Blu-ray Review
OT: Sissy
Mädelsabend
Das Wiedersehen zweier Jugendfreundinnen endet im Blutbad.
Inhalt
Cecilia hat Erfolg im Internet. Als „Sincerely Cecilia“ begeistert sie ihr Publikum mit kurzen Meditations- und Selbstheilungsanleitungen und macht dabei gleichzeitig etwas Werbung für Kosmetikartikel. Sie nennt sich Mental Health Aktivistin, ist aber mithin wohl das, was man Influencerin nennt. Und das nicht mal unerfolgreich, denn ihr folgen seit Jüngstem 200k Menschen auf der Plattform. Doch der Erfolg, den sie vordergründig hat und die Tatsache, dass sie sich darüber immer wieder ein nicht ganz geringes Maß an Bauchpinselei abholt, sagt nichts darüber aus, dass Cecilia im Innersten ein sensibler und unsicherer Mensch ist. Während ihrer Schulzeit nannte man sie Sissy – ein Weichei. Besonders die fiese Alex terrorisierte sie immer wieder und drückte ihr diesen Spitznamen auf. Eigentlich hätte ihr das egal sein können, denn sie hatte ja Emma, ihre beste Freundin. Man schwor sich sogar ewige Freundschaft bis ins Seniorenheim. Doch Alex trieb einen Keil zwischen die beiden und zog Emma damit auf ihre Seite. Nun, gut ein Dutzend Jahre später, kauft Cecilia gerade in einem Drugstore etwas ein, als sie eine bekannte Stimme hört. Ein paar Sekunden später steht sie Emma gegenüber. Die möchte just ihre Verlobung mit Freundin Fran feiern und lädt die alte Schul- und Busenfreundin ein. Trotz gewisser Vorbehalte geht Cecilia hin und wird von Emma im Anschluss auf deren Junggesellinnenabschied in einer Hütte eingeladen. Cecilia fühlt zwar immer noch ein Grummeln im Magen, geht aber tatsächlich hin. Kaum angekommen, steht sie dort allerdings Alex gegenüber. Und die ist immer noch der Meinung, Sissy sei komplett fehl am Platze. Mehr noch: Sie hält die ungewünscht Hinzugekommene für verrückt. Cecilia jedoch lässt sich heute nicht mehr unterkriegen und stellt sich ihren Dämonen von damals …
Die Australierin Hannah Barlow war seit 2009 vornehmlich in kleinen Rollen als Schauspielerin unterwegs. 2017 inszenierte sie dann erstmals einen Film und kooperierte dabei mit dem Produzenten/Regisseur Kanes Senes. Der hatte zwei Jahre zuvor mit Echoes of War einen top besetzten Post-Unabhängigkeitskrieg-Film inszeniert, der weniger Beachtung fand als er eigentlich verdient gehabt hätte. Senes und Barlow lernten sich 2012 auf einer Party in den USA kennen, wo Barlow nach ihrer australischen Schauspielausbildung Anstellung und Jobs finden wollte. Sie wurden auch privat ein Paar und für gerade einmal 20.000 $ inszenierten sie 2017 dann For Now – einen halb autobiografischen Film, in dem sich beide selbst spielten und mit ihren künstlerischen Dämonen kämpften. Fünf Jahre später kommen sie mit etwas mehr Budget zurück und wechseln das Genre. Weg vom semidokumentarischen Drama hin zum Horrorfilm.
Inhaltlich verhandelt das Regieduo hier gleich mehrere heiße Eisen und verpackt sie an der Oberfläche mit einer Teenie-Horror-Geschichte, die man (so könnte man denken) schon zigfach gesehen hat. Doch selbst das trifft für Sissy nicht ganz zu. Denn die Geschichte schlägt gleich mehrere Haken. Aber dazu später mehr. Was den beiden offensichtlich wirklich wichtig gewesen ist, ist die Verknüpfung von Mobbing unter Kindern sowie den damit verbundenen Traumata (und deren Bewältigung) mit dem Thema der sozialen Medien. Cecilia hat als Schulkind das erfahren, was man früher unter Hänseleien verstand und was heute als Mobbing bezeichnet wird. Die Verunglimpfung ihres Namens in „Sissy“, also Weichei, ist da nur eine Ausprägung. Jahre später ist eine der Bewältigungsstrategien von Cecilia die Flucht ins Internet und in die sozialen Medien. Dort hat sie einen erfolgreichen Kanal aufgebaut, der sich mit Selbsterfahrung und -reflexion beschäftigt. Doch wirklich reflektiert hat sie sich deshalb noch lange nicht. Vielmehr versucht sie, ihre Traumata durch Likes und freundliche Kommentare zu kompensieren, während sie im Inneren noch immer ein unsicheres Mädchen ist. Parallel werden toxische Freundschaften thematisiert, die sich hier auf die weibliche Variante konzentrieren, was durchaus die Realität abbildet, da statistisch gesehen Frauen-Freundschaften häufiger „vergiftet“ enden als Freundschaften unter Männern.
