Netflix Review
OT: Oxygène
O²-Countdown
Mélanie Laurent muss aus einem ziemlich engen Gefängnis entkommen.
Inhalt
Als sie erwacht, weiß sie nicht, wo sie ist. Sie macht die Augen auf und bekommt Panik. Ihr Gesicht ist von einer Art Folie bedeckt. Sie fühlt die Enge, in der sie liegt und reagiert panisch. Langsam beginnt sie zu realisieren, dass sie irgendwie in eine Art moderner Röhre mit viel Elektronik liegt – eine kryogenische Schlafkammer, wie sich nach und nach herausstellt. Was sie dann allerdings immer noch nicht weiß, ist warum sie dort ist und – noch schlimmer – wer sie überhaupt ist. Ihre natürliche Reaktion ist das Rufen um Hilfe. Kaum hat sie damit angefangen, meldet sich eine Computerstimme. Doch die ist zunächst genauso hilfreich wie ein Pflaster für ein gebrochenes Bein. Auf die Anfrage, dass der Computer doch die Kammer einfach öffnen solle, verlangt die Stimme nach einem Code. Schlechter Scherz, denkt sich die Frau und bemerkt, dass ihr in dem engen Gefäß allmählich der Sauerstoff ausgehen wird. Dass in solchem Fall Anflüge von Panik eher kontraproduktiv sind und das wertvolle Gas noch schneller verbraucht wird, ist der Frau natürlich bewusst. Aber wer will ihr schon die Panik verdenken, wenn sie annehmen muss in dieser Kryokammer den letzten Atemzug zu machen …?
Alexandre Aja gehörte Anfang der 2000er Jahre zu einer Riege französischer Regisseure, die eine gewisse „neue“ Härte in den Horrorfilm brachten. Sein High Tension gehört auch heute noch zu den besten Genrestreifen der damaligen Zeit. Kein Wunder, dass Hollywood schnell auf den in Paris geborenen Filmemacher aufmerksam wurde und ihm US-Gruselfilme anbot. Während er mit Mirrors trotz Starbesetzung (Kiefer Sutherland) nicht ganz glücklich gewesen sein kann, lieferte er mit seinem Piranha 3D eine ziemlich launiges, blutiges und in seiner Übertriebenheit witziges Sequel des Franchise ab. Zuletzt fokussierte er sich mal kurz auf Psychohorror mit mystischen Elementen und ließ in Das 9. Leben des Louis Drax die Gedankenwelt eines komatösen Jungen zum Hauptelement werden. Mit Crawl zeigte seine Formkurve im Horrorbereich allerdings wieder nach oben. Denn der Alligator-Horrorstreifen überzeugte in puncto Atmosphäre und Dramatik auf voller Länge.
Dass er nun an Oxygen geraten ist, einen Klaustrophobie-Thriller, der über Netflix zur Veröffentlichung kam, war nicht von vornherein klar. Ursprünglich war der Film bereits 2017 angekündigt – mit Anne Hathaway! in der Hauptrolle. Später sollte Hathaway durch Noomi Rapace ersetzt werden und Aja tauchte erstmals in Verbindung zu der Produktion auf – allerdings zunächst als Produzent. Erst Mitte des letzten Jahres kam dann mit Mélanie Laurent die finale Besetzung der Hauptfigur an Bord und Aja übernahm die Regie. So weit, so gut.
Wer sich die Story oben kurz durchgelesen hat, der wird sich jetzt vermutlich etwas den Kopf kratzen. Gab’s so etwas nicht schon mal? Jemand, der in einem engen „Gefäß“ eingesperrt wurde, keine Ahnung hatte, wie er dort hinein kam und nur ein Mobiltelefon hat, um mit der Außenwelt zu kommunizieren?
Richtig. Buried hieß der Film und war mit Ryan Reynolds in der Hauptrolle prominent besetzt. Regisseur Rodrigo Cortés verdichtete seine Story damals zu einem ungemein fesselnden Erlebnis, bei dem sich die Enge und Luftknappheit des Protagonisten physisch auf den Betrachter übertrug.
