Roma – Netflix

Blu-ray Review

Netflix, 14.12.2018

OT: Roma

 


Zwei Frauen

Alfonso Cuarón liefert erneut ein Meisterwerk ab – frisch prämiert mit drei Oscars.

Inhalt

roma-netflix-review-szene-4.jpg
Ahnt Sofia schon, dass ihr Mann nicht mehr zurück kommt?

Cleo hat es besser erwischt als manch anderer Nachkomme der mexikanischen Ureinwohner. Sie arbeitet bei einer sechsköpfigen Familie als Kindermädchen und Haushälterin, kümmert sich um die Wäsche, um den Hund und das Essen. Die vier Kids lieben sie und sie gibt ebenso Zuneigung zurück. Zwar wird sie von Sofia, der Mutter der Kinder, manchmal etwas angegangen, doch beim abendlichen Fernsehen ist sie fast ein Teil der Familie. Seit Kurzem trifft sich Cleo mit Fermín, einem jungen Mann aus den Slums, der den fernöstlichen Kampfsport liebt. Als sie diesem gesteht, dass sie vermutlich schwanger von ihm ist, macht er sich aus dem Staub. In etwa zur gleichen Zeit erfährt Sofia, dass ihr Mann mitnichten auf Geschäftsreise ist, sondern eine neue Frau hat und dafür seine Familie verließ. Die beiden Frauen sind nun auf sich gestellt und müssen sich auch vor dem Hintergrund von Unruhen durchs Leben schlagen …

roma-netflix-review-szene-1.jpg
Cleo erwartet ein Baby

Nein, das sind keine sanften Wellen, die am Sandstrand anbranden, während des gut vierminütigen Intros. Roma beginnt mit einem starken und inhaltlich aufgeladenen Bild, das Sehnsüchte weckt, dann aber abrupt in die Realität wechselt. In dieser Realität wischt Cleo den langen Flur des Gebäudes und das Putzwasser wird von der Kamera verfolgt, wie es Richtung Abfluss schwappt. Regie-Genie Alfonso Cuarón beobachtet danach, wie Cleo einige Räume inspiziert, Wäsche zusammen trägt und dann die Kinder der Familie, für die sie arbeitet, von der Schule abholt. Dabei hält er mit der Kamera bewusst Abstand. Aus der Entfernung schaut er sich an, was durchaus autobiografische Züge hat. Denn der Regisseur selbst wurde als Sohn eines Arztes in Mexiko-Stadt geboren und wuchs größtenteils unter der Aufsicht von Hausangestellten wie dem Kindermädchen Liboria Rodríguez auf. Zudem integriert der Regisseur, der seit seinem 2013 oscarprämierten Gravity keinen Film mehr gedreht hatte, jene Ereignisse, die bei ihm einen starken Eindruck hinterließen. Alfsonso war neun Jahre alt, als das Fronleichnam-Massaker an linken Studenten während deren Protesten gegen die Regierung Álvarez stattfand – eine historische Gewalttat, die im Land bis heute nachwirkt. Um dies alles möglichst authentisch zu filmen, begab er sich teilweise an Original-Schauplätze. Wäre das Licht vor Ort besser gewesen, hätte er gar in seinem Elternhaus gedreht.
Roma aber ist nicht zwingend ein politischer Film, sondern vielmehr eine Liebeserklärung an die beiden Frauen des Films, die ohne männliche Unterstützung ihr Leben zu meistern haben. Da ist zum einen Mixtekin Cleo, deren Wurzeln bei den Ureinwohnern des Landes liegen und die ohne Murren ihre Arbeit für die Familie verrichtet. Und da ist zum anderen Sofia. Die weiße Frau des gut situierten Mannes muss irgendwann feststellen, dass dieser die Familie verlassen und sie mit den vier Kindern allein gelassen hat.

