Spiderhead – Der Spinnenkopf [Netflix]

Netflix Review

Netflix, 17.06.2022

OT: Spiderhead

 


Restzuneigung

Chris Hemsworth darf mal auf die böse Seite wechseln.

Inhalt

Nicht der schlechteste Weg, zur Arbeit zu kommen

Jeff ist ein Krimineller. Doch anstelle eines orangefarbenen Sträflingsanzugs, lebt er ein idyllisches Leben auf einer atemberaubenden Insel. Jeff ist Teil eines Programms, das der brillante Wissenschaftler Steve Abnesti in einer futuristischen Einrichtung namens „Spinnenkopf“ leitet. Anstelle seine Tat in einem x-beliebigen Knast abzusitzen, darf Jeff nun Versuchskaninchen spielen. Als solches hat er eine kleine Apparatur auf dem Rücken, die ihm auf Kommando bestimmte bewusstseinsverändernde Drogen verabreicht. So kann es sein, dass er plötzlich irrational fröhlich, traurig oder sexuell aufgeladen agiert. Verkauft hat man ihm die Experimente als auf langfristige Sicht für die Menschheit relevant. Steves Anliegen ist es, eine „perfekte Droge“ zu entwickeln, die unter dem Codenamen „N-40“ gehandelt wird. Um die unterschiedlichen Ingredienzen zu perfektionieren, muss er aber auch mit dem Serum „Darkenfloxx“ hantieren, das die Probanden, einmal verabreicht, auf einen depressiven und gewalttätigen Trip schickt. Als Jeff diese Dosen per Fernsteuerung verabreichen soll, beginnt er, das ganze System hinter Spiderhead in Frage zu stellen …

Herr über die Drogen: Steve Abnesti

Wenn man gerade einmal fünf Filme gedreht hat und dennoch zur Top-Elite der Regisseure in Hollywood gehört, muss man irgendetwas richtig gemacht haben. Joseph Kosinski sonnt sich gerade im Erfolg, den er mit Top Gun: Maverick weltweit und vor allem in den USA erzielt. Angefangen hat aber alles 2010 mit dem späten Sequel zur seinerzeit von den Kritikern gescholtenen und vom Publikum gemiedenen SciFi-Extravaganz Tron. Was Disneys Film damals im Nachgang für einen Kultstatus erreichte, kann man zwar von Tron: Legacy nicht im gleichen Maße sagen. Aber immerhin war er in den Kinos zu einem achtbaren Erfolg geraten und wird noch heute von vielen Heimkino-Besitzern als Demomaterial für Tonspuren genutzt. Es folgte mit Oblivion erneut ein SciFi-Film, der (wiederum) von Kritikern nicht allzu wohlwollend aufgenommen wurde und strenggenommen auch kein echter Kinohit war. Erneut gab’s aber im Nachgang einen kleinen Kultstatus. Mit No Way Out kehrte Kosinski dann dem fantastischen Film den Rücken und drehte eine unfassbar spannende Geschichte um eine kleine Feuerschutztruppe, die (basierend auf wahren Begebenheiten) einer Feuerwalze heldenhaft bis zum Tod die Stirn bot – finanziell in den Kinos sogar eher ein Flop, waren die Kritiker wenigstens angetan. Tja, und trotz eher durchwachsenen Kino-Einspielergebnissen vertrauten ihm die Studios weiter und es kam die zweite Zusammenarbeit mit Cruise in Top Gun: Maverick. Das 2019 gedrehte und immer wieder verschobene Actionklassiker-Sequel räumt in den Kinos immer noch ab, während Kosinski mit einem etwas kleineren Film bei Netflix Premiere feiert, der sich wieder (etwas) dem SciFi-Genre zuwendet.

Ab zu den Experimenten

Basierend auf der Kurzgeschichte Escape from Spiderhead von George Saunders, die im Dezember 2010 im New Yorker veröffentlicht wurde, nutzt Kosinski das Thema bewusstseinserweiternder Drogen, um die Frage nach dem freien Willen zu stellen. Vielleicht hat jeder schon mal davon geträumt, in einer bestimmten Situation schlagfertiger, wortgewandter oder witziger zu sein? Was, wenn man sich gewisse Makel oder Störfaktoren an anderen Menschen einfach weg“drogen“ könnte? Was, wenn Sex auch dadurch spannender und ekstatischer wird, wenn bestimmte Substanzen Fantasie und (letztlich) Wirklichkeit beeinflussen? Gleichzeitig beleuchtet Spiderhead das kontroverse Thema, nachdem die Menschheit zu oft bestrebt ist, alle Aspekte des Lebens kontrollieren zu wollen.
In der Kurzgeschichten-Vorlege geht es vornehmlich um Sex. Darum, dass der Protagonist – aufgeputscht durch die Drogen – heißen und leidenschaftlichen Sex mit Frauen erlebt. Frauen, die er vor den Drogen für durchschnittlich, auf dem „Stoff“ jedoch für unwiderstehlich hält. Den Frauen geht’s gleich. Auch sie empfinden zuvor nur bedingt Anziehung zu diesem Typen. Abnesti nutzt die Insassen aber als Versuchskaninchen für unterschiedliche Arten von Drogen – bewusstseinserweiternde, die Leidenschaft und Kreativität anregende, aber auch die Aggressivität stimulierende. Entsprechend kumuliert die Geschichte in der Frage, wie viel Leid würde ein Mensch einem anderen unter Laborbedingungen antun – das Milgram-Experiment lässt grüßen.

