Blu-ray Review
OT: Speak No Evil
Tapetenwechsel
Zwei Jahre nach dem dänischen Original gibt’s schon das Remake aus den Staaten.
Inhalt
Während ihres Urlaubs in der Toskana machen die in London lebenden US-Amerikaner Ben und Louise sowie ihre Tochter Agnes Bekanntschaft mit Paddy und Ciara sowie deren Sohn Ant aus England. Einige Monate später erhalten sie eine Postkarte von Paddy und Ciara, die sie zu einem Wochenende in ihr abgelegenes Haus auf dem Land einladen. Nachdem sich Ben und Louise untereinander beraten – immerhin kennt man die Urlaubsbekanntschaft ja kaum – setzen sie sich ins Auto und fahren durch die Nacht aufs Land hinaus. Dort angekommen, werden sie herzlich empfangen. Paddy und Ciara geben sich offenherzig und gastfreundlich. Lediglich die Tatsache, dass Ant kaum spricht, wirkt zunächst seltsam. Man unternimmt gemeinsam Spaziergänge, führt Gespräche und genießt zusammen Mahlzeiten. Doch es mehren sich nach und nach Situationen, die beim US-Paar Unbehagen verursacht. Während eines Restaurantbesuchs, den Paddy organisiert hat, benehmen sich die Gastgeber unangemessen, was Ben und Louise irritiert. Noch mehr jedoch die Tatsache, dass Ciara und Paddy in der darauffolgenden Nacht Agnes, die eigentlich in Ants Zimmer schläft, zu sich ins Bett holen. Ciara ist überzeugt: Sie muss sofort gehen. Und sie soll Recht behalten …
Kurze Warnung vorab: Es gibt leichte Spoiler im folgenden Review.
“Hey, James hast du schon diesen dänischen Horrorthriller gesehen? Gæsterne heißt der, läuft aber im Ausland unter Speak No Evil. Wollen wir den nicht fürs US-Publikum noch mal machen? Wir müssen nur hier und da etwas verändern …”
So oder so ähnlich könnte die Ausgangssituation beim 2024er Speak No Evil gewesen sein – einem jener Filme, dem ein europäisches Original zugrundeliegt und den man (erstaunlich früh) noch einmal neu inszenierte. Die Reihe ähnlicher Beispiele ist lang. Von Ziemlich beste Freunde über Spurlos und The Dinner zu Das Experiment und Vanilla Sky – US-Remakes von europäischen Filmen sind immer wieder gerne und günstig genutzte Möglichkeiten, internationales Publikum ins Kino zu locken. Oft, nein eher meist, scheitern diese Neu-Interpretationen in künstlerischer Hinsicht, während das Kino-Einspielergebnis wiederum die Macher bestätigt. Auch bei Speak No Evil ist das der Fall, denn bei einem Budget von 15 Mio. Dollar konnte er 75 Mio. Dollar an den Kassen erwirtschaften. Produzenten und Studios dürfen sich also bestätigt sehen. Die Gründe für amerikanische Remakes von ausländischen Filmen liegen oft (so die Erklärung der Verantwortlichen) darin begründet, dass man dem US-Publikum Untertitel nicht zumuten könne. Im Falle vom 2022er Speak No Evil ist das aber eigentlich Unsinn. Denn der ist über weite Strecken in Englisch produziert. Lediglich in den Situationen, in denen die niederländische und dänische Familie jeweils für sich sind, sprechen sie in ihrer eigentlichen Sprache. Und damit sind wir bereits bei einem ersten Aspekt, der das Original (so man ihn nicht in der deutschen Synchro geschaut hat) vom Remake unterscheidet: die Sprachbarriere. Diese sorgt für sich genommen bereits für ein Unbehagen und für eine gewisse Dynamik zwischen beiden Familien. Im Remake trifft eine US-Familie auf eine aus England – Sprachbarriere? Fehlanzeige.