Das Skript von Christie LeBlanc zu Oxygen scheint sich zunächst einmal den gleichen Zutaten zu bedienen und beschwört eine ähnlich klaustrophobische Atmosphäre herauf. Die Tatsache, dass die Hauptfigur hier noch nicht einmal weiß, wer sie ist, unterstützt die zunächst spannenden Fragen nach dem Wo, Warum und (eben dem) Wer. Das gerät vor allem deshalb so packend, weil Aja das futuristische Innere der Kryokammer durch seinen Kameramann Maxime Alexandre immer wieder mit innovativen Kamera“fahrten“ und aus ungewöhnlichen Blickwinkeln präsentiert. Aja hatte mit Alexandre schon in Crawl zusammen gearbeitet und ihm in der Enge der schlammigen Gänge alles abverlangt. Vor seiner Arbeit für Oxygen muss man allerdings noch mehr den Hut ziehen, wenn man bedenkt, in welcher Enge er die Kamera bewegen musste und wie nah er dabei immer an die Hauptdarstellerin musste. Dass man da als Zuschauer schon ganz ohne Panikausbrüche der Frau in dem engen Kokon Beklemmungen bekommt, ist maßgeblich dieser Kameraarbeit zu verdanken. Gleichzeitig sollte man ein Lob für das Produktionsdesign aussprechen, das die elektronischen Elemente und Lichtbögen sowie den zwischenzeitlich auftretenden elektrischen Arm so stylisch wie glaubwürdig erscheinen lässt.
Inhaltlich mag Oxygen zunächst nichts wirklich Neues oder Innovatives präsentieren, da es sich zunächst sehr eng in den Grenzen der Story von Buried Alive bewegt. Doch wenn man bedenkt, dass die Produktion mitten in der Covid-19-Pandemie stattfand, kann man durchaus eine Parallele zum aktuellen Geschehen ziehen. Immerhin ist das Gefangensein in der engen Kryokammer praktisch die manifestierte Angst vor der totalen Isolation in einer Zeit, in der Sozialkontakte vermieden wurden. Ob’s von Aja intendiert war, lässt sich nur spekulativ beantworten, da das Drehbuch deutlich vor Corona geschrieben wurde. Dennoch passt es natürlich in diese Zeit.
Dass Oxygen über weite Strecken gut funktioniert und spannend ist, liegt aber vor allem auch an Mélanie Laurent. Ihr Kampf mit sich selbst und der Kryokapsel gelingt jederzeit glaubwürdig und echt. Wenn sie sich zu Beginn aus ihrem folienartigen Kokon befreit und sich den langen Schlauch aus dem Arm zieht, fühlt man die Panik und den unangenehmen Druck in der Vene selbst. Was dem Film etwas den Thrill raubt, sind die (scheinbaren) Fakten, die sich im Gespräch mit der Außenwelt offenbaren. Zum einen gibt es hier lange nur weitere Fragen anstelle von Antworten (was irgendwann etwas anstrengend wird) und zum anderen animieren diese Fakten nicht so richtig zum Miträtseln. Allerdings nimmt das Thema wieder etwas an Fahrt auf, wenn die erste große Antwort mal gegeben ist. Denn dann muss unsere Protagonistin schwierige Entscheidungen treffen, die sie mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontieren.
Bild- und Tonqualität
War es zuletzt schwierig zu erfahren, ob eine Netflix-Produktion in 4K nativ gedreht und gemastert wurde, bildet Oxygen hier mal wieder eine wohltuende Ausnahme. Laut imdb kam eine ARRI Alexa LF zum Einsatz, die in 4.5K aufzeichnet. Das Ganze kam dann über ein 4K Digital Intermediate inkl. Dolby Vision Kontrastdynamik in den Stream und sieht zunächst mal eins aus: Dunkel. Aber das ist natürlich absolut filmbedingt. Denn gerade der in rotes Licht getauchte Anfang bietet kaum Helligkeit. Dennoch bleibt das Bild ruhig und weist selbst unter diesen schwierigen Licht- und Farbbedingungen kein Banding auf. Auch wenn dann ein bläulicher Lichtkegel für mehr Helligkeit im Kryosarg sorgt, bleiben Artefakte fern. Die Bildruhe ist dauerhaft hoch und die Schärfe in den vielen Close-ups (eigentlich besteht der Film ja nur aus Naheinstellungen) ist hervorragend. In Laurents Gesicht kann man jedenfalls jede Einzelheit erkennen. Vor allem, wenn auf ihrem Gesicht der Schweiß ein wenig glänzt, sind das beeindruckend klare Aufnahmen.
