Blu-ray Review
OT: The Glass Castle
Dem Dämon gegenübertreten
Vielschichtiger Film über eine dysfunktionale Familie.
Inhalt
Rex ist ein Nomade – schon immer gewesen. Ständig auf der Flucht vor jenen, denen er Geld schuldet oder sogar vor der Polizei, packt er gemeinsam mit seiner Frau Rose Mary und den vier Kindern immer wieder die Koffer und zieht woanders hin. Zur Schule gehen Jeannette und ihre Geschwister nicht. Rex meint, dass es ohnehin effektiver sei, vom Leben zu lernen. Und ab und an vermittelt er ihnen ein bisschen Mathematik. Um die Kids bei Laune zu halten, wenn mal wieder ein Umzug ansteht, erzählt Rex ihnen davon, dass er der Familie eines Tages ein solarbetriebenes Schloss aus Glas bauen wird. Der Entwurf dafür sei schon lange fertig. Doch je mehr die Zeit voranschreitet, desto mehr wird klar, dass an der Geschichte nichts dran ist. Eines Tages bricht Jeannette ihr Schweigen und erzählt ihre Geschichte ….
Gut ein Jahr ist es her, dass Viggo Mortensen in Captain Fantastic mit seiner Familie ein autarkes Nomadenleben in der Wildnis führte. Basierte der Film von Matt Ross noch auf seinem eigenen Drehbuch, liegt Schloss aus Glas der gleichnamige Tatsachenroman von Jeannette Walls zugrunde. Jahrelang litt sie unter der Situation, dass es keinerlei Stabilität in ihrer Familie gab und ihr Vater ein wandelnder Widerspruch war. Woody Harrelson spielt den Rex auf geradezu sensationell ambivalente Art und Weise. Er ist gleichzeitig träumerischer Poet und Säufer; er erfüllt seinen Kindern in einem Moment jeden Wunsch und lässt sie im nächsten alleine, voller Rücksichtnahme in der einen und absolut unverantwortlich in der nächsten Situation. Man liebt ihn in einer Sekunde und verachtet ihn in der nächsten – beispielsweise, wenn er mit der Hauruck-Methode seiner Tochter das Schwimmen beibringen will. Eine solche schauspielerische Gratwanderung schaffen nicht viele Schauspieler auf derart unnachahmliche Art und Weise. Es ist das Verdienst von Regisseur Destin Daniel Cretton, dass er Schloss aus Glas erlaubt, auch die schönen Momente zu schildern. Und glaubt man der heute 57-jährigen Jeanette, dann sieht auch sie es als wichtig und gut an, dass die positiven Seiten ihrer Kindheit ebenso geschildert werden.
Gut, ein paar der wirklich unangenehmen Situationen vermeidet der Film ganz bewusst. Beispielsweise den Schmutz und die Tatsache, dass der Müll nach Essbarem durchwühlt wurde – hier verlässt den Regisseur offensichtlich ein wenig der Mut. Oder er wollte es dem Zuschauer nicht zumuten, was Jeanette Walls in der Romanvorlage noch so schonungslos und offen geschildert hatte.
Sei’s drum. Um zu vermitteln, dass das Leben in dieser Familie nicht nur aus „Sterne vom Himmel“ holen und Friede, Freude, Eierkuchen bestand, reichen auch die genutzten Bilder und Geschichten. Wenn die erwachsene Jeanette sich zurück erinnert, wie sie in der Küche am Gasherd Feuer gefangen hat und ins Krankenhaus kam, fragen Arzt und Sozialarbeiterin vollkommen zurecht, warum das kleine Mädchen so oft alleine und unbeaufsichtigt kochen muss. Und dass die Kids durchaus dreckig durch die Welt laufen mussten, weil das Geld nicht mal für die Grundbedürfnisse reichte, sieht man anhand der bewusst strähnig gehaltenen Haare durchaus. In Person von Naomi Watts, die Mama Rose Mary spielt, wird außerdem klar, dass die Verantwortung durchaus mal der „Kunst“ untergeordnet wird.
Formal wird Schloss aus Glas in Rückblenden erzählt. Jeannette Walls hat sich mittlerweile ein „normales“ Leben erarbeitet (wenngleich sie sich im Restaurant gerne die eigenen Reste und jene ihrer Geschäftskollegen einpacken lässt) und begegnet eines Abends ihrem Vater. Im Taxi sitzend fährt sie am offensichtlich betrunkenen Erzeuger vorbei und schämt sich. Ein Anlass, sich zurückzuerinnern. An die unbeschwerten und die schwierigen Tage. An jene Situationen, in denen sie ihren Vater hasste und an jene, in denen sie ihm so nahe war wie keinem anderen Menschen. Brie Larson spielt die ältere Jeanette und hat damit leider den undankbaren Part des Films. Mit mehr oder weniger stoischer Miene schaut sie hauptsächlich verachtend auf die Welt und ihre Erzeuger, kann sich nur selten ein Lachen abringen. Das mag natürlich in der Figur so angelegt sein, wirkt von der sonst so überzeugenden Aktrice (Raum) aber ein wenig gelangweilt dargebracht. Außerdem verblasst sie in den gemeinsamen Szenen mit Harrelson, während Ella Anderson als junge Jeannette mit ihm absolut auf Augenhöhe spielt.