Das Motiv der sozialen Medien ziehen Barlow (die übrigens die Emma spielt) und Senes derweil konsequent durch – vom Anfang bis zum Ende. Dabei werfen sie im Subtext Fragen auf. Die Frage, wen man da im Internet verehrt. Sind das nur Projektionen? Sind die Follower überhaupt echte Menschen? Was ist mit der Verantwortung der Influencer gegenüber den Folgenden, die vielleicht manchmal zu sehr glauben, dass ihr Instagram-Idol ihnen einen vermeintlich besseren Weg aufzeigt? Sissy spricht das auf sehr direktem Wege an und tut das auf eine ziemlich gemeine Art und Weise. Denn während sich der Zuschauer natürlich mit der Protagonistin identifiziert und ihr schon deshalb zur Seite steht, weil sie die liebenswürdige Außenseiterin ist, sind die Fragen, die ihr von der gehässigen Alex gestellt werden, nicht mal ohne gewissen Hintergrund. Denn Australien hat mit dem Fall der Belle Gibson einen waschechten Skandal zu bieten, nachdem sich eine Social-Media-Bloggerin als Pseudowissenschaftlerin, Betrügerin und Lügnerin herausstellte, auf die sogar Apple selbst hereinfiel. Barlow und Senes geben an, dass sie von diesem Fall inspiriert wurden, das Thema in den Film zu integrieren. Dabei waren sie clever genug, sich nicht nur darauf zu verlassen, ein wenig Kritik an den Facebooks, Instagrams und YouTubes zu üben, sondern garnierten ihren blutigen Ausritt ins Horrorgenre mit reichlich Humor. Denn bei Sissy handelt es sich nicht um einen durchweg bitterernsten Beitrag zum Genre, sondern um einen sehr satirisch angehauchten. Immer wieder gibt’s viel auflockernden Humor. Da wechseln überzogene Werbemomente (Stichwort: Elon Mask) mit absurden Situationen (Kollisionen mit der schwangeren Frau aus dem Drugstore) ab. Auch später, wenn der Film die blutigen Zügel in die Hand nimmt, bleiben komische Situationen nicht aus. Dazu passen die teils überraschenden Gewaltmomente, die (bis auf wenige Ausnahmen) mit praktischen Maskeneffekten realisiert wurden und in einer Mischung aus sehr grafischer Darstellung mit einer guten Prise schwarzen Humors daherkommen. Dass es relativ lange braucht, bevor es blutig wird, könnte die reinen Horrorfans etwas stören, doch hier macht vor allem die Mischung aus gut gespielten Figuren, überraschenden Storywendungen und Ereignissen den Unterschied – eine Empfehlung für den Horrorfilmfan, der mal etwas über den Tellerrand schauen möchte.
- Eine stilvolle und durch und durch moderne Horrorkomödie mit Biss, die die Social Media Community mit diabolischem Spaß aufs Korn nimmt
- Mit einer furchtlosen Aisha Dee (THE BOLD TYPE - DER WEG NACH OBEN) in der Hauptrolle als mordende Influencerin
- SISSY hatte seine Deutschlandpremiere auf dem FFF 2022 und ist von den Produzenten von 2067 und X-MEN: APOCALYPSE
Bild- und Tonqualität
Sissy wurde digital gedreht und entsprechend auf Blu-ray gebannt. Welche Kameras zum Einsatz kamen und ob ein 2K-DI oder ein 4K-DI verwendet wurde, ist leider nicht bekannt. Es beginnt mit bewusst auf alt getrimmten Videoaufnahmen, die in die Vergangenheit von Cecilia und Emma blicken und mit blassen Farben und Störstreifen durchsetzt sind. Das passt zu den Inhalten und vermittelt ein authentisches Feeling. Wechselt die Szenerie in die Gegenwart, sehen wir einem Bild und einer Cecilia ins Gesicht, die absolut rauschfrei und ruhig rüberkommt. Zweifelsohne digital gefilmt zeigt sich hier kein Körnchen und keine Unruhe. Fast etwas zu glatt (möglicherweise dezent gefiltert) wirkt das in dieser Szene sehr statische Bild. Dennoch ist es scharf und offenbart Cilias Gesichtsstruktur deutlicher als so mancher Schauspielerin / so manchem Schauspieler lieb sein dürfte. Gleiches gilt für die Close-up-Gegenschnitte der beiden nach siebeneinhalb Minuten. hier offenbart sich auch, dass die Blu-ray wirklich sehr hell geraten ist. Zwar verlieren die Gesichter ihre Zeichnung nicht, aber man bekommt einen fast ätherischen Eindruck dieser Szenen. Geht’s in der nächsten Sequenz in die Bar, werden die Farben wiederum schön kräftig dargestellt. Auch