Sweet Girl [Netflix]

Netflix Review

Netflix, 20.08.2021

OT: Sweet Girl

 


Schmerz schweißt zusammen

Jason Momoa darf als deprimierter Witwer mal so richtig auf Rache machen.

Inhalt

Ray und Rachel – seit dem Tod der Mutter ein eingeschweißtes Team

Ray Cooper wäre der glücklichste Mann der Welt. Er hat eine Frau, die er liebt und eine Tochter, die ihn stolz macht. Doch das Schicksal schlug zu. Seine Frau Amanda erkrankt an Krebs. Während Ray alles dafür tut, um für sie da sein zu können, weckt das Generikum eines bestimmten Medikaments Hoffnung. Der behandelnde Arzt ist guter Dinge. Doch nachdem sich einige Zeit nichts mehr tut, klärt Dr. Wu Ray auf: Der Pharmakonzern BioPrime, der hinter dem Originalmedikament steckt, bezahlt den Hersteller des Generikums dafür, die Arznei vom Markt zurück zu ziehen. Amanda kann nicht mehr davon profitieren und das Original kann sich Ray nicht leisten. Und BioPrime denkt nicht daran, die Kosten zu reduzieren. Als der CEO des Pharmariesen im Fernsehen ist, ruft Cooper ihn an. Und er lässt ihn wissen: Falls Amanda sterben wird, wird das dessen Todesurteil sein. Ein halbes Jahr später scheint Ray von dem Plan abgerückt zu sein. Doch ein Journalist weckt neue Hoffnung, dem Konzern das Handwerk zu legen. Dafür allerdings braucht er Rays Hilfe. Ein Todesfall und eine schwere Verwundung später scheint jede Ambition, den Pharmariesen zur Strecke zu bringen, jedoch wieder dahin – bis sich nach zwei Jahren die Dinge zuspitzen …

Rachel lässt ihre Trauer und Wut im Training raus

Jason Momoa ist der Mann der Stunde. Neben Dwayne Johnson dürfte es derzeit keinen anderen Darsteller geben, um den sich jedes Studio reißen würde, ihn in einer Hauptrolle als Zugpferd für den Film zu besetzen. Ihm ist es zu verdanken, dass der ultrateure Edeltrash Aquaman überhaupt so erfolgreich wurde. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass sich Momoa nicht mal schminken oder seinen Körper monatelang stählen muss, um in die Rolle des Unterwasser-Helden zu schlüpfen. Der auf Hawaii geborene Schauspieler, in dessen Adern irisches, indianisches, hawaiianisches und deutsches Blut fließt, kann sich derzeit seine Rollen zu Recht aussuchen,  wenn man alleine davon ausgeht, wie sympathisch, unkompliziert und umgänglich er zu sein scheint.
Dennoch ist er auch eine treue Seele und mit Produzent/Kameramann/Regisseur Brian Andrew Mendoza verbindet ihn eine lange Freundschaft. Erstmalig arbeiteten sie im Regiedebüt von Momoa (Brown Bag Diaries) zusammen, das Mendoza produzierte. Es folgten Kollaborationen in Vendetta Rider, Braven und der TV-Serie Frontier.
Für Sweet Girl verdreht sich nun die Konstellation von Brown Bag Diaries. Momoa produziert(e) und Mendoza führt(e) Regie. Das Ganze hat man dann an Netflix verkauft und so darf der Streaming-Gigant den Film nun exklusiv auswerten.

