Selma

Blu-ray Review

Selma Blu-ray Review Cover
Studiocanal, seit 02.07.2015

OT: Selma

 


MLK

Drei Buchstaben, die für die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen fast alles bedeuten.

Inhalt

Die USA im Jahre 1964: Zwar hat die schwarze Bürgerrechtsbewegung unter der Führung von Dr. Martin Luther King dazu beigetragen, den Civil Rights Act umzusetzen, doch damit ist der Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen in Amerika noch lange nicht beendet. King setzt sich vor allem für das Recht der Afroamerikaner ein, sich ins Wählerregister einzutragen. Das ist formell zwar möglich, wird in der Praxis (gerade in den konservativen Südstaaten) von den Beamten und Behördenträgern durch Einschüchterungen und fingierte, unmöglich zu bewältigende Vorabtests unterbunden. Als nach einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude von Selma einer der Teilnehmer, Jimmy Lee Jackson, von einem Polizisten erschossen wird, bekommen die Ereignisse eine Eigendynamik. Mehrere Protestmärsche von Selma Richtung Montgomery, der Hauptstadt Alabamas, werden von den Staatsbeamten gewaltsam beendet. Als die Medien davon berichten, gehen diese Bilder um die Welt und üben auf diese Weise Druck auf Präsident Lyndon B. Johnson aus. Es scheint, als wäre die Gunst der Stunde gekommen und Martin Luther King könnte es schaffen, sein wichtigstes Ziel zu erreichen …

Selma beginnt 1964 mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Martin Luther King, blendet kurz zurück zum Attentat auf die 16th Street Baptist Church am 15. September 1963 und steigert sich danach kontinuierlich zu einem aufrüttelnden und emotionalen Meisterwerk. Ein Meisterwerk, das lange brauchte, bis es letztlich realisiert wurde. Daran trägt vor allem Hauptdarsteller David Oyelowo (Der Butler, Interstellar) einen Löwenanteil, der über Jahre die Idee immer wieder verschiedenen Produzenten vortrug und letztlich in Oprah Winfrey eine finanz- und moralkräftige Unterstützerin fand. Aus der gemeinsamen Zusammenarbeit mit Ava DuVernay in Middle of Nowhere holte er die Regisseurin an Bord und übernahm die Hauptrolle. Die setzt er mit unfassbarer Intensität und emotionaler Wucht um, jedoch ohne Gefahr zu laufen, als Heiliger dazustehen. Ganz im Gegenteil: Der MLK in Selma ist ein oft zweifelnder Mann, der auch schon mal Nachts Mahalia Jackson anruft, um die Worte Gottes zu hören und dadurch Kraft zu schöpfen. Er fürchtet, sein Protest könne erfolglos bleiben und muss sich von seinen engen Freunden und Unterstützern wieder Mut machen lassen. Außerdem lässt der Film auch jenen unangenehmen Bereich nicht aus, in dem Kings Ehefrau herausbekommt, dass ihr Mann Verhältnisse mit anderen Damen hat. Auf diese Weise bemüht Selma sich, seinen Protagonisten nicht zu überheroisieren und unterlässt auch allzu platte und überlange Predigten Kings (zumal die Rechte an dessen Reden bei Steven Spielberg liegen). An Kings Seite inszeniert DuVernay mehrere starke weibliche Rollen, die bewusst machen, wie viel die zu dieser Zeit auch in der schwarzen Gesellschaft mitunter sexistisch behandelten Frauen zur Bürgerrechtsbewegung und Stärkung ihrer Männer beitrugen. Vermutlich wäre ohne die Kraft der Ehefrauen, Mütter und Großmütter kaum möglich gewesen, was letztlich erwirkt wurde.