Oxygen liefert nicht nur ein 4K-Dolby-Vision-Bild, sondern auch eine Dolby-Atmos-Tonspur. Wer sich jetzt bereits gefreut hat, dass er den Film im Original mit 3D-Sound schauen kann, sollte wissen, dass es sich um eine französische Produktion handelt. Mit französischem Regisseur und französischer Hauptdarstellerin. Der O-Ton ist entsprechend ebenfalls in Französisch. Wer also aus seinem Schulwissen nur noch „merci“ und „je t’aime“ hervorzukramen in der Lage ist, sollte zumindest die Untertitel aktivieren. Tut er dies, kann er sich über den Atmos-Sound freuen, der dem Film akustisch eine weitere Ebene hinzufügt.
Aber beginnen wir beim deutschen Ton, der in Dolby Digital Plus vorliegt und schon mal sehr räumlich und dynamisch eröffnet, wenn die Bilder der Maus im Labyrinth zu sehen sind. Auch der sehr reduzierte Score sorgt für Akzente, wenn die gezupften Saiten von einem Lautsprecher zum anderen wandern, während das dumpfe Atemgeräusch zu hören ist. Der Center gibt die ebenso gedämpften Dialoge sehr authentisch wieder – was bedeutet, dass sie (bedingt durch die Enge des Kastens) etwas belegt klingen. Die Stimme von M.I.L.O. schwebt etwas stärker über dem Geschehen und bietet durchaus Volumen. Etwas klarer dürfte das Organ von Florian Halm (unter anderem Synchronsprecher von Jude Law) allerdings abgemischt sein. Das französische Original klingt hier voluminöser und gleichzeitig harmonischer.
Die französische Atmos-Spur nutzt die Heights durchweg für Akzente des Scores, liefert aber auch die Atemgeräusche und Stimme unserer Protagonistin von oben. Das ist hier durchaus korrekt, denn immerhin handelt es sich um einen extrem engen Raum, in dem die Akustisch letztlich rundherum und allgegenwärtig ist. Hervorragend ist dann die Umsetzung der Computerstimme von M.I.L.O.. Dessen Organ, das irgendwo vom oberen Rand der Röhre zu kommen scheint, wird mit jedem gesprochen Wort sehr prägnant aus den Heights wiedergegeben. Da Mathieu Amalric, der den Computer spricht, eine sehr angenehme und tiefe Stimme hat, die sich dann samtig auf sämtliche Speaker legt, hat das schon Gänsehautcharakter. Hinzu kommen immer wieder ein paar elektronische Geräusche der Kyro-Kapsel selbst. Richtig klasse sind auch die Geräusche vom Roboterarm, der schon mal ein Sedativum „spendieren“ möchte und dann hektisch surrend über alle Speaker – inklusive der Heights huscht.
Fazit
Oxygen ist nicht ganz so nervenzerfetzend spannend wie Buried Alive mit Ryan Reynolds, bietet dafür aber einige überraschende Wendungen Ebenso hat das technisch-kühle Setting seinen Reiz und Mélanie Laurent spielt (wie es der Franzose sagen würde) formidable. Dazu liefert Netflix den Stream mit einer hervorragenden Bildqualität und einem sehr guten Ton ab. Wer mit Untertiteln keine Probleme hat oder aber des Französischen mächtig ist, sollte im Original schauen: Das Stimmvolumen von M.I.L.O.-Sprecher Amalric muss man über die Atmos-Fassung gehört haben.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 85%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität 2D-Soundebene (Originalversion): 85%
Tonqualität 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 60%
Tonqualität 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 80%
Film: 75%
Anbieter: Netflix
Land/Jahr: Frankreich/USA 2021
Regie: Alexandre Aja
Darsteller: Mélanie Laurent, Mathieu Amalric, Malik Zidi, Marc Saez, Laura Boujenah, Lyah Valade
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): fr // Dolby Digital Plus: de, en
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 101
Real 4K: Ja
HDR: HDR10, Dolby Vision
Datenrate: 103
Altersfreigabe: 12
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)
Trailer zu Oxygen
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Streams, BDs und UHD-BDs bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
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- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
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- Heights: 4 x Canton Plus X.3
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- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
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Im OTon kommt die M.L.I.O. genau da wo sein muss.
Schade das andere Sprachen nicht zumindest dort genau so bedient wurden.
Für mich leider nur als „Test“ okay, sonst muss ich mehr lesen als schauen.
… nicht zu vergessen das „The Hills have Eyes“-Remake. 😉
… und „Horns“ war auch interessant und „was anderes“. Aja hat eine ziemlich gute Quote finde ich.