Jetzt ist es immer einfach, über ein Remake herzuziehen und das Original im Nachhinein über den grünen Klee zu loben. Und in Unkenntnis des dänischen Films ist Speak No Evil [2024] sogar ein richtig guter Thriller. Alle Beteiligten spielen außerordentlich gut und James McAvoy gibt einen Antagonisten ab, dessen Wechsel zwischen offensivem Charme und eruptiver Bösartigkeit teilweise bis ins Mark erschüttert – auch wenn sein Paddy von Beginn an aggressiver, forscher und aufdringlicher agiert. Dazu kommt ein halbstündiges Finale, das für sich genommen wirklich sehr spannend inszeniert ist. Wer also die Vorlage nicht kennt, wird hier möglicherweise komplett anders bewerten, was auch die weitgehend guten und wohlwollenden Kritiken auf den einschlägigen Portalen erklärt. Eine isolierte 70-%-Bewertung wäre hier der Lohn. Doch wer das Original kennt und vor allem für seine Konsequenz und unangenehme Atmosphäre schätzt, kann hier nur enttäuscht werden. Obschon Speak No Evil [2024] sein dänischen Alter Ego in vielen Einstellungen 1:1 nachgefilmt hat, gelingen ihm bei entscheidenden Szenen nicht im gleichen Maße unangenehme Situationen. Wenn Vegetarierin Louise das von Paddy zubereitete Fleisch essen soll, wird das hier fast am Rande thematisiert. Im Original hatte Patrick den Vegetarismus von Louise sogar während des Urlaubs als lobenswert bezeichnet. Isst Louise dann das Stück Fleisch im Remake, wird der Moment von einem Holzbalken verdeckt – eine wirklich unglückliche Einstellung, die sich (falls gewollt) absolut nicht erschließt. In schwedischen Original war das eine der unbequemsten Szenen. Wenn Ant vor Ben den Mund weit öffnet, wirkt das, als habe man diese Szenen einfach nur integrieren wollen, um sie aus dem dänischen Film zu übernehmen. Dessen Symbolik und Atmosphäre, die mich seinerzeit an Kaufmans Körperfresser erinnerte, erreicht das Remake in diesem Moment nicht annähernd. Die Spannung beim gemeinsamen Abendessen in einem abgeschiedenen Restaurant, die im Original voller Fremdschäm-Momente ist; die Bezahlsituation der Rechnung; die gefährliche Rückfahrt zum Haus von Paddy und Clara – findet entweder gar nicht statt oder wird beiläufig-belanglos inszeniert. Um dann doch für etwas Dynamik zu sorgen, schwört man einen Streit zwischen dem US-Paar herauf, der aus der Luft gegriffen scheint.
Es ist nicht alles schwächer als im Original. Es gibt durchaus Momente, die im Gedächtnis bleiben. So fragt Ben Paddy in einem Moment, warum sie ihnen das antun. Paddy antwortet: “weil ihr es zulasst”. Dieser Satz führt in einer Essenz zusammen, was das Original ebenfalls ausmachte: Die Furcht, Gastfreundschaft mit Ehrlichkeit zu konfrontieren; die Angst davor, Konflikte einzugehen, weil man um des Friedens willen den Weg des geringsten Widerstand wählt. Die Tatsache, dass Louise hier noch stärker porträtiert wird als im Original, funktioniert im Remake für sich genommen zudem hervorragend – und das hat nichts mit “woker” Attitüde zu tun, sondern mit einer durchaus realistischen Grundlage. Mackenzie Davis (Terminator: Dark Fate), die Louise hier porträtiert, tut das mit der größtmöglichen Energie und steht McAvoy in seiner dämonischen Rolle kaum nach. Außerdem darf sie im Finale auch noch ein bisschen auf Actionfrau machen. Denn das ist es, was man im Vergleich zum ruhigen, aber düsteren Original hier bekommt: Action. Während viele Einstellung fast original aus dem dänischen Film übernommen wurden, hat man das Ende vollständig runderneuert. Und das wird in der Form vermutlich niemandem gefallen, der den 2022er Speak No Evil genau deshalb mochte. Die Konsequenz des Originals wird vom Remake zugunsten eines genretypischen Finales leider komplett über den Haufen geworfen. Schade.
Bild- und Tonqualität
Speak No Evil wurde mit der ARRI Alexa 35 digital aufgenommen, die mit 4.6K aufzeichnet. Das fertige Material wurde über ein 4K-DI gemastert, sodass die Blu-ray in puncto Detailtiefe von dieser Grundlage profitieren sollte. Seine digitale Herkunft kann das Material optisch nicht verleugnen, allerdings hat man sich bemüht, Watkins Film nicht allzu glatt aussehen zu lassen. So sieht man das Digitalrauschen der Kamera durchweg deutlich, hat es möglicherweise sogar etwas verstärkt, um den Eindruck etwas filmischer, analoger wirken zu lassen. Schon auf den Bäumen bei 1’47 ist das sichtbar und im Himmel bei 2’10 erst recht. Die Universal Blu-ray bildet das Rauschen dabei meist sauber und homogen ab, leidet nie unter Vermatschungen oder clusterartigen Verklumpungen. Lediglich bei dunklen Einstellungen wird es mal etwas ungleichmäßiger. Aber dafür muss man schon sehr exakt hinsehen. Dass beim Rauschen oder dessen zeitweiliger Filterung möglicherweise nachträglich etwas nachgeholfen wurde, zeigen Einstellungen wie jene über die Abendessen-Gesellschaft bei 3’46. Denn dort ist das Bild plötzlich glatt poliert. Tatsächlich steht dem Film der etwas gröbere Look besser. Schon die Urlaubsszenen wirken dadurch filmischer und sobald es später düster wird, trägt das ebenfalls zur Stimmung bei. Die Schärfe der Aufnahmen ist nur dann etwas schwächer, wenn (wie bei 14’14) etwas nachlässig mit der Fokussierung umgegangen wurde. Wobei man durch den Einsatz von anamorphotischen Vintage-Optiken relativ oft bewusst mit etwas weicherer Lichtstimmung gearbeitet hat, die bspw. Lichtquellen etwas diffuser erscheinen lässt. Das betrifft vor allem die Szenen im und ums Haus herum sowie jene am Anfang des Urlaubs. Der erste Spaziergang der beiden Familien im Wald ist indes knackig scharf und ohne ähnliche Spielereien. Dort, wie auch fast durch den gesamten Film, ist die Farbgebung sehr warm. Das beginnt während der Szenen in der Toskana (bzw. Istrien/Kroatien, das hier doubeln musste) mit rötlich-brauner Farbgebung und hält ausgehend von dort praktisch die ganze Zeit über an. Lediglich die Momente in London sowie die erste Fluchtszene der Familie kommen in kühlem Blaugrau daher.
