Rammstein: Paris Live Special Edition

Blu-ray Review

Rammstein Paris Blu-ray Review Cover
Universal Music, 19.05.2017

OT: –

 


Fett geworden …

…. und das nicht nur in Sachen Sound und Feuerwerk …

Inhalt

Rammstein sind tatsächlich ein schwer erklärbares Phänomen. Von vielen verachtet, von anderen geliebt, konstatiert der Kunst-Intellektuelle, dass die Kompositionen der Band in ihrer Einfachheit die Musik geradezu pervertieren und der Literaturwissenschaftler bekommt Ohrenkrebs, wenn er sich Lindemanns lyrisch verklausulierte Sex- und Gewalt- und Leidtexte anhört. Und dennoch ist die Formation rund um ihren Sänger der bekannteste deutsche Rock-Export seit den Scorpions und der erfolgreichste deutsch Singende noch obendrauf. Selbst in den USA verehrt man das Sextett und Kultregisseur David Lynch veranlasste, dass gleich zwei Stücke der Berliner Band auf den Soundtrack seines Lost Highway gelangten. Der Verbund aus martialischem Auftritt, simplen (zum Mitsingen geradezu herausfordernden) Texten und sägenden Gitarrenbeats muss es wohl sein, der in Kombination mit den pyrotechnischen Feuerwerken während der Live-Auftritte dafür sorgt, dass Rammstein seit mittlerweile 22 Jahren höchst erfolgreich durch sämtliche Länder ziehen. Im Zuge ihres Best-of-Albums zum 20. Jubiläum kam entsprechend (erneut) die Idee auf, einen Filmmitschnitt zu produzieren. Während zweier Konzerte im Palais Omnisports de Paris-Berc im März 2012 nahm man die Songs auf und vertraute dabei auf Jonas Åkerlund, der als Regisseur schon die Videos zu „Pussy“, „Mein Land“ oder „Ich tu dir weh“ inszeniert hatte. Der Videoclip-Ästhet, der schon mal selbst als Schlagzeuger unterwegs war (Bathory), hat mittlerweile eine Vita wie kaum ein anderen im Bereich der Musik-Dokus und -filme.

Allerdings lässt er bei Rammstein: Paris dann doch arg raushängen, dass er ein „Künstler“ ist. Kein Wunder, dass er zwei Jahre alleine für den Schnitt brauchte, wenn man bedenkt, dass zu Beginn von „Sonne“ jedes Bild maximal für eine Zehntelsekunde zu sehen ist. Wem nach zwei Minuten noch nicht schwindelig oder schlecht ist, der fährt auch Nonstop in der Achterbahn. Für Fans, die einfach nur ein Konzert und die Show genießen wollen, ist das allerdings bisweilen schwer zu ertragen. Man hat den Eindruck, dass Åkerlund seine 25 oder 30 genutzten (die Angaben widersprechen sich da teils) Kameras unbedingt in jedem einzelnen Song verwenden wollte – auf dicke Hose machen nennt man das wohl unter Gleichgesinnten. Glücklicherweise hält er dieses Stakkato nicht bis zum Ende aufrecht und lässt bspw. beim intimeren Set mitten im Publikum nach gut 70 Minuten den Fokus auch mal für ein bis zwei Sekunden auf einer Position. Jetzt ist es natürlich so, dass die Musik von Rammstein durchaus zu wilden Eskapaden verleitet, doch Åkerlund erzeugt mutwillig Dynamik, wo sie so krass eigentlich gar nicht ist. Selbst bei „Mutter“, einem dann doch eher getragenen Song, wechselt das Bild im Refrain viel zu oft und die Überblendungen während der Strophen schaffen es nicht mal bis zum völligen Aufbau eines jeden Bildes – Herr Åkerlund, hier haben sie es wirklich maßlos übertrieben.

