Platz 1: Station Agent

Platz 1: Station Agent (DVD Review)

Im Vertrieb von Paramount Home
Im Vertrieb von Paramount Home

OT: Station Agent

 


Gemeinsam Einsam

Thomas McCarthys Drama ist ein einziger Glücksfall der Filmgeschichte.

Story

Finbar ist nur einen Meter dreißig groß und lebt damit, dass er überall angeglotzt oder gar böse angemacht wird. Als zuverlässiger Mechaniker für Modelleisenbahnwagen arbeitet er in Henrys Laden und teilt mit ihm das Hobby des „Trainspottings“. Unter Gleichgesinnten kann er sich einigermaßen heimisch fühlen. Als Henry plötzlich verstirbt und Finbar ein Bahnwärterhäuschen inklusive Grundstück auf dem Land hinterlässt, beschließt der introvertierte Mann, sich dort einzurichten und sein Leben zurückgezogen zu verbringen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn auf dem Vorplatz des Gleises steht der junge und lockere Joe mit seiner Imbissbude. Unablässig klopft er bei Finbar an, bietet ihm Gesellschaft oder auch nur einen Kaffee an. Als Finbar dann auch noch von der etwas zerstreuten und allein lebenden Olivia gleich zweimal beinahe umgefahren wird, ist es mit dem ruhigen Leben vorbei. Die drei knüpfen zaghaft freundschaftliche Bande und verbringen Zeit miteinander. Werden die unterschiedlichen Charaktere aber eine dauerhafte Verbindung zulassen …?

Warum gerade „Station Agent“?

Irgendwann im Jahre 2004 kam eine damalige Arbeitskollegin auf mich zu und erzählte mir von einem Film, den sie tags zuvor im Programmkino gesehen hatte. Sie schwärmte geradezu von Station Agent, beschrieb mir kurz die Geschichte und forderte: Wenn DER irgendwann als Rezensionsmuster in meine Hände fallen würde, müsste ich ihn ihr UNBEDINGT vermachen. Zu dem Zeitpunkt nicht zwingend ein Fan von Arthouse-Programmkino-Dramen erntete sie ein „na klar“ meinerseits – zumal mir die beschriebene Geschichte so alltäglich und irgendwie langweilig vorkam. Ich wusste nicht, wie sehr ich mich irren sollte und wie sehr ich mich in eine Schublade begeben hatte.
Acht Monate später, der Februar 2005: Eins der üblichen Päckchen von Paramount Home Pictures erreichte die Redaktion und beim Auspacken fiel mir Station Agent auf. Ich erinnerte mich an das Gespräch von damals und legte den Film zunächst mal auf die Seite. Ein paar Tage später kam ich dann dazu, ihn zu sehen. Schublade auf, Station Agent rein, Schublade zu – ein klarer Fall, oder? Tja, was soll ich sagen? Nein!
Die Geschichte vom kleinwüchsigen Finbar, der sich entgegen seines Vorhabens langsam anderen Menschen gegenüber öffnet, fesselte mich von der ersten Minute an vor der Leinwand. Seitdem ist dieses Zelluloid-Kleinod mit weitem Abstand der von mir am meisten geschaute Film. Was mir in der ursprünglichen Schilderung langweilig vorkam, war in Wahrheit echt und absolut authentisch. Selbst relativ ereignislose Momente, wie das erste gemeinsame Zugbeobachten von Finbar und Joe, sind alles andere als zäh, sondern ergreifend in ihrer zaghaften Annäherung der beiden Figuren. Wenn Joe dann ohne zu schauspielern emotional vollkommen aus sich herausgeht, als (nach gefühlt zwei Stunden) der erste Zug vorbeifährt, nimmt man ihm diesen Ausbruch ohne Vorbehalte ab. Getoppt wird dies dann von der vielleicht schönsten Szene des Films, wenn die beiden in seinem Imbisswagen mit Vollgas einem Zug hinterherfahren und ihre gemeinsame Zeit feiern – das ist Leben, das ist Kino, das sind Gefühle! Und Peter Dinklage stellt das gemeinsam mit einem wunderbaren und entwaffnend positiven Bobby Canavale einfach so authentisch dar, dass man augenblicklich Freundschaft mit beiden schließen möchte.

Da schon zu Beginn, als Finbar und Henry bei der privaten Diashow eines Mitglieds ihres „Zugbeobachtungs-Clubs“ anwesend sind, dem Hobby mit entwaffnendem Sarkasmus begegnet wird, ist ohnehin klar, dass von diesen Szenen keine Langeweile ausgehen wird.
Überhaupt Henry: nüchterner und doch bewegender wurde vermutlich noch in keinem Film beschrieben, wie eine zunächst als wichtig eingeführte Figur plötzlich stirbt. Es muss auch gar nicht mehr gesagt werden, um zu verstehen, dass sich für Finbar von nun an das ganze Leben sehr verändern wird. Eine Veränderung, die den bisher von den Menschen nur mit bösen oder bemitleidenswerten Blicken bedachten Finbar vom nachvollziehbar verschlossenen Typen zu einem Mann macht, der stolz in der Schule von Cloe einen Vortrag über Züge hält – allen fragenden Kinderaugen zum Trotz.
Als dann Olivia, die durch einen schweren Schicksalsschlag ebenfalls den Weg in die Einsamkeit eingeschlagen hat, zu dem Duo stößt, folgen Momente voller Sensibilität. Regisseur McCarthy fängt diese Szenen teils ruhig beobachtend, teils episch schön ein. So gehört das erste gemeinsame Wegabschreiten des Trios sicher zu den bemerkenswertesten Momenten der Kinogeschichte.
Das Zusammentreffen der drei Charaktere, die kaum unterschiedlicher sein könnten und die alle ihr Päckchen zu tragen haben, wird so erfrischend natürlich inszeniert, dass einem warm ums Herz wird. Dazu kommt die absolute Gutmütigkeit, mit der Bobby Canavale seine Figur des „Joe“ porträtiert und als scheinbar lockerer Lebemann genau entgegen der Erwartungen agiert – gibt es überhaupt eine positivere Figur in der Filmgeschichte?