Oha, was ist da los? Universal liefert Speak No Evil erneut mit Dolby-Digital-Plus-Kodierung fürs Deutsche und Dolby True HD fürs Englische aus. Man scheint also den Weg fortzuführen, den man mit Abigail und Drive Away Dolls bereits beschritten hatte. Wer jetzt aber fürchtet, Universal könnte nicht nur in Sachen Codec-Nutzung, sondern auch in der Abmischung den üblichen Disney-Weg gehen, sieht sich getäuscht. Bei Speak No Evil wird fast schmerzhaft deutlich, WIE gut eine Dolby-Digital-Plus-Kodierung arbeiten kann. Die vorhandene Dynamik ist dabei so exemplarisch gut, dass ich den Film mitunter in den lauten Momenten etwas herunterpegeln wollte – es war bereits deutlich nach 22:00 Uhr abends. Zunächst stehen aber klar verständliche Dialoge im Zentrum des Geschehens sowie eine schöne Räumlichkeit während der hervorgehobenen Insektengeräusche, als Ben nach dem Stoffhasen sucht. Je intensiver das Geschehen wird, desto mehr gesellen sich lautere Momente hinzu. Und diese sind wirklich klasse. Die Dynamik, die hier während der Schrotflintenschüsse, der Explosion nach 91 Minuten, dem zwischenzeitlichen Gebrüll oder auch bei den Musiksequenzen erreicht wird, ist unglaublich hoch. Und ich lege beide meine Hände ins Feuer, dass (hätte man hier in DTS-HD-Master kodiert) niemand den Unterschied im Blindtest heraushören würde. Gerade während der letzten halben Stunde gibt es immer wieder sehr ruhige, nervenzerrend spannende Momente im Haus, die von zersplitterndem Glas oder dem Schuss aus einer Waffe abgelöst werden. Jedes Mal sitzt man dann plötzlich wieder aufrecht im Kinosessel und fühlt seine angespannten Gliedmaßen. Die englische True-HD-Fassung ist zwar während der Explosion gleichwertig dynamisch, lässt aber bei den Schüssen aus der Schrotflinte gegenüber der DD+-Fassung der Synchro ein paar akustische Federn. Klasse ist bisweilen die Räumlichkeit während des Finales, wenn man bei 91’50 deutlich das Knarzen aus den anderen Räumen hört.
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial von Speak No Evil besteht aus drei Featurettes und dem Audiokommentar von James Watkins. Bei den Featurettes werden die Charaktere noch einmal aufgearbeitet und auch der Schauplatz des Landhauses. Leider bleibt den Akteuren und dem Regisseur mal wieder nichts anderes übrig, als sich gegenseitig mit Lob und Ehrfurcht zu überhäufen. Das ist nicht untypisch für Bonusmaterial, aber auf Dauer ermüdend.
Fazit
Speak No Evil [2024] ist ein guter Thriller. Meine oben zu lesende Kritik mag das in Worten etwas zu drastisch negativ formulieren. Das liegt aber nun mal daran, dass es nicht nur die 2024er-Fassung gibt, sondern eben auch das Original von 2022. Und das ist schlicht und ergreifend in nahezu jeder Situation, jeder Einstellung und jeder Figurendynamik besser – bis hin zu einem Ende, das vom Remake derart krass abgeändert wird, dass man ungläubig mit dem Kopf schüttelt. Die Dramatik und Konsequenz des dänischen Films erreicht das US-Remake leider zu keinem Zeitpunkt. Wer das Original aber nicht kennt, wird hier dennoch spannend unterhalten. Die Blu-ray flankiert das mit einem stimmungsvoll-passenden Bild und einem wunderbar dynamischen Sound.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 80%
Tonqualität BD (dt. Fassung): 90%
Tonqualität BD (Originalversion): 90%
Bonusmaterial: 40%
Film: 60%
Anbieter: Universal Pictures
Land/Jahr: USA 2024
Regie: James Watkins
Darsteller: James McAvoy, Mackenzie Davis, Scoot McNairy, Aisling Franciosi, Alix West Lefler, Kris Hitchen, Motaz Malhees
Tonformate BD: Dolby True-HD 7.1: en // Dolby Digital Plus 7.1: de
Untertitel: de, en
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 110
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Universal Pictures)
*Affiliate-Links sind mit * gekennzeichnet. Für Einkäufe über diese Affiliate-Links erhalten wir eine Provision. Für den Käufer entstehen keine Mehrkosten. Infos zum Datenschutz findet ihr hier.
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischem Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:
- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild„verbesserern“ zu verfälschen.