Musikalisch sind Rammstein allerdings durchaus respektabel unterwegs. Zum einen hat Lindemann im Laufe der Jahre seinen zu Beginn doch eher limitierten Gesang hörbar verfeinert und zum anderen gehen 20 Jahre Konzerterfahrung an einem eingespielten Team, das nie Besetzungswechsel erfahren hat (auch eine Leistung) nicht spurlos am Können vorbei. Allerdings sind Rammstein, bzw. Frontmann Till Lindemann mittlerweile doch recht statisch geworden. „Früher war mehr Lametta“, könnte man sagen, und nicht nur körperlich entwickelt sich der Sänger langsam zum Steven Seagal der harten Rockmusik. Dabei sollte man meinen, dass das ganze schwere Equipment (von der Montur bis zum massiven Flammenwerfer) in Verbindung mit zweistündigen Bühnenshows unter erschwerten Hitze-Bedingungen für mehr körperliche Fitness sorgen würde.
Mehr Lametta in Form von Show und Pyrotechnik geht allerdings kaum und das können Rammstein noch immer. Ob das der martialische Einzug auf die Bühne ist, der massive Einsatz von Feuer zu „Feuer frei“ oder der mittlerweile standardmäßige Auftritt zu „Mein Teil“, der massiv an Eli Roths Hostel erinnert. Wenn Lindemann mit blutverschmiertem Gesicht seinen Keyboarder Christian Lorenz im riesigen Kochtopf zu flambieren sucht, wirkt das wie ein Live-Horrorfilm mit musikalischer Untermalung. Am Ende sind es halt doch immer noch die „Kids, die neue Spielsachen ausprobieren“, wie Richard Z. Kruspe im Bonusmaterial erzählt. Dabei können sie eben auch anders, wie sie beim intimen Set von und „Bück dich“, „Mann gegen Mann“ und „Ohne dich“ zeigen, wenn sie inmitten des Publikums auf einer kleinen Bühne mit reduzierter Ausstattung spielen – mithin die stärksten Momente des Konzerts.
Das Highlight hält sich Rammstein: Paris allerdings fürs Finale NACH dem Abspann auf, wenn die Band, dem Spielort gerecht werdend, „Frühling in Paris“ vor begeisterten französischen Fans intoniert.

Bild- und Tonqualität

Wenn 25 teils unterschiedliche Kameras zum Einsatz kommen und der Regisseur Jonas Åkerlund heißt, kann die Bildqualität nicht konsistent sein. Von schwarz-weiß-Aufnahmen über brutal einsetzendes Korn bis hin zu sehr rauscharmen und kontraststarken Bildern reicht die Palette und liefert damit für jeden Geschmack etwas. Am schlechtesten geraten die Bilder von Keyboarder Flake, die stark rangezoomt sind und ebenso wie manche Aufnahme von Lindemann sehr unscharf bleiben (12’06). Besser sind Detailaufnahmen von Richard Z. Kruspe, Paul Landers und Oliver Riedel. Auch das „Ketten“hemd von Schlagzeuger Christoph Schneider ist in der Regel knackig zu sehen. Insgesamt hat man aber schon bedeutend bessere Transfers gesehen und fühlt sich bisweilen nicht mal im Full-HD-Zeitalter.
Akustisch weist die Blu-ray von Rammstein: Paris leider das größte Ärgernis auf. Lief der Film im limitierten Kino-Release noch mit Dolby-Atmos-Ton und wurde dies auf den meisten Online-Kaufportalen für die Blu-ray noch ebenso kommuniziert, muss man enttäuschend konstatieren, dass vom 3D-Sound nur eine 2D-Ebene mit dts-HD-Master, bzw. Stereo-Kodierung übrig geblieben ist. Der Atmos-Sound wäre mal ein echter Kaufanreiz gewesen. Schade und gerade für viele Vorbesteller der Disk ein echtes K.O.-Kriterium.
Dabei ist die Mehrkanalversion in dts-HD-MA wirklich sehr gut geworden. Mit breiter Bühne, hörbarer Live-Atmosphäre und präsentem Publikum gefällt der Rundumklang äußerst gut. Die Instrumente sind differenziert hörbar, wenngleich die Becken- und Hi-Hat-Arbeit des Schlagzeug etwas wässrig-verschwommen klingt. Außerdem könnte die Bassdrum noch etwas mehr Druck ins Heimkino pumpen. Der Subwoofer geht verhältnismäßig zaghaft zu Werke. Hervorragend abgemischt ist allerdings Till Lindemanns Organ, dessen Bariton absolut präsent transportiert wird. So versteht man jedes Wort ganz hervorragend. Außerdem gelangt die Zuschauer-Atmosphäre wunderbar zum Hörer – gerade, wenn bspw. zwischen Songs wie „Feuer frei“ und „Mutter“  kurze Zeit mal keine Musik läuft. Ebenfalls klasse hat man die pyrotechnischen Feuerwerkseffekte integriert, die man nicht einfach rausgefiltert hat, sondern als Teil des Geschehens integriert, was zu größtmöglicher Authentizität zwischen Sehen und Hören führt. Gar nicht authentisch sind die Fehler, die man teils offenbar bewusst machte. So wird bei „Haifisch“ und Flakes Fahrt im Gummiboot das Publikum mitunter drastisch gemutet, was fast ein Knacksen in den Speakern zur Folge hat.
Der 2.0-Stereo-Ton ist deutlich leiser abgemischt und klingt alles in allem tatsächlich matschiger und weniger differenziert. Man hat schon mal das Gefühl, dass für den Bombast-Sound nicht genug Platz zur Verfügung steht. Außerdem klingt das Publikum, als hätte man es mit einem 80er-Jahre-Walkman aufgenommen und auf die Scheibe gepackt.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Rammstein: Paris gibt’s neben den beiden Audio CDs ein Making-of, das mit 13 Minuten ein wenig kurz geraten ist, immerhin aber ein paar Stimmungen vor der Halle einfängt und das eine oder andere Details zu den aufwändigen Dreharbeiten verrät. Schade, dass man nicht alle Mitglieder der Band mal vors Mikro geholt hat.