Ray hat bald die Staatspolizei an den Hacken

Jetzt darf man durchaus skeptisch werden, wenn aktuell angesagte Schauspieler auf den Kinder-Trip kommen und meinen, es wäre sicherlich unterhaltsam, eine Geschichte mit Kids zu inszenieren. Das hat bei Vin Diesel zur Babynator-Katastrophe geführt, ging bei Arnold Schwarzenggers Kindergarten Cop in die Hose, blieb bei Dave Bautistas Spion von nebenan soeben im Bereich des Erträglichen und war auch bei Dwayne Johnson in Daddy ohne Plan maximal akzeptabel.
Was Sweet Girl auf dem Papier aber schon anders macht: Während vorgenannte Filme allesamt im Komödienbereich angesiedelt sind, sehnt sich Jason Momoa als am Boden zerstörter Familienvater nach dem Tod seiner Frau nach Rache.
Man bekommt hier also vielmehr eine Art Ein-Mann-sieht-rot-meets-John-Wick-Story serviert, in der Vater und Tochter zusammenhalten müssen. Der Ton ist grimmig, melancholisch und die Story nimmt sich ernst. Es geht um die Skrupellosigkeit der Pharmaindustrie und es geht darum, Erlösung zu suchen – und sie zu finden. Die Vorzeichen sind also komplett anders als bei den seichten Komödien-Laufversuchen von Momoas Schauspielkollegen.
Und es ist ungewohnt, den bärigen Baum von einem Kerl in einer sehr verletzlichen Rolle zu sehen. In einer Rolle, die ihm tiefe Emotionen abseits von einem schelmischen Hochziehen der (charakteristisch-vernarbten) Augenbraue abverlangen. Und das unterstreichen Film und Darsteller dadurch, dass Momoas Ray auch als Erzähler fungiert, der tiefgründige Weisheiten zum Besten gibt.

Aber Ray kann schneller rennen als das FBI

Ray Cooper wird durch sein Handeln in die Enge getrieben und gejagt. Gemeinsam muss er sich mit seiner Tochter im Wald verschanzen und die Elemente zu seinem Vorteil nutzen. Das sind wiederum Szenarien, in denen sich der Schauspieler pudelwohl fühlt und die zu ihm passen – zumal er sich schon in der starken Introszene direkt wieder ins geliebte Element Wasser stürzt.
Und natürlich weiß sich Cooper zur Wehr und seinen massiven Körper gegen die zahlreichen Feinde einzusetzen. Ebenfalls anders gegenüber oben beschriebenen Filmen ist die Tatsache, dass die Filmtochter hier schon ein gewisses Alter hat, aus dem Gröbsten raus ist und ihrem Daddy erstaunlich tatkräftig zur Seite steht. Tatsächlich konzentriert sich Sweet Girl nach etwas über einer Viertelstunde gerade auf Rachels Figur, um zu erklären, dass sie immer noch voller Wut und Tatendrang ist.
Auflockernden Humor gibt’s währenddessen praktisch überhaupt nicht. Auch die Kampfszenen sind erstaunlich grimmig inszeniert und von einer verzweifelten Bitterkeit getrieben. Insbesondere jene nach gut einer halben Stunde zeugt davon. Nach dieser könnte man überdies meinen, der Film sei schon vorbei. Doch es kommt noch was nach. Und es wird durchaus noch mal atmosphärisch und spannend. Die Kampfszenen hat man außerdem schön rau und realistisch gehalten. Ohne direkt das Gefühl aufkommen zu lassen, hier wäre ein Superheld aus Atlantis am Start. Was Sweet Girl an Glaubwürdigkeit innerhalb seiner beiden Hauptfiguren gewinnt, verliert er zum einen beim strunzdämlichen Verhalten der bösen Jungs und aufgrund der Tatsache, dass die Storywendung im letzten Drittel schlicht und ergreifend dermaßen konstruiert erscheint, dass sie Motive der ersten 80 Minuten teils über Bord wirft und verrät. Wer auf Überraschungen steht, wird hier zwar bedient, aber wirklich logisch wird der Film deshalb nicht.

Bild- und Tonqualität

Santos handelt in wessen Auftrag?

