The House That Jack Built

Blu-ray Review

Concorde Home Entertainment GmbH, 06.06.2019

OT: The House That Jack Built

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Art of Death

In Lars von Triers neuestem Film spielt Matt Dillon einen entsetzlichen, perversen Satan.

Fünf Vorfälle

„Sie könnten ein Serienmörder sein“. Als die mit ihrem Auto liegen gebliebene Frau diesen Satz gegenüber Jack äußert, nachdem dieser sie etwas widerwillig zur nächsten Werkstatt mitnimmt, ahnt sie nicht, wie sehr sie damit Recht behalten wird. Sie beschreibt ihm, wie sie sich vorstellt, dass er ihren kaputten Wagenheber nimmt, um ihr damit den Schädel einzuschlagen. Aber eigentlich textet sie ihn nur zu. Und weil das auf Dauer nervt, erfüllt Jack der Dame die Befürchtung.
Dieser Vorfall ebnet den Weg für eine zwölf Jahre andauernde Mordserie, die Jack mehr und mehr zu einer Kunstform erklärt. Dabei war er doch eigentlich Architekt und wollte nur ein Haus bauen …

Den Intellektuellen zu grafisch, den Horrofans zu verkopft?
Wenn man sich die Inhaltsbeschreibung in Verknüpfung mit dem Namen des Regisseurs durchliest, könnte sich genau diese Frage stellen.
Ich tue das eingangs und versuche mich mal an einer Antwort.
Wer das Œuvre des Regisseurs kennt (um mal für den Moment in die Intellektuellensprache des Feuilleton zu verfallen), der weiß um die Kontroversen, die von Trier immer wieder auslösen konnte (und sicher auch wollte).
Ob das die wackelige Kameraführung seines zweiten Dogma-Films Die Idioten war oder vor nicht allzu langer Zeit der moderate Skandal um sein als „Kunstporno“ verschrienes Doppel-Werk Nymph()maniac – der dänische Regisseur mit dem eintätowierten „FUCK“ auf seinen Fingerknöcheln, der 2011 in Cannes Sympathie oder Mitleid (oder beides) für Adolf Hitler bekundete (und daraufhin von der Festivalleitung für unerwünscht erklärt wurde), liebt die Provokation.
Auch wenn er diese Äußerungen kurz darauf als „dumm“ bezeichnete und jeder Willkommen sei, ihm „dafür in die Fresse zu hauen“.
Davon abgesehen arbeitet er sich in seinen Filmen gerne an den eigenen Psychosomatiken ab. So gibt er an, mit Melancholia seine eigenen Depressionen bekämpft zu haben und ohne entsprechende Suchtmittel fürchte, keine Filme mehr machen zu können (Quelle).

Jetzt kann man nur spekulieren, welche Drogen er genommen hat, als er The House That Jack Built schrieb und verfilmte. Der Skandal kam allerdings wie programmiert. Denn der Hinweis auf explizite Gewalt in seinem jüngsten Film schützte nicht davor, dass Zuschauer in Cannes (wo man ihn 2018 erstmals wieder empfang) den Saal verließen, während Matt Dillon als Jack sein blutiges Werk verrichtete.
Angesprochen auf die grafische Gewalt in seinem Film befindet Lars von Trier, dass er „Filme mache, die fehlen“. Er ist also nach wie vor ein Regisseur, dem man nicht ganz zu Unrecht des Öfteren Überheblichkeit und Größenwahn vorwirft.
Seine Art der Gewaltdarstellung halte er für ehrlich. Filme, die das in entsprechenden Szenen verschweigen und dadurch implizieren, dass die entstehenden Bilder im Kopf stärker wären, sind für ihn entschuldigend und ein Versuch, „taktvoll zu sein“.
Nun, Takt ist nicht gerade eine Tugend von Triers. Das dürften schon die oben angeführten Fakten ausreichend darstellen. Und in der Tat bricht er Tabus, wenn er Kinder umbringt und die gezeigte grafische Gewalt gegenüber Frauen ähnlich drastisch sonst nur in Untergrundfilmen zu sehen ist.

