Blu-ray Review
OT: The Vigil
Fünf Stufen der Seele
Höchst effektiver Gruselschocker mit jiddischem Hintergrund.
Inhalt
Yakov hat die Nase vom Glauben voll. Aufgewachsen mitten in Brooklyn und innerhalb einer streng dem Chassidismus verschriebenen, ultraorthodoxen Gemeinde, möchte er dem Stadtteil den Rücken kehren. Aber da er chronisch knapp bei Kasse ist und auch noch ein nicht gerade günstiges Medikament braucht, ist die Flucht aus der Herkunft leichter gesagt als getan. Als er nach einem (scheinbaren) Selbsthilfe-Abend mit Freunden auf der Straße den Rebbe Shulem trifft, bietet dieser ihm einen Job für eine fünfstündige Totenwache an. Weil Yakov ihn auf die doppelte Vergütung hochdrücken kann, sieht er darüber hinweg, dass er mit dem Glauben eigentlich nichts mehr am Hut haben wollte und sagt zu. Selbst als die Frau des Verstorbenen, die an Alzheimer leidende Mrs. Litvak, lieber hätte, dass Yakov auf dem Absatz kehrt machte, lässt er sich von Shulem überreden, den Job durchzuziehen. Zunächst wirkt alles auch ruhig und unproblematisch. Doch dann mehren sich seltsame Zeichen. Das Licht flackert, aus der Decke kommen polternde Geräusche und als Yakov ein Video auf sein Handy bekommt, das ihn zeigt, wie er auf dem Sessel im Zimmer eingeschlafen ist, wird’s ihm wirklich unheimlich. Spielt ihm nur seine eigene (durch ein traumatisches Erlebnis) geschundene Seele einen Streich oder sieht er wirklich einen bösen Dämon im Anmarsch …?
Aus gegebenem Anlass stelle ich dem Review von Vigil eine kleine Begriffserklärung – neudeutsch [FAQ] (was ja eigentlich für Frequently Asked Questions steht) – voran. Denn ein kleiner Teil zu Beginn des Films wird in jiddisch gesprochen, was sowohl in der englischen Originalfassung als auch in der Synchro der Fall ist.
Shomer [שומר] – Pfleger / hier eher: Totenwächter
Mazzik/Mazzikin // Dibuk / Schedim [מַזִּיקִין] / [דיבוק] / [שֵׁדִים] – bösartiger Totengeist
HaSchem [הַשֵּׁם] – jüdische Bezeichnung für Gott
Nefesch [נפש], Ru’ach [רוח], Neschama [נְשָׁמָה] – Ausdrücke für Lebensatem, Hauch des Lebens, Geist, Seele, Lebensenergie
Der Besessenheitsfilm. Ein immer wieder auftauchender Genrekollege, dessen prominentester Vertreter wohl nach wie vor Friedkins Exorzist sein dürfte. Seit den 70ern gibt’s immer mal wieder eine Renaissance der Gattung Dämon-fährt-in-einen-Lebenden-oder-Toten-und-schickaniert-seine-Umwelt. Meist entspringen diese Filme einem tief verwurzelten Glauben oder nutzen ihre Thematik, um Kritik an selbigem zu üben. Der Katholizismus dürfte wohl die am häufigsten anzutreffende Richtung innerhalb des Subgenres sein, wenn es darum geht, einem bösen Dämon den Garaus zu machen. Aber es gibt Ausnahmen. Hin und wieder trifft man mal einen islamisch geprägten Dämon im Film an (Djinn) oder schickt einer polnischen Hochzeitsgesellschaft einen jüdischen Dämon auf den Hals (Dibbuk). Um einen „Dibbuk“ geht’s auch in Vigil. Also einen Dämon, der dem jüdischen Glauben nach in den Körper eines Lebenden eindringen kann und ihn seltsame bis bösartige Dinge tun lassen kann. Der Film spricht zwar von „Mazzik“, was eine eher seltenere Bezeichnung ist, am Ende aber das Gleiche meint.
Die Shomer indes sind die männlichen Totenwächter. Eben jene Menschen, die einige Tage über die Leiche eines Verstorbenen der Gemeinde wachen und dabei Psalmen rezitieren, um der Seele Trost zu spenden (wie es der Film zu Beginn entsprechend erklärt). Yako übernimmt diesen Job eher widerwillig und nur, weil’s ihm ums Geld geht. Einige Stunden soll er dabei bleiben, wird allerdings schnell von seinen eigenen Dämonen und einem offenbar aktiven Geist heimgesucht. Dabei nutzt Reigsseur Keith Thomas in seinem von ihm selbst geschriebenen Langfilmdebüt immer wieder das Stilmittel der Rückblicke, um dem Zuschauer seine Figuren und deren Vergangenheit nahezubringen. Im Falle des Verstorbenen Rubin Litvak führen die eingespielten Flashbacks zurück ins Konzentrationslager Buchenwald und zu den Ereignissen des Holocausts. Vigil nutzt sein Gruselszenario, um eine Brücke zum nach wie vor vorhandenen Antisemitismus in New York zu bauen. Denn während auf der einen Seite die Holocaust-Flashbacks gezeigt werden, träumt Yakov immer wieder von einem traumatischen Ereignis, dass er mit Judenhassern während eines nächtlichen Nachhausewegs hatte. Abgesehen vom sozialkulturellen Hintergrund ist Vigil aber auch echt spannend. Schon die erste Viertelstunde steigert den Thrill, in dem die dunklen Bilder auf der Straße von einem bohrenden Score unterlegt werden, der unter die Haut geht. Dass der Film in der Wohnung der Litvaks hingegen sehr oft vor allem die Stille nutzt, um Thrill zu erzeugen, wirkt ebenso. Hat sich da gerade was unter dem Leichentuch bewegt? Was knackt da oben in der Decke?