Über Sweet Girl war im Vorfeld nicht zu erfahren, wie genau er aufgenommen wurde und welches Digital Intermediate hier zum Einsatz kam. Dass digital gefilmt wurde, steht außer Frage. Und weil Netflix den Film als 4K-Titel mit Dolby Vision anbietet, darf man von einem nativen 4K-Workflow ausgehen, was für Filme, die exklusiv über Netflix kommen, eher die Regel als die Ausnahme ist.
Das Ergebnis läuft dann mit 15.25 Mbps durch die Leitung und sieht grundsätzlich nur „okay“ aus. Eine gewisse Körnung wurde nachträglich integriert, was dem etwas rauen und später auch kühl-schmutzigen Look recht gut steht. Allerdings führt das hier und da zu stehendem Rauschverhalten auf Hintergründen. Der Schwarzwert lässt zudem zu wünschen übrig und verfärbt sich in dunkleren Szenen unschön grün (59’07). Außerdem geht in kurzen, schnellen Bewegungen die Bildruhe aufgrund leichter Artefaktneigung schon mal etwas in die Knie.
Nichts Neues beim Ton für Sweet Girl: Dolby Digital Plus fürs Deutsche, Dolby Atmos fürs Englische.
Da beide im Kern mit DD+ kommen, gleichen sich die grundsätzlichen Eigenschaften bis auf die Dialogqualität ziemlich. Während Stimmen recht klar klingen, könnte der Hochton durchweg besser aufgelöst sein. Wenn Ray nach knapp 22 Minuten durch die Glasfenster!scheibe der U-Bahn fliegt, klirrt es über beide Tonspuren etwas muffig. Die generelle Dynamik während der Kampfszenen geht in Ordnung, dürfte aber über die Mainspeaker ebenfalls noch etwas kräftiger sein. Der Tiefbass darf hier und da mal etwas kräftiger zupacken, was vor allem einigen Schusssequenzen zugute kommt. Insgesamt eine räumliche, aber nur durchschnittlich dynamische Vorstellung auf der regulären 5.1-Ebene.

Ray räumt alles aus dem Weg

In Sachen 3D-Sound beginnt es mit dem Score, der leise von oben ertönt, während von hinten bereits der Helikopter anrauscht. In der nächsten Szene hört man dann leises Vogelgezwitscher und immer wieder auch räumliche Atmosphäre wie murmelnde Menschenstimmen oder ähnliches. Da abseits von der Intro-Szene zunächst nicht viel an Action und entsprechenden Möglichkeiten für Höhen-Effekte gegeben ist, bleibt es meist bei der Filmmusik sowie etwas Atmosphäre in der U-Bahn-Station oder auf dem großen Empfang nach knapp 30 Minuten. So öffnet sich der Raum akustisch etwas mehr, was insgesamt für mehr Räumlichkeit sorgt. Nach 35 Minuten gibt es dann wieder ein paar sehr deutliche Hubschraubergeräusche von oben und nach 53 Minuten lebt der Wald durch die Tiergeräusche förmlich auf. Gleich mehrfach setzt es Feuer-Wusch-Geräusche rund um die Ein-Stunde-Marke herum, was dann auch recht wuchtig vom Subwoofer mitgetragen wird. Wenn sich nach knapp 80 Minuten der erzählerische Kreis zum Beginn wieder schließt, hört man dann noch mal sehr schön Hubschrauber über den Köpfen kreisen. Neben den Helis ist der einzige, wirklich echte 3D-Geräuscheffekt das (in der Tat coole) Knarzen der Holzbretter nach etwas über 92 Minuten.