Stilistisch zwängt sich Lars von Trier erneut in eine Art Korsett.
In fünf Kapiteln (hier als „Vorfälle“ bezeichnet) unterteilt er The House That Jack Built und lässt seine Hauptfigur als Erzähler fungieren. Wir hören seine Gedanken, in denen er immer wieder mit einem gewissen Verge ins Zwiegespräch kommt. Verge wirkt wie ein Psychiater, der deutet, welche psychopathische Wesenszüge in Jack stecken – ihm, dem zwangsgestörten Neurotiker mit dem Wunsch nach etwas Größerem.
Gleichzeitig schildert der Film, dass Jack ein eloquenter, intelligenter und (wenn’s sein muss) charmanter Kerl ist. Einer, der sarkastischen Humor schätzt und äußerst redegewandt ist. Das führt in den meist überlang geschilderten Sequenzen nicht selten zu sehr humorvollen Situationen – gerade zu Beginn im Gespräch mit der Anhalterin.
Tatsächlich ist bis zu diesem Punkt nicht ganz erklärbar, warum das Cannes-Publikum in Teilen den Saal verließ. Denn die ersten beiden Morde werden überraschend luftig und ohne beängstigende Schwere inszeniert. Wenn Verge ihn nach dem zweiten Akt der Tötung mehrfach zurück zum Tatort gehen lässt, weil er ihn auf seine Zwangsneurose und den Putzfimmel anspricht, ist das fast schon eine Killer-Satire.
Nur um dann im Verlaufe eine gewagte These von Katharsis zu entwickeln, nach der Jack sich durch seine Morde mehr und mehr von seinen Zwangsneurosen befreien kann. Während Lars von Trier über seine Filme Befreiung sucht, tut’s sein Protagonist über die Akte der Tötung. Es dauert nicht lange, bis man feststellt, dass Jack eine Art filmischer Entsprechung des Regisseurs ist. Und wenn er dann darüber sinniert, dass Albert Speer ein visionärer Architekt war, zieht von Trier die Parallele zum 2011er Skandal in Cannes.

Ohnehin ist dieser fast 20-minütige Dialog zwischen Jack und Verge zwischen der 90. und 110. Minute das, was der Arthaus-Freund sich von Lars von Trier erwartet, womit wir bei der vorangestellten Frage sind: Ist The House That Jack Built für Kunstkino-Kenner zu hart und für Horrorfans zu verkopft?
Die Antwort ist in einem Falle einfach: Splatter-/Gore-/Horrorfreunde werden hier nicht glücklich. Dafür sind selbst die eigentlichen Morde zu redselig begleitet – ganz abgesehen von den bisweilen wirklich zähen Phasen zwischendurch.
Was aber ist nun mit dem Arthaus-Fan?
Nun, es gibt zwei sehr unangenehme grafische Morde. Und die manchmal lang ausgewalzten Tötungsdelikte werden den zartbesaiteten Zuschauern auch auf den Magen schlagen. Wer aber zumindest im Ansatz schon mal mit von Triers Filmen in Berührung gekommen ist, wird auch diesen hier verkraften können – zumal die Stimmung eben nicht zuschnürend düster oder suizidgefährdend depressiv ist.
Auch der Filmkunst-Kenner wird aber mit der einen oder anderen Länge zurechtkommen müssen, denn die zweieinhalb Stunden ziehen sich mitunter durchaus.