roma-netflix-review-szene-3.jpg
Sofia bleibt alleine zurück

Vor dem Hintergrund der damaligen politischen Unruhen im Land schlagen sich Cleo und Sofia bald gemeinsam durchs Leben und Cuarón begleitet sie dabei. Roma kommt weitgehend ohne echten Spannungsbogen aus. Es gibt zugespitzte Situationen wie die Konfrontation Fermíns mit der Schwangerschaft durch Cleo oder die Unruhen, später im Film. Doch davon abgesehen zelebriert Roma das Leben an sich – er analysiert nicht, er beschreibt. Und er erzählt seine sehr kleine, sehr zu Herzen gehende Geschichte in klassischen Schwarz-Weiß-Bildern. Das allerdings nicht, um etwa die Trostlosigkeit oder die gewaltsamen Dinge der Zeit darzustellen, sondern vielmehr, um die Schönheit und Echtheit im Alltag zu finden. Im Zusammenspiel mit den teils groß angelegten Plansequenzen und 360°-Schwenks entsteht so eine beeindruckende Bildersprache, für die Cuarón schon seit Children of Men bekannt ist. Zudem beließ er es nicht bei der Authentizität der Bilder, sondern drehte in Spanisch. Nichts Neues, könnte man denken. Doch es gibt weltweit keine synchronisierte Fassung. Nicht in Englisch, Deutsch oder irgendeiner anderen Sprache. Viel „echter“ geht’s nicht.
Während der mexikanische Regisseur seine Darsteller oftmals eher aus der Ferne beobachtet, gibt es dennoch wunderbare Details. Beispielsweise, wenn er den Familienvater minutenlang dabei zeigt, wie er den großen Ford in Millimeter-Kleinstarbeit in die Hauseinfahrt bugsiert. Schon diese Szene ist eine Liebeserklärung ans Kino an sich (und bekommt einen witzigen Gegen-Entwurf nach etwa 90 Minuten)
Man muss sich im Klaren sein: Roma ist kein Mainstreamfilm. Keine seichte Unterhaltung zum Berieseln lassen. Man muss sich auf die Bilder und die fremde Sprache einlassen, muss akzeptieren, dass man Untertitel zu lesen bekommt und gut über zwei Stunden nicht wirklich rasantes Kino erlebt. Doch wer das mag und schätzt, der wird in Cuaróns jüngstem Film ein Meisterwerk entdecken.

Bild- und Tonqualität

roma-netflix-review-szene-2.jpg
Das war knapp

Roma wurde mit Kameras vom Typ ARRI ALEXA 65 aufgenommen, die am Ausgang 6,5K lieferten. Das Digital Intermediate wurde in 4K angefertigt, sodass der Stream bei Netflix in Real 4K vorliegt. Dazu integrierte man das dynamische HDR-Verfahren Dolby Vision. Was von Beginn an absolut begeistert, ist die extrem hohe Laufruhe. Hier trübt aber nicht mal ein hauchfeines Körnchen das Geschehen – unabhängig von der Helligkeit der Szenen. Dazu kommt eine Auflösung, die im Streaming-Bereich ihresgleichen sucht. Bisweilen sind Close-ups derart scharf, dass einem Angst und Bange wird (48’50) – trotz der geringen Datenrate von 15.26Mbps. Wer auf 55-65“ schaut, wird nur wenige so gut aufgelöste Filme bei Netflix finden. Die Kontrastgebung ist schon bei regulärem HDR10 hervorragend, wenn man über kein Dolby-Vision-fähiges TV-Gerät verfügt. Schwarz ist absolut satt und Spitzhelligkeiten sorgen für prägnante Detailtiefe. Es zahlt sich aus, dass Cuarón beim Dreh sehr darauf achten ließ, dass die vorhandenen Farben so neutral blieben, dass sie im späteren Schwarz-Weiß nicht zu Verfälschungen des Looks führten. Damit dies von den Abonnenten auch entsprechend korrekt dargestellt wird, hat Netflix im Übrigen extra eine Seite mit Empfehlungen veröffentlicht. Ihr findet diese hier: KLICK FÜR DIE KORREKTEN EINSTELLUNGEN. Wer Dolby Vision wiedergeben kann, freut sich über eine nochmals eindrucksvollerer Bilddynamik. Schwarz ist noch satter, ohne je zu versumpfen und die Spitzlichter definieren Kontrastdynamik neu. An diesem Bild gibt es durchweg absolut rein gar nichts zu mäkeln. Was vom Bild her schon nahezu Referenzwerte erreicht, wird vom Ton noch übertroffen. Könnte man eigentlich meinen, ein dialoglastiges Drama wie Roma hätte soundtechnisch nichts zu bieten, sieht man sich ganz schnell getäuscht. Schon das Schrubben der Fliesen zu Beginn ist ein Muster an Räumlichkeit und Direktheit. Sämtliche Bewegungen im Haus kann man nicht nur mit den Augen, sondern mit den Ohren perfekt verfolgen. Man müsste sich schon sehr anstrengen, um sich zu erinnern, jemals ein Drama gesehen zu haben, das einen derart räumlichen Ton hatte – fantastisch. Aber es kommt auch nicht von ungefähr. Denn Cuarón arbeitete unter anderem erneut mit Skip Lievsay zusammen, der für Gravity seinerzeit den Oscar erhielt.
Und das oben Beschriebene geht munter so weiter. Die unzähligen Geräusche auf dem Markt auf der Straße umschwirren den Zuschauer (40’30), das Gewitter, das über dem Haus grummelt, nutzt die Heights hörbar (42’30) und die in den Räumen herumlaufenden und sprechenden Menschen bewegen sich durchs Heimkino auch akustisch komplett nachvollziehbar (43’00). Wenn der Ford dann zwischen den LKWs stecken bleibt, quietscht es aus den Höhen-Lautsprechern, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen – alles vollkommen korrekt verortet, da die beiden Damen im Fahrzeug sitzen und die Geräusche sich in der Fahrgastzelle fangen (47’10). Erdbeben kitzelt den Subwoofer heftig, während von oben der Schutt fällt und das Krankenhaus mit all seinen Geräten und Aktionen aus den fünf Lautsprechern der regulären Ebene gefangen nimmt (ab 51’40). Brennt nach etwas über einer Stunde der Wald, hat man wirklich das Gefühl, man müsse selbst zum Eimer greifen und löschen – Wahnsinn, wie dieser Sound gefangen nimmt (63’50). Gleichermaßen übrigens beim nächtlichen Straßenleben. Bisweilen meint man wirklich, da sprechen Menschen direkt neben einem und die Autos fahren praktisch vor der Nasenspitze am Zuschauer vorbei (71’30). Wenn dann, nach etwas über 90 Minuten, die Unruhen auf den Straßen losbrechen, hallen Schüsse aus allen Speakern, wimmern Menschen um ihre toten Freunde und hört man die permanente Geräuschkulisse der Masse von überall. Klasse auch das Hupen der Autos kurz darauf im Tunnel – authentischer kann Hall nicht sein. Richtig wuchtig wird’s dann noch mal nach etwas über zwei Stunden, wenn die Wellen über Kamera und Cleo hinweg schlagen (121’30).

