The Innocents

Blu-ray Review

Capelight, 29.07.2022

OT: De uskyldige

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Böse

Höchst pessimistischer Entwurf einer Kindheit in Skandinavien.

Inhalt

Anna und Ida müssen sich in neuer Umgebung zurechtfinden

Ida und ihre ältere Schwester Anna sind mit ihren Eltern eben in eine neue Wohnung in einem Wohngebiet mit hohen Apartmentklötzen gezogen. Anna ist als Autistin auf die Hilfe ihre kleinen Schwester angewiesen, was für Ida nicht leicht ist. Viel zu viel Verantwortung, die einem kleinen Kind da aufgebürdet wird. Kein Wunder, dass Ida immer mal wieder rebelliert und ihre nicht ausdrucksfähige größere Schwester auch schon mal absichtlich schmerzhaft kneift – es ist eben nicht einfach, die Jüngere zu sein, der aber zwangsläufig weniger Aufmerksamkeit zuteil wird. Entsprechend sehnt sich Ida nach einem Freund in ihrem Alter. Die neue Wohnumgebung bietet immerhin das Potenzial dazu, leben dort doch Hunderte Menschen. Und tatsächlich. Kaum sind die beiden mit ihren Eltern eingezogen, begegnet Ida dem etwa gleichaltrigen Ben. Sie lernen sich kennen und Ben überredet sie, mit in den Wald zu kommen. Dort zeigt er ihr Unglaubliches: Mit der Kraft seiner Gedanken kann Ben Gegenstände in ihrer Bewegung manipulieren. Ida ist fasziniert und ziemlich beeindruckt. Allerdings auch etwas skeptisch, denn insgeheim spürt sie, dass Ben eine dunkle Seite hat. Und tatsächlich. Als der Junge sie erneut dazu einlädt, einem seiner „Tricks“ beizuwohnen, lässt er seine Kräfte an einem Tier aus. Abgestoßen von dieser Aktion, gleichzeitig aber alternativlos unternimmt Ida weiterhin etwas mit Ben und der gleichaltrigen Aisha. Die wiederum scheint eine geistige Verbindung zur älteren Anna aufbauen zu können. Denn während Idas große Schwester nie Schmerz zu empfinden scheint, fühlt Aisha diesen für Anna stellvertretend. Auch Idas Schwester spürt diese Verbindung und dann, ganz plötzlich, beginnt Anna wieder zu sprechen. Ein Wunder? Was aber ist mit Ben, dessen innere Wut immer mehr nach außen kehrt und der seine Kräfte zunehmend nutzt, um anderen zu schaden …

Ida ist erstaunt über Bens Fähigkeiten

Eskil Vogt ist in Norwegen vornehmlich als Drehbuchautor unterwegs. Und das sehr erfolgreich. 2022 erhielt er für sein Skript zu Joachim Triers Der schlimmste Mensch der Welt eine Oscarnominierung. Auch zu Triers Thelma steuerte er die Vorlage bei und tat dies natürlich auch für sein eigenes Regiedebüt Blind. In diesem erblindete eine Frau von einem Moment auf den anderen und entwickelte (neben einem Misstrauen ihrem Mann gegenüber) eine imaginäre Geschichte, in der mehrere Figuren schwere Schicksalsschläge erleiden – ganz wie sie selbst. Blind lebte davon, dass der Zuschauer irgendwann kaum noch weiß, ob er sich in der Realität oder in der Gedankenwelt der Protagonistin befindet – ein kleines Meisterwerk. Nun, acht Jahre nach seinem Debüt, nimmt Vogt für The Innocents wieder das Regiezepter in die Hand und hat die Vorlage (natürlich) erneut selbst geschrieben. Herausgekommen ist ein Film, der nicht jedem schmecken wird. Vor allem Eltern mit jüngeren Kindern werden an der kontroversen Story ordentlich zu knabbern haben. Denn unter der Oberfläche eines Sozialdramas mit Superhelden-Anstrich brodelt der Horror, der sich nicht davor scheut, die Zerstörungswut von Kindern zum Thema zu machen. Und, das ist das Besondere: Es auch nicht zu erklären.

