Blu-ray Review
OT: Room
Liebe überwindet Zeit und Raum
Intensives Drama einer Mutter, die mir ihrem Sohn jahrelang in einem Raum gefangen gehalten wird.
Inhalt
Trotzdem dass Jack den Morgen wie jeden anderen begeht und alles begrüßt, was er kennt – vom Waschbecken über die Toilette bis hin zum Schrank und dem Teppich, ist es ein ganz besonderer Morgen. Denn Jack feiert heute seinen fünften Geburtstag. Dass er bisher nichts anderes gesehen hat, als diesen einzigen engen Raum, in dem er mit seiner Mutter Joy seit seiner Geburt lebt, hindert ihn nicht daran, sich über den Anlass zu freuen. Einzig die fehlende Kerze auf dem Kuchen stimmt ihn traurig, weshalb er seine Ma darum bittet, für seinen nächsten Geburtstag von „Old Nick“, dem Mann, der sie in diesem Kerker gefangenhält, um eine solche zu bitten. Joy aber realisiert, dass sie ihn nicht auf ewig davor bewahren kann, dass er die Realität nur aus dem Fernseher kennt. Also plant sie die Flucht. Dafür muss sie ihrem Filius aber erst einmal erklären, dass es eben doch mehr gibt als diesen einen Raum, der für Jack die Realität, ja die Welt darstellt …
Brie Larson, die Hauptdarstellerin von Raum hat im vergangenen Filmjahr so ziemlich alles gewonnen, was Schauspieler gewinnen können: Golden Globe, Oscars, Nafta – ihre Darstellung der jungen Mutter, die seit Jahren von ihrem Entführer in einem Kellerversteck gefangen gehalten wird und dort mit ihrem mittlerweile fünf Jahre alten Sohn Jack lebt, ist aber auch einfach dermaßen gut, dass der Zuschauer immer wieder eine Gänsehaut bekommt. Ohne jede Schwierigkeit kann man sich in ihre Situation hineinfühlen, empfindet nach, wie es sein muss, ein Kind in einem Kerker großzuziehen und ihm nicht zeigen zu können, wie schön die Welt ist. Von Verzweiflung über Wut bis hin zu Freude, Spaß und Hoffnung – Larson setzt diese Emotionen mühelos frei und bindet den Zuschauer an einen Film, der kaum spannender, gefühlvoller und gleichzeitig aufwühlender sein könnte. Dabei deutet der Film nur an, was der Entführer der Mutter antut, lässt lediglich die stöhnenden Geräusche des Mannes hören, wenn der sich Abends an ihr vergeht. Stattdessen konzentriert sich Raum in diesen Momenten auf Jack und lässt ihn als Erzähler davon berichten, was er von der Welt weiß. Lenny Abrahamson, der zuletzt mit Frank bewies, dass er ein Regisseur für besondere Stoffe ist, erzählt in seinem jüngsten Werk auch keine Geschichte von Gefangenschaft, sondern eine von Freiheit und Hoffnung. Die Begegnungen mit „Old Nick“ bleiben gerade so kurz, dass man die Bedrohung nachempfinden kann, ohne dass hier Voyeure auf ihre Kosten kommen. Raum, dessen Geschichte auf dem Bestseller-Roman von Emma Donoghue basiert und der natürlich Erinnerungen an die Entführung und das Leben von Natascha Kampusch sowie der unglaublichen Taten von Josef Fritzl freisetzt, begeht zu keiner Zeit den Fehler, diese wahren Ereignisse zum Selbstzweck einzusetzen. Vielmehr ist das Drama eine kraftvolle Demonstration für den Überlebenswillen einer jungen Frau und ihres Kindes. Natürlich schildert der Film aber auch die Schwierigkeiten und den harten Alltag, den das Leben im Schuppen mit sich bringt.