Bild- und Tonqualität

The House That Jack Built spielt von 1970 bis in die frühen Achtziger. Entsprechend gestaltete Lars von Trier das Bild in der Postproduktion mit etwas ausgewaschenen Farben, leichter Körnung und eher schwachem Schwarzwert. Dass die Schärfe nicht immer ganz auf der Höhe ist, liegt allerdings vornehmlich daran, dass der Regisseur die Sache mit der wackeligen Handkamera nicht sein lassen kann. So muss die Optik ständig nachregeln und nicht immer sind die zentralen Details im Fokus.
Der Look passt natürlich gut zum Film, auch wenn das technisch nicht sonderlich hübsch aussieht.
Akustisch bleibt The House That Jack Built fast komplett auf die Front – und dort auf den Center – beschränkt. Filmmusik findet nur selten statt. Die gesamte Akustik beschränkt sich zumeist auf das, was man hören würde, wenn man beim Geschehen dabei wäre.
Erst nach 39 Minuten gibt’s den ersten Filmsong (David Bowies Fame), der dann über sämtliche Lautsprecher wiedergegeben wird und sogar den Subwoofer (etwas rumpelig) fordert. Während der Schüsse auf der Lichtung im Wald gibt es dann urplötzlich rundum erfüllende Surroundsounds, die weiträumig widerhallen (64’00).

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von The House That Jack Built gibt es neben den Trailern noch ein Interview mit Lars von Trier auf Dänisch. Während der neuen Fragen und insgesamt knapp 34 Minuten erzählt der Regisseur viel über die Hauptfigur, über Männer generell und natürlich über die grafische Gewalt des Films. Am erschreckendsten ist aber sein physischer Zustand. Lars von Trier scheint gezeichnet vom Alkohol und den Psychopharmaka, die er gegen seine Panikattacken und Depressionen nimmt. Das Sprechen fällt ihm hörbar schwer und seine Hände zittern derart, dass man fürchtet

Fazit

The House That Jack Built ist für einen Lars-von-Trier-Film erstaunlich geradlinig und weniger verkopft als man denken könnte. Die grafische Gewalt KANN zärtere Gemüter sicherlich schockieren, stellt aber nur gewisse Spitzen in einem Film dar, der zwischendurch mit ein paar Längen zu kämpfen hat.
Matt Dillon allerdings liefert eine beeindruckende Vorstellung ab – schlimm genug, dass man ihn zwischendurch so selten gesehen hat.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität (Originalversion): 70%
Bonusmaterial: 50%
Film: 70%

Anbieter: Concorde Home Entertainment GmbH
Land/Jahr: Dänemark/Frankreich/Deutschland/Schweden 2018
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Matt Dillon, Bruno Ganz, Riley Keough, Uma Thurman, Siobhan Fallon Hogan
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 153
Codec: AVC
FSK: 18 (ungeschnitten)

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Concorde Home Entertainment GmbH)

Trailer zu The House That Jack Built

THE HOUSE THAT JACK BUILT | Cutdown Trailer | HD | Offiziell

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Rüdiger Petersen

Ich bin schon länger am zögern ob ich mir diesen Film zulegen soll. Aber wo ich nun diese wirklich interessante Rezession gelesen habe werde ich mir diesen Streifen auf jeden Fall besorgen. Ich habe schon einiges über diesen Film gehört und gelesen und dieser Regisseur ist nicht Jedermanns Sache. Habe na klar auch schon Filme von ihm geschaut die mich nicht gerade vom Sofa gefetzt haben. Aber Matt Dillon habe ich schon immer gerne gesehen und ich denke auch das er seine Rolle gut spielt. In so vielen Filmen habe ich ihn schon gesehen und niemals enttäuscht. Nur ein kleines Beispiel…….Im Film In and Out mit Kevin Kline macht Matt Dillon ja auch mit und jedes mal wenn ich mir den Streifen mal wieder anschaue muss ich über ihn lachen. Er spielt ja ein Schauspieler der einen schwulen Soltaten spielt. Wie er seinen verletzten Freund auf seinem Rücken durch den Dschungel schleppt ist einfach Köstlich. Manche Scenen sind wirklich so bescheuert das sie schon wieder gut sind. Eigentlich schade das es solche Filme nicht öfter gibt. Erst gestern Abend habe ich eine Scott / Rudin Produktion geschaut mit Namen …….Der Club der Teufellinnen………mit Bette Middler , Diane Keaton und Goldie Hawn. Diese Komödie finde ich auch super. Nun aber genug mit der Lohpudellei und ein dickes Danke an Timo für diese tolle Review die mir die Kaufentscheidung leicht gemacht hat.