Fazit

Während nur Wenige in den Genuss kamen, Roma auf großer Leinwand zu sehen, ist er fürs deutsche Publikum seit Mitte Dezember 2018 exklusiv über Netflix zu streamen. Jeder, der mit Arthouse-Kino etwas anfangen kann und der echte Filmkunst zu schätzen weiß, der sollte sich Cuaróns Film anschauen. Und selbst für Technikfans bietet der Film etwas, denn ein besseres Bild gepaart mit lebhafterer Sound-Bühne findet man derzeit kaum. Roma ist damit auf längere Sicht absolute Referenz im Bild- und Tonbereich innerhalb von Filmen auf Streaming-Portalen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität HDR10: 95%
Bildqualität Dolby Vision: 100%

Tonqualität BD/UHD 2D-Soundebene (Originalversion): 100%
Tonqualität BD/UHD 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 80%
Tonqualität BD/UHD 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 90%

Film: 90%

Anbieter: Netflix
Land/Jahr: Mexiko 2018
Regie: Alfonso Cuarón
Darsteller: Yalitza Aparicio, Marina de Tavira, Daniela Demesa, Diego Cortina Autrey, Carlos Peralta
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): sp
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 135
Real 4K: Ja
Datenrate:
FSK: 12

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
8 Kommentare
Neueste
Älteste Most Voted
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen!
dc_coder_84

Musste bei diesem Review an Familiye denken, ebenfalls ein Schwarz-Weiß Film welcher recht gute Kritiken bekommen hat.

dc_coder_84

Also ich würde sagen, bevor sie sich Familiye anschauen sollten sie sich den Schwarz-Weiß Film Cold War – Der Breitengrad der Liebe anschauen. Vielleicht liege ich falsch, aber was ich so lese…

dc_coder_84

Schade das es keine 4K Blu-ray davon gibt. Das hat vielleicht auch politische Gründe damit Netflix sagen kann bei ihnen gibt es den Film in der besten visuellen Qualität.

Daniel S.

Hallo. Ja das macht Sinn, danke.
Ich wüsste gar nicht, wie man die Bandbreite so kastrieren bzw. begrenzen könnte, um 1080p SDR konstant anzeigen zu lassen außer vielleicht mit enem parallelen Download auf einem anderen Gerät im selben Netzwerk.
Und wer die Auswahl hat, nimmt natürlich die bessere Version.
Mir gefallen die Netflix Reviews auch so gut. Andernfalls hätte ich den einen oder anderren Film wahrscheinlich komplett ignoriert beziehungsweise wäre komplett an mir vorbei gegangen. Vielen Dank.

Daniel S.

Kein Vergleich von SDR und HDR/Dolby Vision?

Wie sehr müsste man sich denn anstrengen, um so ein gut vertontes Drama zu finden? Das verstehe ich nicht.

Daniel S.

„Man müsste sich schon sehr anstrengen, um jemals ein Drama gesehen zu haben, das einen derart räumlichen Ton hat..“