Philomena

Blu-ray Review

OT: Philomena

Philomena Blu-ray Review Cover
Universum Film, 12.09.2014

 

 


Vergangenheitsbewältigung

Stephen Frears Philomena gehört zu den besten Filmen des letzten Kinojahres. Warum das so ist, lest ihr in den folgenden Zeilen.

Inhalt

Philomena Lee hat ihrer Tochter gerade erst gebeichtet, dass sie einen Halbbruder hat. 50 Jahre ist dieser nun gerade geworden und Philomena blickt zurück. Zurück auf eine Zeit, da ihr Vater sie wegen der frühen Schwangerschaft ins Kloster geschickt hat. Vier Jahre lang musste sie dort verweilen und Dienste verrichten, bis die Nonnen Philomenas Sündenfall damit bestraften, dass sie ihren Sohn zur Zwangsadoption freigaben. Seitdem hat sie ihn nicht mehr gesehen. Etwa zur gleichen Zeit wird dem Journalisten Martin Sixsmith der Job gekündigt. Eine zufällige Begegnung zwischen Philomenas Tochter und Martin auf einem Empfang bringt den überzeugten Atheisten mit der ebenso gläubigen wie resoluten alten Dame zusammen. Anfangs noch skeptisch, stellt sich bald heraus, dass hinter der vermeintlich profanen „Human-Interest“-Geschichte mehr steckt. Aber nicht nur das: Während der gemeinsamen Recherchen nach dem verlorenen Sohn Philomenas stoßen journalistischer Zynismus und gutgläubige Gottesehrfurcht aufeinander; investigative Nachforschungen und Skeptizismus treffen auf den Wunsch einer einfachen Frau, zu wissen, ob es ihrem Sohn gut geht. Die Reise führt die Zwei in die USA, in die die Nonnen die Kinder häufig verkauft hatten, und dort warten einige Überraschungen auf Philomena und Martin ..

Von allen Filmen, die bei der letztjährigen Oscar-Verleihung trotz zahlreicher Nominierungen leer ausgingen, gehört Stephen Frears Philomena wohl zu denen, die einen Goldjungen am deutlichsten verdient gehabt hätten. Die auf wahren Begebenheiten und dem Buch des Journalisten Martin Sixsmith basierende Geschichte wird wohl niemanden kalt lassen, der auch nur ein geringfügiges Interesse an gut erzählten Dramen hat. Das großartige Drehbuch hält nicht nur fantastisch pointierte Dialoge bereit, sondern zahlreiche, im Gedächtnis bleibende Szenen. Grandiose Momente wie jene, in der die 70-jährige von ihrer Klitoris erzählt und der verdutzte Journalist kaum reagieren kann oder wenn Philomena von ihrem gerade gelesenen Trivialroman berichtet und Coogan zunehmend die Gesichtszüge entgleisten. Neben den fesselnden dramatischen Ereignissen der Vergangenheit und Gegenwart sind genau das die Momente, die Philomena zu einem besonderen und ergreifenden Film werden lassen.

Natürlich ist das nicht nur das Verdienst der sensiblen Regie Frears‘, sondern vor allem jenes der beiden Hauptdarsteller von Philomena. Der eigentlich auf oberflächlicher komische Rollen abonnierte Coogan (das kennt man schon von Steve Carell in Little Miss Sunshine) ist sensationell in seiner ernsten Rolle voll bitteren Zynismus und ohne Schenkelklopfer-Attitüde und harmoniert perfekt mit einer Judi Dench, die bis in die letzte Eigenschaft ihrer Philomena präzise und großartig agiert. Wie sie zeitgleich Stereotype nutzt, um sie charmant als solche zu entlarven, wie sie die unbändige Traurigkeit einer Frau darstellt, die fürchtet, der ihr genommene Sohn könnte eventuell nie an sie gedacht haben – das ist Schauspiel auf so hohem Niveau, dass es eine wahre Freude ist, dabei zuzuschauen.
Frears hält dabei als Inszenator die Zügel locker, erlaubt trotzt des ernsten und tiefgreifenden Hintergrunds einen leichten Zugang für den Zuschauer und trifft immer den richtigen Ton. Tatsächlich gelingt es nur selten einem Film, derart ausgeglichen die Waage zwischen Humor und Tragik zu halten.
Nicht zu vergessen, die wahrlich unfassbaren Hintergründe, die zur Entstehung der Geschichte überhaupt führten. So kommen die irischen Nonnen wie schon in Die unbarmherzigen Schwestern von Peter Mullan (dem Coogan sogar in einer Szene seine Referenz erweist) nicht gut weg. Es ist schon unglaublich, mit welchen Methoden diese gearbeitet haben, um ihr Bild von Unschuld und Sünde zu verbreiten und den jungen Mädchen einzutrichtern.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Philomena ist während der Rückblicke ziemlich unscharf und grobkörnig. In der Gegenwart wird’s deutlich ruhiger und warme Farben dominieren ebenso wie eine recht gute Schärfe in Close-ups. Die Kontraste fallen eher weich aus. Mit dezenter Räumlichkeit während der Außenaufnahmen (Jahrmarkt, Straßenatmosphäre) lockert der Ton von Philomena die grundsätzliche Dialoglastigkeit auf. Das zieht sich ebenso wie der luftige Score durch den gesamten Film, der extrem homogen und authentisch wirkt.

Bonusmaterial

Neben zwei Gesprächen mit Dame Judi Dench und Co-Autor Steve Coogan wartet im Bonusmaterial von Philomena noch ein kurzes Feature, in der die echte Philomena Lee zu Wort kommt, sowie eines, das die Geschichte des Films mit Kommentaren aller Beteiligten und der beiden echten Vorbilder der Hauptfiguren anreichert. Ein Audiokommentar mit Coogan ist über das Audio-Setup erreichbar.

Fazit

Philomena ist ein absoluter Glücksfall von einem Film: Traurig, bewegend, entlarvend und mitunter voll großartiger Komik – dank einer fantastischen Inszenierung und zweier Hauptdarsteller, die immer gut waren und hier wohl eine ihrer besten Leistungen überhaupt abgeliefert haben.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 50%
Film: 100%

Anbieter: Universum Film
Land/Jahr: GB 2013
Regie: Mac Carter
Darsteller: Dame Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark, Anna Maxwell Martin, Ruth McCabe
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 98
Codec: AVC
FSK: 6

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen!