The Leftovers – Die komplette erste Staffel

Blu-ray Review

The Leftovers Season 1 komplette erste Staffel Blu-ray Review Cover
Warner Home, seit 08.10.2015

OT: The Leftovers

 


100 – 2 = Chaos

Eine der thematisch interessantesten Serien der letzten Jahre erscheint auf Blu-ray.

Inhalt

Es ist der 14. Oktober: Baby Sam saß gerade noch in seinem Kindersitz und ist von einer Sekunde auf die nächste praktisch vor den Augen seiner Mutter verschwunden. Nebenan steht ein kleiner Junge plötzlich alleine da, dessen Vater soeben noch den Einkaufswagen geschoben hatte – Fast genau drei Jahre später: Die Weltbevölkerung hat sich durch diese Ereignisse um genau 2 Prozent auf einen Schlag reduziert. 140 Mio. Menschen sind verschwunden und die Wissenschaft antwortet auf dieses Phönomen, dass sie auch nicht wisse, wo die Vermissten nun hin seien. Chief Kevin Garvey ist ebenso einer der Übriggebliebenen wie seine Frau Laurie. Der Polizist bemüht sich, zumindest in seiner Familie langsam Normalität herzustellen. Gar nicht so einfach bei einem Sohn, der kaum erreichbar ist, weil er für die mysteriöse Gruppe des Gurus Holy Wayne arbeitet (und leidet) sowie einer Tochter, die ihren Schmerz über den Verlust der Mutter hinter einer Fassade aus latenter Aggression und frostiger Coolness versteckt. Noch schwerer wird das, weil Laurie nicht verschwand, sondern nach den Geschehnissen ihr Leben einer Sekte namens „Die Schuldig Verbliebenen“ widmet. Deren Überzeugung ist es, dass man keine Luft mehr für Hoffnung verschwenden soll und im Hier und Jetzt leben sollte. Um diese Auffassung zu vermitteln, helfen sie bei der Rekrutierung neuer Mitglieder schon mal nach, was bei der übrigen Bevölkerung Aggression und Vergeltungsmaßnahmen provoziert. Inmitten dieser Zersetzungserscheinungen muss Garvey versuchen, für Ruhe zu sorgen, was ihm immer schwerer fällt, da er kaum mehr an eine Beruhigung glaubt …

The Leftovers beginnt mit einer äußerst spannenden Prämisse: Was passiert, wenn von hundert Menschen zwei Stück fehlen – und zwar überall auf der Welt? Dazu nutzt der Pilot eine unangenehm wirkende  Szene, in der eine Frau ohne ihr Baby und ein Kind ohne seinen Vater dasteht sowie ein offenbar führerloses Fahrzeug verunfallt. Pedantische Zuschauer könnten monieren, dass die kurz darauf folgende Erklärung des Radiosprechers erklärt, dass zwei von einhundert gar nicht so viel sei, man aber in der ersten Szene schon von drei Verschwundenen erfährt – verteilt auf gerade mal geschätzt 15 Personen. Aber geschenkt, denn irgendwie muss eine Mysteryserie seine innovative Idee ja einführen. Erstaunlich ist vielmehr, dass sich The Leftovers im Anschluss erst einmal gut zehn Minuten Zeit nimmt, seine Bilder wirken zu lassen. Kaum ein Dialog durchbricht diese gespenstige Stille. Erst danach fangen die Figuren Gespräche an. Doch irgendwie merkt man diesen Dialogen bereits an, dass die Ereignisse für die Menschen so einschneidend waren, dass sich Kommunikation und Verhaltensweisen verändert haben. Dennoch nimmt sich die erste Episode der von Damon Lindelof (LOST) und Tom Perrotta (Autor der 2011er Buchvorlage) konzipierten Serie zunächst Zeit, um in Fahrt zu kommen. Abgesehen vom Schmerz und dem seltsamen Verhalten Einiger nimmt man zunächst nicht wirklich wahr, welche auch politischen oder militärischen Folgen die Ereignisse hatten. Ist die Regierung noch dieselbe? Hat es zu militärischen Krisen geführt? Fragen, die erst einmal hinten angestellt werden. Anstelle dessen konzentriert sich The Leftovers auf zwei Gruppierungen, die spirituell-mystisch durchdrungen zu sein scheinen: Die „Schuldig Verbliebenen“, die ausschließlich weiß gekleidet unterwegs sind und ihren Protest stumm zum Ausdruck bringen. Dazu die Vereinigung einer Gemeinschaft, die sich um ihren guruhaften Leader Wayne geschart haben. Der Spielort bleibt dabei das fiktive Kleinstätchen Mapleton, das sinnbildlich veranschaulicht, welche Zersetzungserscheinungen eine Gesellschaft nach solch einschneidenden Ereignissen erreichen (können). Die Frage nach dem „so sind sie hin“ wird in The Leftovers nicht gestellt und sollte auch jene interessierte Zuschauer fernhalten, die eine Sci-Fi-Serie vermutet hatten. Im Fokus liegen die gesellschaftlichen Entwicklungen und Verflechtungen, weshalb Parallelen zu The Walking Dead durchaus zu ziehen sind – nur eben in weniger apokalyptischem Ausmaß. Und das, obwohl die Ausgangssituation der „Entrückten“ eine biblische Geschichte ist und auch immer wieder Motive des Schriftstücks bemüht – bis hin zur brutalen Eingangssequenz von Episode fünf. Diese Szene durchbricht die teils spirituellen und melodramatischen Sequenzen ebenso wie die heftigen Szenen, in denen thematisiert wird, dass sich die ehemaligen Haushunde extrem verändert zu haben scheinen. Während die Vierbeiner sich zu wildtierreißenden Meuten zusammenrotten, macht sich ein zunächst Unbekannter daran, die Tiere zu exekutieren. Warum er das tut, wird der Zuschauer (vielleicht) herausfinden.