Jeff und Lizzy teilen intime Momente

Um aus der Kurzgeschichte einen Langfilm zu machen, mussten die Deadpool-Autoren Rhett Reese and Paul Wernick die Story natürlich strecken, was man Spiderhead leider anmerkt. Die Themen Manipulation und Unterwerfung werden vom etwas dünnen Skript nicht durchweg getragen. Die meist fesselnden Momente der Experimente werden von Szenen flankiert, in denen eine Verbindung zwischen den Hauptfiguren, bzw. den Insassen aufgebaut wird. Letzteres sind die Füllmomente, wenn man es mit der Kurzgeschichte vergleicht, die (abseits der Experimente) keinerlei Kontakt zwischen Jeff und den Frauen beschreibt. Auch die Verbindung zu Jeffs verflossener Liebe Emma ist extra für den Film geschrieben worden und bremst Spiderhead in seinem Tempo. Dass der Film zudem nicht im Ansatz so sexuell offensiv sein konnte wie die Shortstory, deren Ausführungen des Körperkontakts zwischen den Charakteren sehr blumig geschildert werden, sollte ebenfalls klar sein – zumal eine wichtige Figur der Vorlage entfernt und durch eine etwas ältere Lady ersetzt wurde, mit der Jeff körperlich wird. Dieser Austausch sorgt nicht nur für billige Gags, sondern macht das Resultat, bei dem sich Jeff nicht für die Pein einer der beiden entscheiden möchte, (unnötig) plakativ.

In der Vorlage nur ein kleines Tattoo, hier eine Art Thanos-Verschnitt: Rogan

Außerdem verändert der Film den Grund für Jeffs Straffälligkeit derart deutlich, dass man merkt, es geht vor allem darum, noch mehr Sympathie für ihn zu entwickeln. Hätte man sich die (späte) Offenbarung der Kurzgeschichten-Vorlage genommen und dies ebenso spät in den Film eingebunden, hätte das wesentlich mehr Effekt und Faust-in-den-Magen-Wirkung gehabt. Allerdings erfährt das Ganze im zweiten, erweiterten Flashback eine tragische Komponente, mit der Jeffs Verhalten und Verhältnis zu Lizzy noch mal aufgepeppt wird. Wo wir bei der deutlichsten Veränderung sind: Lizzy gibt’s in der Vorlage nicht. Die Motivation, das System in Frage zu stellen, basiert nicht auf einem Verliebtheitsgedanken wie es der Film schildert. Dennoch: Die Spannung, die Kosinskis Interpretation gerade aus dem Zusammenspiel von Jeff und Steve (hintergründig böse: Chris Hemsworth) zieht, macht einen großen Teil des Unterhaltungswertes aus. Spiderhead mag ein eher kleiner Film sein, der bei Netflix ganz gut aufgehoben ist, doch für Fans der Schauspieler und einer stylischen Atmosphäre ist er durchaus interessant. Denn Stil kann Kosinski, so viel ist klar, wenn man sich das gelungene Setting und Design anschaut. Unter Covid-19-Bedingungen gedreht, nützt dem Film diese Tatsache insofern, als dass meist nur wenige Personen gemeinsam in Interaktion zu sehen sind. Dadurch wird das Gefühl der Isolation noch verstärkt und die kalten Aufnahmen des futuristischen Gebäudes intensivieren das ebenso wie die wenigen Außenaufnahmen des Komplexes auf der einsamen Insel. Schade, dass gerade der Aspekt des Übernehmens der Verantwortung (was Jeff im doppelten Sinn betrifft) und somit das konsequent-bittere Finale der Kurzgeschichte einem actionlastigen Ausbruchsszenario geopfert wird.

Bild- und Tonqualität

Steve stellt Jeff vor Herausforderungen

Spiderhead wurde mit der Sony CineAlta Venice volldigital gedreht. Aus dem 6K-Ausgangsmaterial wurde ein 4K-DI gezogen, das von Netflix als 4K-Stream mit Dolby Vision angeboten wird. Das 4K-Bild ist farblich und kontrastdynamisch wirklich klasse. Die lebhaft-grüne Botanik auf der Insel kommt so kräftig rüber, dass man sich kaum satt sehen kann. Das teils türkisfarbene Wasser lädt zum Eintauchen ein und Hautfarben gelangen wunderbar warm zum Betrachter. Das passt gut zum Inselsetting und macht richtig Spaß. Die Schwarzwerte sind außerdem gut, was gerade in den dunklen Szenen in der Einrichtung eine tolle Dynamik erzeugt. Die Schärfe in Close-ups ist hervorragend und offenbart die Bartstoppeln vom grinsenden Hemsworth sehr detailliert. Erfreulicherweise bleiben Artefakte fast komplett aus. Lediglich bei den deutlich dunkleren Aufnahmen bekommen Oberflächen mal etwas unschöne Unruhen. Außerdem gibt’s hier und da leichtes Banding im Schein von Lampen.