Kindheit kann einsam sein

Ja, die Eltern wirken hier und da etwas mit ihren Kids überfordert. Ja, die Wohnsituation könnte irgendwie angenehmer sein. Aber The Innocents ist kein Film darüber, wie unzumutbare soziale Umstände und Gewalteskapaden der Eltern aus Kindern soziopathische Täter machen; keine Sozialstudie, die zum x-ten Mal das Stereotyp der vernachlässigenden oder wahlweise gewalttätigen Eltern als Hintergrund für sich entwickelnde Aggressionen bei den Kindern auswalzt. Vielmehr begibt sich Vogt mit seinem Skript in jenes von Trieben und dem Ausprobieren gesteuerte Verhalten, das Kinder in jenem Alter haben, da ihnen noch der große Bezugsrahmen fehlt. Jeder von uns wird das kennen: Wenn man sich als Kind mal unbeobachtet fühlte oder die Eltern mal aus dem Haus waren, hat man genau die Dinge gemacht, die man nicht sollte: Süßigkeiten naschen, Fernsehen schauen oder Schlimmeres – ja, es gibt natürlich Schlimmeres als unerlaubterweise vor der Glotze zu hocken. Man hat seine eigenen Grenzen ausgelotet und geschaut, wie weit man in Sachen Mutprobe oder Ungezogenes gehen kann. Eskil Vogt beginnt mit scheinbaren Kleinigkeiten. Er zeigt, wie Ida ihre Schwester während einer Autofahrt mutwillig kneift – immerhin kann sich Anna nicht wehren und ihren Eltern nichts davon sagen. Ida fühlt sich von den unverständlichen Artikulationen ihrer Schwester genervt und übt auf gewisse Weise Rache dafür, dass Anna so anders ist und man ständig auf sie Rücksicht nehmen muss. Schon diese Szene ist unangenehm. Weil sie einfach so ehrlich ist und das zeigt, was vielleicht jedes Geschwisterkind schon mal dachte; was man vielleicht selbst schon mal tun wollte, wenn einen das Gegenüber genervt hat. Man wird also auch mit seinen eigenen bösen Gedanken konfrontiert. Nach und nach treibt Eskil dieses Verhalten auf die Spitze. Zuerst wird ein Regenwurm zerquetscht, dann geht es einer Katze an den Kragen, bevor Menschen Ziel der Machtdemonstrationen werden.

Warum sieht Aisha diese Dinge?

Der Film steigert das Ganze, indem er seinen jungen Protagonisten übersinnliche Fähigkeiten verpasst. Plötzlich verfügen die Kids über Möglichkeiten, denen kein Erwachsener etwas entgegensetzen kann. Und diese unverhoffte Macht wird im kindlichen Austesten an die Grenzen getrieben. Dabei entwickelt The Innocents von Beginn an eine unterschwellig unangenehme Stimmung, die nicht selten zu einem Verkrampfen in der Magengegend führt. Kindern dabei zuzusehen, wie sie ihre Eltern bewusst verletzen; wie sie darüber hinaus kein Erbarmen gegenüber anderen Kinder zeigen – das ist bisweilen schwer zu ertragen. Nicht jede Szene gerät dabei grafisch, oft stellt sich das Unbehagen ein, weil es unter der Oberfläche rumort. Dabei darf man durchaus etwas Geduld mitbringen, da das dritte Viertel von The Innocents ein wenig auf der Stelle tritt, bevor sich die Ereignisse im letzten Akt wieder verdichten. Aber alleine aufgrund des starken Schauspiels der vier Kinderdarsteller überzeugt Vogts Werk. Ein Pluspunkt ist dabei, dass er nie erklärt, was es mit den Kräften auf sich hat, seinen Film nie ins Fantastische abdriften lässt, sondern immer in seinem reduzierten Mikrokosmos verortet.

Preis: 8,99 €
(Stand von: 2024/04/19 3:43 am - Details
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Format: Blu-ray
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Erscheinungstermin: Fri, 29 Jul 2022
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Bild- und Tonqualität

Ben am Ende seiner Kräfte?