Seinen ersten Höhepunkt hat die Serie, wenn nach gut 55 Minuten die aufgebrachte Menge auf die „Weißen“ losgeht und Chief Garvey die von allen unerwünschte Gruppe vor dem Mob beschützen muss. Man kann förmlich spüren, wie viel Frustration in den zurückgebliebenen Menschen steckt, dass sie auf gewaltfrei demonstrierende Artgenossen losgehen, die sie nur aufgrund deren Überzeugung verachten. Es sind zutiefst existenzialistische Fragen, die The Leftovers aufwirft und an stereotypen Entwicklungen abreagiert. Als westeuropäischer Zuschauer mag man nicht ganz nachvollziehen können, dass ein hypothetisches Ereignis wie dieses vor allem spirituelle Nachwirkungen hat, denn Glaube oder aber offensiver Nicht-Glaube sind ein zentrales Hauptmotiv der Serie und auch der heutigen US-Gesellschaft. Trauer und Wut, Verzweiflung und Hoffnung reiben sich am Katalysator Glaube und einer von Doppelmoral durchdrungenen Gesellschaft. So nutzt Pfarrer Jamison Flugblätter, um den vor Trauer in Selbststarre verfallenen Menschen zu offenbaren, dass eben nicht alle der Verschwundenen Heilige waren, dass es NICHT die biblische Entrückung war, denn dann hätte er selbst, der „wahre Gläubige“, doch auch unter den Auserwählten sein müssen. Während er gleichzeitig versucht, die Verklärung der Ereignisse zu durchbrechen und zu bewirken, dass er die „Guten“ von den „Schlechten“ trennt, nutzt er ausgesprochen diffamierende Stereotype, klagt eine verschwundene Frau bspw. an, Drogen verkauft zu haben – kein sonderlich christlicher Akt der Nächstenliebe. Schon gar nicht im Angesicht der Tatsache, dass sich der Geistliche zum hochmoralischen Richter aufspielt und höchstselbst definiert, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Seine ambivalent angelegte Figur ist es auch, die Christopher Ecclestone zu Höchstform auflaufen lässt. Seine Darstellung des missionarischen Priesters gehört zu den schauspielerischen Glanzleistungen in The Leftovers und lässt Episode Drei zur besten Folge der ersten Hälfte von Season 1 werden. Erstaunlich ist das deshalb, weil die bisherigen Figuren in diesen 50 Minuten vollkommen in den Hintergrund rücken. Justin Theroux als Chief Garvey hat die etwas undankbare Rolle des Sympathen, der zwar mit Visionen seiner Vergangenheit zu kämpfen hat, insgesamt allerdings weniger Rätsel aufgibt als seine zur Sekte übergetretene Frau Laurie. Die wird von Amy Brenneman (Private Practice) dargestellt und dies auf so beeindruckende Weise, dass man eine artikulierte Sprache gar nicht vermisst. Flankiert wird die außergewöhnliche Serie vom herausragenden klassischen Filmscore, für den Max Richter verantwortlich zeichnet. Dessen Musik wirkt bisweilen hypnotisch und verstärkt gerade während der prägnanten und höhepunktartigen Szenen das Erlebnis ungemein. Bleibt zu hoffen, dass The Leftovers kein pseudoreligiös-vermurkstes Ende nimmt, denn immerhin war Lindelof auch schon am verunglückten Finale von LOST beteiligt …

