85
Codec: AVC
FSK: 18 (ungeschnitten)

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Lighthouse Home Entertainment)

Trailer zu Obsessed – Tödliche Spiele

Obsessed – Tödliche Spiele

 

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2 Kommentare
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Sascha

Bravo Timo! Sehr schön artikuliertes Review! 🙂 Das Teil werde ich mir definitiv zu Gemüte führen. 🙂

Sascha

Gesagt, getan und für hervorragend empfunden. Schönes, sehr kreatives Machwerk. 🙂 Und ich unterschreibe die Aussage, dass dieser Film nicht unbedingt etwas für den Mainstream Zuschauer ist. 😀