Peter Dinklage, der bis zum Dreh von Station Agent eher in stereotypen Rollen besetzt wurde, bekam daraufhin vermehrt Filme angeboten, in denen er durch seine schauspielerische Präsenz überzeugen konnte und nicht auf seine Körpergröße reduziert wurde (Sterben für Anfänger, Game of Thrones). Zu Recht, denn seine Mimik und sein Einfühlungsvermögen in Figuren ist außerordentlich. Das Zusammenspiel mit Bobby Canavale als Joe macht Station Agent so reizvoll. Man mag, wie Fin selbst, gar nicht so recht glauben, wie unbefangen und offen Joe auf den zuvor nur neugierig bis misstrauisch beäugten Finbar zugeht und muss sich am Ende fragen, warum eigentlich? Warum fällt es spontan so schwer zu glauben, dass jemand vollkommen vorbehaltlos auf einen Außenseiter der Gesellschaft zugeht. In diesem Moment wird einem, bei aller Positivität des Films, auch bewusst, dass Regisseur McCarthy dem Zuschauer gekonnt einen Spiegel vorhält. Ein bisschen ertappt fühlt man sich und beschließt, demnächst das eine oder andere Vorurteil im Keim zu ersticken. So wie ich meine Schublade vielleicht gar nicht erst hätte öffnen und den Film nicht als Arthaus-Langweiler hätte abtun sollen.
Denn wenn die Protagonisten es im Laufe des Geschehens immer wieder schaffen, über ihre eigenen Schatten zu springen, dann muss das auch im echten Leben möglich sein. Und dann nimmt man aus einem Film, der eine Hommage an die Freundschaft und die Aufrichtigkeit ist, mehr mit als 90 Minuten berührende, dramatische, witzige und herzliche Unterhaltung.

Fazit

Nach dem Multimillionen-Dollar-Spektakel Herr der Ringe folgt ein Film auf dem Thron meiner Lieblingsfilme, der in Deutschland von gerade mal 50.000 Zuschauern gesehen wurde. Station Agent ist praktisch das komplette Gegenteil von Jacksons Trilogie, aber eben nicht minder sehenswert. Für mich ist McCarthys Drama der wahrhaftigste Film, der jemals über Freundschaft inszeniert wurde und eine cineastische Offenbarung – meine #1 der besten Filme aller Zeiten. Ach ja: Natürlich habe ich die DVD damals ganz alleine für mich behalten …
Dass es ihn bis heute nicht auf Blu-ray gibt, ist übrigens eine Schande. Ohnehin ist es schon schwer, an die alte DVD zu gelangen, da sie nicht mehr aufgelegt wird. Und selbst wenn man sie dann mal ergattert hat, ist deren Bildqualität leider nicht sonderlich befriedigend. Die Kontraste wirken verwaschen, die Schärfe ist maximal befriedigend und Artefakte gibt’s auch nicht selten.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 30%
Film: 100%

Anbieter: Parmount Home Entertainment
Land/Jahr: USA 2003
Regie: Thomas McCarthy
Darsteller: Peter Dinklage, Patricia Clarkson, Bobby Canavale, Michelle Williams
Tonformate: Dolby Digital 5.1: de, en
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 86
FSK: 6


So testet Blu-ray-rezensionen.net

Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.

Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:

Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild“verbesserern“ zu verfälschen.

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2 Kommentare
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Ondy

Hab ihn mir heute ansehen können und das sogar in Full HD. Ein sehr schöner Film der unangestrengt an zu schauen ist. Der aufbau der Freundschaft ist schön gemacht und nach dem Film hat man einfach lußt mal raus zu gehen und gute laune zu verbreiten 😀

Mein Lieblingsfilm was das Thema Benachteiligung wiedergibt ist > In meinem Kopf ein Universum
ein Unerträgliches Drama über einen behinderten Menschen. Wenn der Geist Funktioniert aber der Körper nicht mitmacht wird hier eindrucksvoll wiedergegeben und regt pausenlos zum nachdenken an.

Michael

Da ich die Top-10 hier eigentlich so unterschreiben könnte, habe ich mir extra noch den mir bisher unbekannten „Station Agent“ bestellt und zum Glück noch eine englische Version gefunden. Großartiger Film, vielen Dank für diesen ‚Geheimtipp‘!