Bild- und Tonqualität

Schön, dass das Blu-ray-Medium mittlerweile auch genutzt wird, um TV-Serien mit einem guten Bild auszustatten. Abgesehen von Situationen, in denen die Kamera selbst nicht perfekt fokussiert, ist die Schärfe gerade in Nahaufnahmen hervorragend. Sehr gut gefällt auch die Kontrastdarstellung in The Leftovers, die ein sattes Schwarz ebenso präsentiert wie kräftige und lebhafte buntere Farben. In Bewegungen ist allerdings eine gewisse Körnung und Unruhe zu erkennen, die bei ruhigeren Szenen ausbleibt. Helle Bereiche auf Gesichtern sind bisweilen kurz vor dem Ausreißen – aber eben nur kurz davor. Auf diese Weise verstärkt sich noch der Eindruck der fiebrigen Ereignisse innerhalb der Serie.
Wie man es von Warner mittlerweile gewohnt ist, muss man bei der deutschen Fassung auf das HD-Tonformat verzichten. Während die Originalversion in dts HD-Master daherkommt, liegt die hiesige Sprachvariante gerade mal in Dolby Digital vor. Das mag bei einer TV-Serie, die vornehmlich Dramacharakter hat, nicht allzu ärgerlich sein – hörbar ist es aber dennoch. Man nehme einfach mal den ersten Schuss des „Hundekillers“ (4’08), der auf der Originalspur nicht nur bedeutend lauter abgemischt ist, sondern gefühlt sekundelang nachhallt. Ein Hall, den man beim deutschen Ton mit dem Stetoskop „suchen“ muss. Insgesamt ist die Dolby-Digital-Spur von The Leftovers zwar absolut okay, schöpt aber eben nicht ansatzweise das Potenzial aus, das die Blu-ray mit ihrer Kapazität böte. Das, worauf es ankommt, die Dialoge, gelangen sehr gut verständlich ans Ohr und sowohl die Filmmusik als auch atmosphärischen Umgebungsgeräusche werden räumlich dargestellt.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial finden sich zunächst die beiden Audiokommentare zur ersten und zur letzten Episode der kompletten ersten Staffel von The Leftovers. Während Folge 1 von Lindelof und Perotta alleine eingesprochen wurde, gesellt sich zur finalen Episode Regisseurin Mimi Leder dazu. Untertitelt sind beide jedoch nicht. Auf Disk eins findet sich zusätzlich das halbstündige Making-of, das mit Scott Glenn und seinen Ausführungen zum Bermuda-Dreieck beginnt. Im Verlaufe der 30 Minuten werden nach und nach die einzelnen Figuren und Gruppen vorgestellt und man ergründet etwas tiefer, was die Motivation der „SV“ oder die von „Holy Wayne“ ist. Natürlich kümmert man sich in einer Art umgebenden Bogen auch um die Frage, wohin Menschen verschwinden könnten. Disk zwei enthält dann neben dem angesprochenen Audiokommentar noch ein Gespräch zwischen Lindelof und Perotta sowie ein Feature, das den „SV“ gewidmet ist. Als kleines Goodie obendrauf gibt’s einen Ausblick auf Season 2, die in vielerlei Art und Weise Veränderungen mit sich bringen wird.

Fazit

The Leftovers macht vieles Richtig: Die Ausgangssituation ist spannend, die Figuren haben die nötige Tiefe und die Darsteller sind allesamt hervorragend. Dazu gibt’s immer wieder mysteriöse Entwicklungen und Rätsel, welche die Spannung anfachen und aufrechterhalten. Bleibt zu hoffen, dass sich das Ganze nicht irgendwann in einem esoterisch-verquasten Finale auflöst – ohnehin wird der religiöse Unterton der Serie beim deutschen Publikum nicht nur auf Gegenliebe stoßen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 50%
Serie: 75%

Anbieter: Warner Home
Land/Jahr: USA 2014
Regie: Mimi Leder, Carl Franklin, Peter Berg, Daniel Sackheim
Darsteller: Justin Theroux, Amy Brenneman, Christopher Eccleston, Chris Zylka, Margaret Qualley, Carrie Coon, Ann Dowd, Liv Tyler, Emily Meade
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de // Dolby Digital 5.1: de
Bildformat: 1,78:1
Laufzeit: 560
Codec: AVC
FSK: 16