Fazit

Sweet Girl ist glücklicherweise ganz anders als die Kids-Komödien-Versuche anderer Actionhelden der 90er und 2000er und das gilt es zu loben. Denn immerhin begibt sich Jason Momoa (noch) nicht auf diesen schmalen Grad aus Albernheit und Kitsch. Leider macht das seinen jüngsten Actionthriller noch nicht zwingend zu einem guten Film. Was in der ersten Dreiviertelstunde mitunter vielversprechend beginnt, verlässt zur Mitte hin die spannenden Motive der Pharmakritik und präsentiert am Ende eine Überraschung aus der Puzzlekiste der Drehbuchautoren. Technisch sind Bild und Ton maximal Durchschnitt, wenngleich es ein paar nette Helikoptersounds von den Heights gibt.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%

Tonqualität (dt. Fassung): 70%

Tonqualität 2D-Soundebene (Originalversion): 70%
Tonqualität 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 50%
Tonqualität 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 70%

Film: 60%

Anbieter: Netflix
Land/Jahr: USA 2020
Regie: Brian Andrew Mendoza
Darsteller: Jason Momoa, Isabel Merced, Manuel Garcia-Rulfo, Amy Brenneman, Adria Arjona, Justin Bartha, Raza Jaffrey
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): en // Dolby Digital Plus: de, en
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 110
Real 4K: Ja
HDR: HDR10, Dolby Vision
Datenrate: 15.25 Mbps
Altersfreigabe: 16

(Copyright der Cover und Szenenbilder: CLAY ENOS/NETFLIX © 2021)

Trailer zu Sweet Girl

Sweet Girl | Offizieller Trailer | Netflix


So testet Blu-ray-rezensionen.net

Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Streams, BDs und UHD-BDs bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
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Dort findet ihr auch das aktuelle Referenz-Gerät für die Bewertung der Tonqualität, das aus folgenden Geräten besteht:

Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild“verbesserern“ zu verfälschen. Streaming-Filme werden zudem über mehrere unterschiedliche Apps Kontrolle geschaut, um etwaige deutliche Differenzen auszumachen.

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6 Kommentare
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Peter Fritsch

Also .Anfangs war der Film toll. Mit Action von Jason Momoa. Aber das letzte Drittel des Films .War Hanebüchen. XXXXXXXXXXX (Mod.Edit wg. Spoiler). So ein Blödsinn

Simon

Mir scheint das so ein wenig ein Muster von Netflix-Filmen zu sein: Starke Prämisse und Anfang …. aber nach hinten hin abbauend.
Hatte nicht alle Netflixfilme hier eine 60%-Wertung (oder tiefer)? 😉

Könnte auch eine Netflix-Vorgabe zu sein; wir waren mal bei einem Interviewabend mit einem dt. Produzenten dabei, der auch gerade etwas für Netflix produziert hatte und der erzählte, dass die schon recht deutlich eingreifen.
Vielleicht so eine Art „mit einem generischen Netz fängt man mehr Fische“?!

David

Ich sehe es ähnlich. Wobei ich vermute, dass die Vorgaben eher finanziell sind. Masse bringen. Man merkt einfach, dass viele Filme billiger produziert sind, seit die Masse bedient werden soll.

„tenet“ sollte „das Kino retten“. Auch, wenn es nicht der komplexeste Nolan war, so kann ich die Aussage mittlerweile trotzdem verstehen. Bei Nolan ist es immer noch „Klasse statt Masse“.

Simon

„Billig produziert“ finde ich die Netflixfilme nicht. Im Gegenteil: Gerade die „Setpieces“ (Action, CGI, Optik, Sound, ….) finde ich oft richtig gut. Auch die eingekauften Stars werden bestimmt sehr ordentlich entlohnt….
Es sind eher so Sachen wir Story, Charaktertiefe & -entwicklung, Twists, … – die eigentlich preiswert zu haben sind, stoßen mir häufiger auf.

Aber gut: Wir werden nicht den geheimen Netflixplan zur „Verwässerung der Drehbücher“ finden – und deshalb wird das Spekulation bleiben. 😉

Michael

Für mich leider eine der wenigen wirklichen Enttäuschungen unter den Streaming-Filmen. Momoa geht immer und die Action war durchaus passabel, aber die Vorstellung, wie Pharmalobbyismus funktioniert, war schon reichlich kindisch, und die „Wendung“ gegen Ende so haarsträubend, dass ich nur noch aus reiner Ungläubigkeit zu Ende schaute