Unfassbar intensiv und aufreibend sind beispielsweise die Momente, in denen die Mutter versucht, ihrem Sohn zu erklären, dass es noch etwas außerhalb dieses Raumes gibt, weil sie die Flucht vorbereitet. Jack, der denkt, dass Bäume, Hunde und andere Tiere nur im Fernsehen existieren, kann überhaupt nicht begreifen, welche Geschichte er da gerade zu hören bekommt. Er will gar nicht alt genug sein, um die Wahrheit zu erfahren und rebelliert, da er sich und seinen Mikrokosmos bedroht sieht. Augenblicklich fühlt man sich als Zuschauer selbst in der Situation und überlegt, wie man einem Jungen in kurzer Zeit klarmachen kann, dass man ihm fünf Jahre lang entscheidende Fakten vorenthalten hat. Auch die sich daran anschließende Vorbereitung für die Flucht, in der sie Jack notgedrungen dazu instrumentalisiert, sind mitunter kaum zu ertragen. Sie muss ihrem gerade fünfjährigen Sohn einfach alles abverlangen, damit beide gemeinsam aus ihrem Verlies hinauskommen. Und dann muss sie ihn loslassen, ohne zu wissen, ob der Plan funktioniert und Jack nicht auffällt. Sie könnte ihn womöglich niemals wiedersehen und trotzdem für immer in dem Versteck gefangen bleiben – eine grausame Vorstellung. Dass die sich daran anschließenden Momente in der Freiheit nach einer nervenzerrend spannenden Sequenz einen unbeschreiblichen Kloß im Hals verursachen, wenn Jack das erste Mal den blauen Himmel sieht, zeigt, wie intensiv man sich von Raum hat einnehmen lassen. Neben Brie Larson ist das auch Jacob Tremblay (Die Schlümpfe 2) zu verdanken, den man als Jack nicht hätte besser auswählen können. Ohne übertrieben zu agieren, nimmt man ihm jede Emotion ab und schaut gebannt zu, wenn er das erste Mal seinen Fuß auf einen ihm völlig fremden Boden im Krankenhaus setzt, die Wand berührt oder aus dem Fenster schaut. Wüsste man es nicht besser, glaubte man tatsächlich, dieser Junge hätte die Welt da draußen noch nicht gesehen. Auf ihn konzentriert sich das Geschehen auch nachdem die Zwei endlich die Freiheit erlangt haben. Die Anpassung an die Realität und an Verhältnisse, der Umgang mit fremden Menschen, die aufdringlichen Medienvertreter – all das muss ein Fünfjähriger, der noch nie einen 15qm Raum verlassen hat, erst einmal begreifen. Raum verliert storytechnisch im zweiten Teil zwar etwas Tempo, schildert dafür aber umso eindrücklicher, dass mit dem Erlangen der Freiheit die Probleme nicht aufhören. Ganz im Gegenteil: Die sieben Jahre in Gefangenschaft nötigten der Mutter Disziplin und Durchhaltevermögen ab. Sie musste mit der Situation umgehen und schaffte es – sogar als sie ein Kind bekam. Nun, da die Welt wieder ihre Türen geöffnet hat, ist es umso schwieriger, mit der veränderten Situation, dem Schmerz und dem Blick auf die Zukunft zurechtzukommen. Vielleicht begeht der Film hier seinen einzigen kleinen Fehler, wenn er die Reporterin zum Sprachrohr von Schuldgefühlen werden lässt. Ein Exklusiv-Interview mit einer soeben aus einer siebenjährigen Gefangenschaft entkommenen würde mit großer Sicherheit nicht so unsensibel ablaufen.
Bild- und Tonqualität
Die geringen Lichtverhältnisse im Verlies täuschen nicht darüber hinweg, dass das Bild von Raum beständig ruhig und rauscharm bleibt. Naheinstellungen sind scharf und das Spiel mit geringer Schärfentiefe lässt Details und Figuren plastisch im Raum stehen. Ab und an geraten die Protagonisten dann aus dem Fokus der Kamera, was aber gewolltes Stilmittel ist. Der Kontrastumfang bewegt sich im mittleren Bereich, Farben sind etwas reduziert aber immer noch natürlich. Später, in der Freiheit wird das Bild heller und etwas kontrastreicher. Schwarztöne bleiben dennoch etwas schwächer.
In Sachen Raumakustik bleibt Raum zentral auf den Center beschränkt und nutzt die Rearspeaker nur selten. Dies meist, wenn der leise Soundtrack erklingt oder wenn im späteren Verlauf Umgebungsgeräusche hinzukommen. Die Dialoge sind hingegen stets sauber und hervorragend verständlich. Sehr weiträumig kommen indes die Kommentare von Jack aus sämtlichen Lautsprechern und erfüllen den Raum. Und wenn am Ende des Films die Geigen erstmals voluminös erklingen, wirkt es, als habe der Sound zwei Stunden auf diese Gelegenheit gewartet.
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial von Raum besteht aus einem 12-minütigen Making-of, das vor allem die Originalgeschichte der Romanvorlage betrachtet und wie die Darsteller zum Projekt kamen. Auch Autorin Donoghue, die das Drehbuch selbst verfasste, kommt zu Wort. In „3,5×3,5“ geht es dann um die visuelle Gestaltung des Raums. Die Kooperaton zwischen Produktionsdesigner und Kameramann ermöglichte dabei den größtmöglichen Realismus und das Featurette offenbart eine unglaubliche Liebe zum kleinsten Detail. „Die Nachbildung“ schließlich stellt dar, wie man das Set nach den Dreharbeiten zu einer Kinopremiere und gleichzeitigen Ausstellung fuhr und dort wieder aufbaute, um den Zuschauern und Besuchern der Ausstellung eine ganz besonders intensive Erfahrung zu ermöglichen. Der Audiokommentar, den der Regisseu gemeinsam mit dem Kameramann, dem Set-Designer und dem Cutter eingesprochen hat, rundet das Angebot ab.
Fazit
Raum schildert das Schicksal seiner beiden Protagonisten mit einer unglaublichen Kraft und Intensität. Getragen von zwei herausragenden Schauspielleistungen bekommt man einen Eindruck von dem, was der normale Menschenverstand eigentlich gar nicht fassen kann – sicher eines der Drama-Highlights 2016!
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 50%
Film: 90%
Anbieter: Universal Pictures
Land/Jahr: Irland/Kanada 2015
Regie: Lenny Abrahamson
Darsteller: Brie Larson, Jacob Tremblay, Joan Allen, Sean Bridgers, Tom McCamus, Amanda Brugel, Cas Anwar, Wendy Crewson, William H. Macy
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 118
Codec: AVC
FSK: 12