Als Zuschauer schwankt man immer wieder zwischen Amüsement und dickem Kloß im Hals – Letzteres manchmal aufgrund von berührenden Momenten, oftmals aber auch, weil Szenen nur schwer zu ertragen sind. So liegt einem beispielsweise der Alkohol-Entzug von Rex schwer im Magen und wenn angedeutet wird, dass die Großmutter schon Rex angefasst hat, kann es kaum unangenehmer werden. Aber selbst vermeintlich „kleinere“ Szenen sorgen für zugeschnürte Kehlen – so zum Beispiel, wenn das Mädchen ihrer kleinen und sehr hungrigen Schwester nichts anderes anbieten kann als mit Zucker verrührte Butter. Hier wird erstmals sehr deutlich, wie bettelarm die Familie war, weil sich Papa Rex vollkommen außerstande sah, für sie zu sorgen. Klar, dass er mit dem letzten Notgroschen keine Lebensmittel kaufen, sondern sich einen zünftigen Rausch ansaufen geht. Wenn die junge Jeannette ihn dann Nachts darum bittet, er möge mit dem Trinken aufhören, weil dann genug Geld übrig bliebe, damit die Familie satt wird, gehört das wohl zu den ehrlichsten und wahrhaftigsten Momenten, die Film zu transportieren in der Lage ist.
Vielleicht sind 125 Minuten am Ende ein wenig zu ausgedehnt und nicht alle Szenen erscheinen relevant. Doch wenn eine Geschichte so authentisch ist und so viele Gefühle transportiert, dann darf man auch mal über ein paar Längen hinwegsehen. Das größte Manko, wie beschrieben, ist das Weglassen von einigen der sehr unangenehmen Erfahrungen der Kids sowie die etwas unterbelichtete Charakterzeichnung der anderen Geschwister.
Bild- und Tonqualität
Schloss aus Glas zeigt von Beginn an eine deutliche Grünfilterung, die schon den Szenen im Restaurant ein eher kränkliches Aussehen verpasst. Die Schärfe bleibt dauerhaft mäßig und der Kontrastumfang dürfte durchweg höher sein. Trotz nicht ganz knackiger Schärfe, ist diese zumindest gleichmäßig über das gesamte Bild verteilt. Dauerhaft gut bleibt die Bildruhe, die nur selten etwas Korn offenbart.
Akustisch bleibt Schloss aus Glas relativ unauffällig. Abgesehen von den Filmsongs gibt es kaum Momente, in denen es mal Signale auf den Effektlautsprechern gibt. Vornehmlich dominieren die Dialoge über den Center und die Frontlautsprecher transportieren etwas Atmosphäre drumherum. Der Subwoofer geht nicht selten in die Standby-Schaltung, da er schlicht keine Arbeit verrichten muss.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Schloss aus Glas liegen neben neun deleted Scenes noch drei Featurettes, ein Interview mit der Romanautorin Walls sowie ein zehnminütiges Making-of, das fürs deutsche Fernsehen produziert wurde. Ein Featurette schildert den Weg vom Roman zum Film, ein weiteres kümmert sich um den Soundtrack des Films und das Letzte promotet den Song „Summer Storm“ von Joel P West.
Fazit
Schloss aus Glas stellt außergewöhnliche Szenen einer außergewöhnlichen Familie schier unerträglichen Momenten großer Traurigkeit und Verzweiflung gegenüber. Es ist diese Gratwanderung aus Liebe und Verachtung, die den dynamischen Rahmen für starke Schauspieler und wirkungsvolle Szenen setzt. Szenen, die bisweilen im Hals stecken bleiben und Harrelson eine Oscar-Nominierung hätten einbringen sollen – die hat er übrigens bekommen, nur nicht für diesen Film.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 60%
Bonusmaterial: 50%
Film: 80%
Anbieter: Studiocanal
Land/Jahr: USA 2016
Regie: Destin Daniel Cretton
Darsteller: Brie Larson, Woody Harrelson, Naomi Watts, Ella Anderson, Chandler Head, Max Greenfield, Josh Caras,
Tonformate: dts HD-Master 7.1: de // dts HD-Master 5.1: en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 127
Codec: AVC
FSK: 16