der Kontrastumfang passt, weil Schwarz (meist) durchaus satt rüberkommt. Auch in diesen düsteren Momenten verliert das Bild seine Rauschfreiheit nicht, was auch hier etwas den Verdacht aufkommen lässt, dass hier leicht rauschgemindert wurde. Die Draufsicht auf den Wald bei 24’45 wirkt dann auch etwas wachsig und dürfte mehr Detailtiefe liefern. Hin und wieder (und in solchen Situationen nicht ganz nachvollziehbar) sieht man dann das erwartbare digitale Rauschen (Cecilias Hals bei 30’40, Gruppe bei 31’05), sodass man sich für einen Moment fragt, warum das hier so ist und ansonsten praktisch nicht. Akustisch wartet die Blu-ray von Sissy mit zwei DTS-HD-Master-Spuren auf. Und beide haben ein deutliches Problem: Der Score ist im Verhältnis zu den Dialogen viel zu laut eingepegelt. Es dauert nicht mal ein paar Minuten, bis das wirklich auffällig nervt, weil man sich massiv auf die Dialoge konzentrieren muss, um sie aus dem Soundbrei herauszuhören. Zudem klingt die Musik auch noch ziemlich dumpf und polterig – weit weg von Differenziertheit oder Klarheit. Während der Verlobungsfeier in der Disko gibt’s hier und da leichten Basseinsatz, aber auch dort ist die Musik einfach zu laut, bzw. sind die Dialoge zu leise. Hier und da setzt es mal sehr direktionale Surroundeffekte wie beim Schnitt auf die Tampons im Drugstore. Ansonsten bleiben die Surrounds aber nicht selten sehr still und unterbeschäftigt. Wenn dort Umgebungsgeräusche zu hören sind, wirken diese diffus und wenig atmosphärisch. Immerhin: Wenn Vogelgezwitscher zu hören ist (bspw. bei der Ankunft am Haus), wird das über die Mainspeaker sehr stimmungsvoll und stereo-räumlich verteilt. Nach etwas über 75 Minuten gibt’s dann aber doch einmal recht druckvollen Bass, wenn das Gewitter draußen zu Werke geht.
- Eine stilvolle und durch und durch moderne Horrorkomödie mit Biss, die die Social Media Community mit diabolischem Spaß aufs Korn nimmt
- Mit einer furchtlosen Aisha Dee (THE BOLD TYPE - DER WEG NACH OBEN) in der Hauptrolle als mordende Influencerin
- SISSY hatte seine Deutschlandpremiere auf dem FFF 2022 und ist von den Produzenten von 2067 und X-MEN: APOCALYPSE
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial von Sissy besteht aus dem Originaltrailer, dem deutschen Trailer und einer Trailershow des Anbieters. Drei Filme („Let it Snow“, „Men“ und „Psycho Goreman“) werden dort angeteasert. Schade, dass es keine echten Extras gibt. Gerne hätte man etwas mehr über Hauptdarstellerin Aisha Dee oder die Hintergründe zur Story vom Regieduo Barlow und Senes erfahren.
Fazit
Sissy ist ein mit Leidenschaft inszenierter, glaubwürdig vorgetragener und mit pechschwarzem Humor garnierter Genrebeitrag, der sozialen Medien nicht nur einen Seitenhieb verpasst und das Thema Mobbing mit ernsten Hintergrund einbindet. Sämtliche Darsteller sind glaubwürdig besetzt und spielen das Ganze ziemlich gut. Einzig die zu laute Filmmusik nervt (übrigens auch im Englischen). Das Bild hingegen ist sehr ruhig (vielleicht etwas zu glatt).
Ein Kenner australischer Hygieneartikel darf mir gerne mal in den Kommentaren schreiben, ob die Tampons Down Under tatsächlich „Bloody Brilliant“ heißen – was für ein grenzgenialer Name.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 50%
Tonqualität (Originalversion): 50%
Bonusmaterial: 10%
Film: 70%
Anbieter: Plaion Pictures
Land/Jahr: Australien 2022
Regie: Hannah Barlow, Kane Senes
Darsteller: Aisha Dee, Hannah Barlow, Daniel Monks, Emily De Margheriti, Yerin Ha
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Untertitel: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 102
Codec: AVC
FSK: 18 (ungeschnitten)
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Plaion Pictures)
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Trailer zu Sissy
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
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Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
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