Fazit

Rammstein: Paris ist ein musikalischer Querschnitt einer bemerkenswerten Band, die lange nicht jeder mag und die doch ihre Berechtigung hat. Leider hat der Regisseur sein Engagement dazu missbraucht, eine Schnittabfolge zu setzen, die jeden Epileptiker in die Horizontale bringt – eine Warnung vor Beginn der Blu-ray wäre hier durchaus angebracht. Sound-Freunde ärgert zudem der fehlende Atmos-Ton aus den Kino-Vorführungen und die Bildqualität ist ebenso gemischt wie teilweise mies. Wer sich die Bilder einmal gegeben hat, der lässt den Fernseher vielleicht doch lieber aus und hört sich nur den Ton an.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dts HD-Master): 80%
Tonqualität (PCM 2.0): 60%
Bonusmaterial: 30%
Konzert: 70%
Visuelle Umsetzung: 50%

Anbieter: Universal Music
Land/Jahr: Deutschland 2016
Regie: Jonas Åkerlund
Darsteller: Till Lindemann, Richard Z. Kruspe, Paul Landers, Oliver Riedel, Christoph Schneider, Christian Lorenz
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de // PCM 2.0 Stereo: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 128
Codec: AVC
FSK: 16

Trailer zu Rammstein: Paris

Rammstein: Paris - Official Trailer #3 (German Version)

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3 Kommentare
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Patrick Hürlimann

Christoph Schneider, wieso hast Du Dich nicht dafür eingesetzt das der Parisfilm mit mehr Respekt gegenüber dem Drum abmischen gemacht wird. Die Meindl Cymbals in
Nimes (Völkerball) tönen viel besser. So nützen Dir die besten Sabian Cymbals nichts.
Hättet ihr so abgenommen und gemischt wie in Nimes und alle Blueray’s mit Dolby HD Athmos ausgestattet. Wau, das wäre ein Werk! Ihr braucht keinen Åkerlund. Paddy, Drumer

Schlichi

Danke Timo für den treffenden Bericht!
Ich hatte mir die ganze Box mit vier blauen Schallplatten bestellt. Die Box ist wertig und macht wirklich Lust aufs Hören. Beim Auspacken hatte mich über das Gesamtpaket gefreut. Nachdem ich die erste Schallplatte aufgelegt hatte, machte sich bereits Enttäuschung breit. Wie oben geschrieben ist die Band im Klangbild klein, matschig, und weit hinten. Gut getroffen ist der Vergleich mit dem Walkman im Publikum. Besser klingen die Schallplatten leider nicht. Ich habe daraufhin die Box wieder retourniert.