The Innocents wurde mit einer Arri Alexa Mini volldigital aufgenommen, was eigentlich eine Garantie für rauscharme, sehr glatte und ruhige Bilder ist. Kameramann Sturla Brandth Grøvlen, der auch den deutschen One-Take-Film Victoria fotografiert hatte, nutzt allerdings massive Stilmittel, um dem Film seinen ganz eigenen Look zu verpassen. Beispielsweise fügte er in der Postproduktion eine deutliche, manchmal sogar sehr deutliche Körnung hinzu. Diese intensiviert sich noch sichtbar, wenn die Szenerie dunkler wird. Gerade die düsteren Innenraumaufnahmen oder aber Szenen bei Nacht entwickeln dann zusätzlich ein farbiges Rauschen, das nicht allzu hübsch aussieht. Apropos Farben: In den helleren Sequenzen sind diese eher etwas entsättigt worden und alles andere als satt oder kräftig. Da die Blu-ray grundsätzlich hell bis sehr hell gemastert ist, hat das aber einen ganz passenden Effekt, denn die beiden blonden und hellhäutigen Mädchen bekommen dadurch ein fast ätherisches, engelsgleiches Äußeres. Wenn weniger Kunstlicht im Spiel ist, werden Farben etwas prägnanter, während die Neutralität dauerhaft ins Rötliche tendiert. Das gibt dem Ganzen einen etwas wärmeren Touch als der Film inhaltlich vermittelt – vielleicht ein optisches „Gegenmittel“ zum schwer verdaulichen Inhalt. Was die Schärfe angeht, so ist diese bedingt durch das hinzugefügte Korn etwas beeinflusst. Geraten Close-ups meistens noch knackig, sind Halbtotale häufig ziemlich unscharf. Das fällt dann bei den zahlreichen Außenszenen im Innenhof der Wohnhäuser durchaus negativ auf. Das Encoding ist allerdings erstaunlich gut gelungen und vermeidet so weit es geht gröbere Pixelanhäufungen der künstlichen Körnung, hat also relativ selten mit Clusterbildung oder Artefakten zu kämpfen. Akustisch kommt die Blu-ray mit zwei DTS-HD Masterspuren fürs Deutsche und Norwegische. Und der Ton schlägt sich weniger eigen als das Bild. Die Atmosphäre auf dem Innenhof der hohen Häuser wird erstaunlich räumlich dargestellt: Hier umherspielende Kinder, dort ein Windrauschen und an anderer Stelle Geräusche von Spielplatzeinrichtungen. Wenn die (wirklich toll ausgewählte) Filmmusik zu hören ist, werden einzelne Töne fast greifbar auf die Rears gelegt. Erstaunlich für ein europäisches Drama, dass man hier ein so griffiges Sounddesign integriert hat. Das unterschwellige leise Dröhnen, das The Innocents teilweise unterlegt ist, verfehlt seine Wirkung nicht. Ganz im Gegenteil: Es sorgt für wohlige Schauer und trägt viel zur unheimlichen Stimmung des Films bei. Dialoge bleiben derweil dauerhaft sehr deutlich und gut verständlich. Zerreißen einmal einzelne lautere Geräusche die Stille (beispielsweise das Zufallen einer Tür), kommt spürbar Dynamik ins Spiel. Auch hier ist es erstaunlich, wie gut auch die Abmischung geworden ist. Gerade die räumliche Darstellung der Geräusche innerhalb und außerhalb des großen Gebäudes wird mit herausragendem Realismus rübergebracht. Was ebenfalls gut gelingt, ist die Trennung von Stimmen, sobald Protagonisten zu hören sind, die nicht im Bildmittelpunkt stehen. So kommen Dialoge auch gerne mal aus den Rears oder von den Stereospeakern. Ein klarer Tipp für Freunde solcher Abmischungen.

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Bonusmaterial

Das Bonusmaterial von The Innocents besteht aus dem (leider nicht untertitelten) Audiokommentar, den Regisseur Vogt mit seinem Kameramann Sturla Brandth Grøvlen als erweiterte Frage-Antwort-Variante eingesprochen hat. Das ist mal eine neuartige Variante eines Audiokommentars, aber ohne Untertitel für den deutschen Konsumenten nur bedingt nutzbar.

Fazit

The Innocents ist kein Film fürs nebenher Anschauen. Mit Szenen, die unangenehm wühlen, Kinderdarstellern, die einem Angst und Bange machen und einen kongenialen Score brennt sich Eskil Vogts Werk trotz einiger Längen ins Gedächtnis ein. Wie so oft muss man vor dem skandinavischen Kino den Hut ziehen. Scheinbar mühelos inszenieren sie starke Dramen, schaurige Thriller, herausragende Komödien und blutige Horrorfilme. Dazu gibt’s ein stark stilisiertes Bild und einen überraschend gelungenen Tonsektor.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 40%
Film: 75%

Anbieter: Capelight Pictures
Land/Jahr: Norwegen 2021
Regie: Eskil Vogt
Darsteller: Rakel Lenora Fløttum, Alva Brynsmo Ramstad, Sam Ashraf, Mina Yasmin Bremseth Asheim, Ellen Dorrit Petersen, Morten Svartveit, Kadra Yusuf
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, nw
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 117
Codec: AVC
FSK: 16

(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Capelight Pictures / Mer Film)
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Trailer zu The Innocents

THE INNOCENTS Trailer (Deutsch)


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Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
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3 Kommentare
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Ralph

Danke für die gute Besprechung – und aufgrund deiner Kritik habe ich mir nun auch das schicke Mediabook bestellt. Ich finde generell die Auswahl der Filme, die du besprichst, sehr gut!

Doktor-Monroe

Ein starker Streifen, der mir noch besser gefallen hat als „Blind“. Ich werde mir die Blu Ray gleich bestellen. Da ich den Film in einem kleinen Off-Kino gesehen habe, das nicht gerade für seine gute Akustik bekannt ist, freue ich mich vor allem darauf die Tonspur richtig genießen zu können, wobei mir im Kino wieder aufgefallen ist, wie schwer ich mich mittlerweile mit dem deutschem Synchron tue, der schon lange nicht mehr ansatzweise so gut ist wie sein Ruf. Allerdings gucke ich im Grunde nur englische Filme im Original, Untertitel lenken mich immer irgendwie ab, und werde so nicht in Versuchung kommen auf den norwegischen Track zurück zu greifen. Ich freue mich trotzdem auf die Zweitsichtung im Heimkino und bin grundsätzlich sehr gespannt wie es mit der Regie Karriere von Vogt weiter geht. Hat definitiv was lose, der Mann.