Offenbarungen

Nicht ganz gewöhnlich, aber erfreulich: Dolby Atmos gibt’s bei Spiderhead für beide Sprachen. Jetzt ist der Film kein Action-Feuerwerk und bietet nur selten Anlass für dynamische Eskapaden. Meist ist es die Filmmusik, die Akzente setzt oder auch mal das Motorboot. Im Finale kommt der streicherbetonte Einsatz der Musik wuchtig und präsent zum Zuschauer, was die Dramatik unterstreicht. Die deutschen Stimmen gehen in dieser (und ähnlichen) Szenen aber etwas unter. Dafür fächert sich Steves Stimme schön weit auf, wenn er Kommandos in den Versuchsraum gibt. Die Heights werden vor allem dafür genutzt, die Stimmen derjenigen von dort ertönen zu lassen, die im Kontrollraum sitzen, während die Kamera auf die Probanden im Versuchsraum gerichtet ist (im Deutschen ist das allerdings nicht der Fall). Geräuscheffekte wie die Bootsschrauben bei 5’05 werden dann wiederum von beiden Atmos-Spuren auf die oberen Speaker gelegt. Das Gleiche gilt für den Score, der (wenn er denn mal nach oben gemischt wird) ebenfalls über beide Tonfassungen aus den Heights kommt. Ebenso wie das Gewitter bei 10’30. Doch wenn bei 11’45 wieder die Stimmen in den Versuchsraum geschickt werden, bleibt die deutsche Fassung obenrum erneut stumm. Offenbar hat man hier einfach die englische Geräuschspur genommen, darauf die deutsche Synchro gelegt und „vergessen“ zu checken, ob Originalstimmen vielleicht auch mal auf die Heights gelegt wurden. Allerdings: Die Synchro wurde dafür deutlich und sehr prägnant auf die Surrounds gelegt, was ebenfalls schön räumlich wirkt. Auf beide Tonspuren wurden die Chorgesänge bei 30’10 auf die Höhenspeaker gelegt, was qualitativ aber unterirdisch schlecht klingt, da sie tonal schwimmen und sogar leicht kratzen. Besser klingt das Klacken des herabfahrenden Schleusentores nach 37’10 und auch die Musik ab Minute 38 gelangt (sogar überraschend dynamisch) von oben ans Ohr. Im Finale zwischen der 80. und 90. Minute kommt der Score noch mal sehr prägnant aus den Deckenlautsprechern.

Fazit

Spiderhead bietet kurzweilige und bisweilen spannende Unterhaltung, die mit einer interessanten Thematik einhergeht. Im Gegensatz zur Vorlage, wird zugunsten eines Actionfinales aber die Konsequenz über Bord geworfen und einer stereotypen Liebesgeschichte untergeordnet. Stilistisch sieht’s aber toll aus und während Miles Teller etwas genervt agiert, darf man Chris Hemsworth mal in einer etwas anderen Rolle bewundern. Das Bild sieht wirklich klasse aus für einen Stream, dem deutschen Ton fehlen die Stimmen von Steve auf den Heights, während er ansonsten räumlich ist, aber nicht immer ausgewogen dynamisch.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 90%

Tonqualität 2D-Soundebene (dt. Fassung): 80%
Tonqualität 3D-Soundebene Quantität (dt. Fassung): 40%
Tonqualität 3D-Soundebene Qualität (dt. Fassung): 75%

Tonqualität 2D-Soundebene (Originalversion): 80%
Tonqualität 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 60%
Tonqualität 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 75%

Film: 60%

Anbieter: Netflix
Land/Jahr: USA 2022
Regie: Joseph Kosinski
Darsteller: Chris Hemsworth, Miles Teller, Jurnee Smollett, Charles Parnell, Tess Haubrich, Nathan Jones
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): de, en
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 107
Real 4K: Ja
HDR: HDR10, Dolby Vision
Datenrate: 15.25 Mbps
Altersfreigabe: 16

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)

Trailer zu Spiderhead

Spiderhead | Chris Hemsworth | Official Trailer | Netflix


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4 Kommentare
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Schneider, Robert

Hallöchen,
warum werden hier, wenn es um Streminggeht, eigentlich ausschließlich Netflix Sachen besprochen?
Und nicht sowas wie Obi Wan z.b.

Grüße

PatrickB

Chris Hemsworth war eindeutig das Highlight des Film! So gut habe ich ihn tatsächlich noch nie gesehen. :O Hatte wohl richtig Bock!