Dass Selma sich, um diese Botschaft zu vermitteln, auch manipulierender, sehr gewaltvoller Bilder bedient, mag zwar vorhersehbar sein, wird aber der Wahrheit gerecht und beleuchtet ein dunkles Kapitel der jüngeren US-Historie. Natürlich bewirken diese Szenen, dass man kopfschüttelnd und verärgert reagiert, dass man Wut auf eine weiße Gesellschaft bekommt, die aus lauter Furcht vor der Gleichberechtigung mit der afroamerikanischen Bevölkerung (und der dadurch gefühlten eigenen Degradierung) zu Gewaltmaßnahmen griff. Schlimmer aber als der offen rassistische Sheriff Jim Clark, dessen Verhalten immerhin berechenbar ist, ist der fehlgeleitete irrational-verbohrte J. Edgar Hoover, der im Hintergrund die Fäden zieht. Sein vollkommen psychotischer Hass auf alles Andersartige lässt ihn sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um Kings Bewegung zu torpedieren. DuVernay nutzt, um dies zu intensivieren, das Stilelement der eingeblendeten Notizen der Bundespolizei. Auf diese Weise wird dem Zuschauer bewusst, wie sehr das Leben Kings und seiner Gefolgschaft zu dieser Zeit überwacht wurde. Vorgetragen wird dies im Übrigen von einem auch auf Seite der weißen Darsteller großartigen Cast: Tom Wilkinson als Präsident Lyndon B. Johnson schafft es hervorragend, die Waage zwischen persönlicher Einstellung und politischem Kalkül zu halten, während sein Gegenüber, Gouvernor George Wallace, von einem Tim Roth gespielt wird, dessen harten Südstaatenslang man unbedingt im Original anhören muss. Alleine dieser Akzent sorgt schon für genug Antipathie, sodass Roth leichtes Spiel als Feindbild des Zuschauers hat. Man kann es Selma gar nicht hoch genug anrechnen, dass er bei aller Polemik gegenüber dem Verhalten der rassistischen Weißen die Augen nicht vor den inneren Konflikten der verschiedenen schwarzen Bürgerrechtsbewegungen verschließt. Die Anhänger von King und Malcolm X waren sich beinahe spinnefeind und auch das in Selma kämpfende SNCC (Student Nonviolent Coordinating Committee) war selten einer Meinung mit den Anhängern von MLK. Um diese Meinungen irgendwie in Einklang zu bringen, war eine gehörige Menge an Kommunikation, Diskussion und strategischer Planung nötig. Gerade Letzteres hat man als Zuschauer mit „gefährlichem Halbwissen“ über die damaligen Geschehnisse kaum auf dem Schirm. Während der Film sich also immer wieder um eine ausgewogene Darstellung der Tatsachen bemüht, gelingen ihm mitunter famose und gänsehauterregende Bilder. Bilder, die bewegen und berühren, wenn King beispielsweise mit mehreren Tausend seiner (dann auch weißen) Gefolgsleute Arm in Arm auf die Brücke stadtauswärts marschiert. Spätestens, wenn dafür im Finale Archivaufnahmen eingeflechtet werden, weiß man, dass der 86 Kilometer lange Marsch von Selma nach Montgomery eins der wichtigsten Ereignisse der US-Geschichte gewesen ist.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Selma liefert absolut satte Kontraste und prägnante, knackige Schwarzwerte, die vor allem die afroamerikanischen Gesichter satt und plastisch erscheinen lassen. Dazu trägt auch eine in Nahaufnahmen perfekte Schärfe bei, die nur durch häufige Randunschärfen getrübt wird (Turnschuhe: 68’08). Die hohe Laufruhe und Rauscharmut trägt zum angenehmen Gesamteindruck bei.
Akustisch bleibt Selma den Dialogen verpflichtet, öffnet den Raum immer dann ein wenig, wenn die Filmmusik einsetzt oder bei Kings Reden die Menge jubelt. Die Explosion (4’46), die inmitten eines zarten Gesprächs zwischen zwei Mädchen den Heimkinobesitzer aus den Socken haut und ganz bewusst lange durchexerziert wird, um den Schrecken zum Zuschauer zu übertragen, ist extrem dynamisch und druckvoll umgesetzt worden.


Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Selma fallen sofort die zwei Audiokommentere auf. Einer ist von Regisseurin DuVernay und Hauptdarsteller Oyelowo. Der zweite führt Regisseurin, Kameramann und Cutter zusammen. Das knapp 25-minütige Making-of konzentriert sich darauf, dass es den Filmemachern nur am Rande darum ging, einen erfolgreichen Film zu realisieren, sondern vor allem darum, einer historischen Person die Ehre zu erweisen. „Die Entstehung“ erzählt davon, wie steinig der Weg zur Realisierung des Films war und dass Oyewolo selbst wohl der größte Vorantreiber von Selma wurde. Hinzu gesellen sich dann noch geschnittene Szenen, das Musikvideo zum oscarprämierten Filmsong „Glory“ und zwei Featurettes. Das erste liefert Informationen über das National Voting Rights Museum and Institute, das zweite blickt ins Archiv und zeigt historische Aufnahmen der Zeit.

Fazit

Selma ist zwar bisweilen etwas behäbig inszeniert, gesellschaftspolitisch aber ein ungemein ausgewogener Film über einen Mann und sein Wirken, ohne den es so etwas wie eine Gleichberechtigung für Afroamerikaner in den USA vielleicht bis heute nicht geben würde. Man mag den Namen auch hierzulande kennen, doch was Martin Luther King wirklich bewegt und durchlebt hat, das bringt Selma dem Zuschauer auf beeindruckende Art und Weise nahe.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 60%
Film: 90%

Anbieter: Studiocanal
Land/Jahr: GB/USA 2014
Regie: Ava DuVernay
Darsteller: David Oyelowo, Tom Wilkinson, Tim Roth, Cuba Gooding Jr., Alessandro Nivola, Carmen Ejogo, Lorraine Toussaint, Oprah Winfrey, Tessa Thompson, Giovanni Ribisi, Martin Sheen
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 128
Codec: AVC
FSK: 12

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