Ja, Vigil setzt auch auf typische Jumpscares. Das aber höchst effektiv und mit ziemlich unangenehmen Details (34’00). Allerdings braucht der Film das gar nicht wirklich, um für nervenzerrende Momente zu sorgen. Wenn man Yakov zuhört, wie er mit seinem Therapeuten redet, bevor sich das als erneuter Trugschluss herausstellt; wenn sich daraufhin unter dem Leichentuch etwas bewegt – dann ist das alles andere als effekthaschend, sondern folgt dem Prinzip, das Maximum aus einem Minimum heraus zu holen. Hand in Hand gehen diese stillen Gruselszenen mit den lauten und dynamischen. Oft hat man als Zuschauer das Gefühl, seinen eigenen Alpträumen zu begegnen, wenn man dort vor etwas Bösem weglaufen will, aber im Angesicht der Rettung keinen Hilfeschrei rausbekommt. Erstaunlich, wie stimmungsvoll Langfilm-Debütant Thomas die Nerven des Zuschauers in Wallung versetzt, ohne dafür allzu groß in die Trickkiste zu greifen. Was aber auch deshalb so gut funktioniert, weil Dave Davis in der Rolle des Yakov wirklich gut, sehr natürlich und charmant ist. Dass er (als junger Mensch in New York) sein Mobiltelefon nicht beherrscht, lässt ihn menschlich wirken. Etwas entrückt vielleicht sogar. Jedenfalls stellt sein Spruch, er habe beim Versuch, das Internet mit seinem Telefon zu bedienen, die Taschenlampe gefunden („ein cooles Feature“) auf niedliche Weise eine Verbindung zum Zuschauer her. Wer die Vita von Davis mal durchforstet, merkt ohnehin schnell, dass er ein äußerst wandlungsfähiger Schauspieler ist. In Vigil nimmt man ihm Schmerz, Leiden und das etwas Entrückte durchweg ab, folgt ihm aber genauso gebannt bei seiner Suche nach dem Ursprung des Dämons. Und wenn der Film am Ende sogar noch die Kurve zu bewegenden und berührenden Bildern bekommt, darf man durchaus mal etwas Lob verteilen.
Bild- und Tonqualität
Vigil wurde mit der ARRI Alexa digital gefilmt und die Blu-ray liefert das Ergebnis mit einem entsprechend sehr sauberem und wunderbar rauscharmem Bild ab. Die schwierige und neblige Szene während des Traums zu Beginn wird glücklicherweise ohne sichtbares Banding wiedergegeben, was schon mal ein Lob wert ist. Das bekommen andere Kodierungen von anderen Anbietern oft nur wesentlich schlechter hin. Erst beim Lampenflackern nach 30’24 oder auf der Tür bei 69’20 sieht man sie dann doch, diese ringartig auftauchenden Artefakte. Allerdings sind das auch sehr schwierige Aufnahmen, die selbst von einer sehr gut encodierten Disk nicht immer perfekt eingefangen werden. Die um die sechs jungen Erwachsenen kreisende Kamera in der zweiten Szene des Films fängt das Ganze mit sehr warmen Farben ein, wirkt an dieser Stelle aber schon mal etwas arg soft gefiltert. Dazu kommt, dass die Szenen in der Wohnung des Toten bisweilen dermaßen düster sind, dass Details in den Schattenbereichen immer wieder komplett untergehen. Sicherlich ist das auch ein bisschen gewollt und sorgt für Spannung. Aber ein bisschen mehr dürfte man schon erkennen können. Oft sind die Schattenbereiche einfach komplett im Dunklen verborgen. Wenn mal besser beleuchtete Close-ups zu sehen sind, sind diese schön scharf – beispielsweise während der Szenen, in denen Yakov auf den TV-Bildschirm starrt. Hier kann man wirklich schön die Details erkennen. Akustisch beginnt Vigil mit einem Traum. Ein Traum, in dem ein Mensch Luft schnappt und Schüsse fallen. Beides wird äußerst räumlich und ziemlich intensiv dargestellt, was schon für eine erste Gänsehaut sorgt. Die Dialoge sind jederzeit gut verständlich, beim Wechsel zwischen Original-Jiddisch und Deutsch hätte man die Lautstärke und Präsenz aber etwas besser abgleichen können – hier klingt der Wechsel von Jiddisch auf Englisch der englischen Tonspur etwas gleichmäßiger. Der Song, den Yakov dann in der Wohnung des Toten hört, komprimiert im Bass ein bisschen, was aber (ohne ihn zu kennen) auch am Titel liegen kann. Herausragend räumlich sind dann jedoch wiederum die Geräusche, die Yakov (und der Zuschauer) nach 20 Minuten aus den Wänden und von der Decke hören. Wahnsinn, wie sehr schon die reguläre 5.1-Spur hier eine Räumlichkeit auch im oberen Bereich erzeugt und beinahe wie eine Atmos-Spur erscheint. Das bekommen Atmos-Tonspuren manchmal nicht besser hin. Wer über einen Receiver mit Upmixer verfügt, sollte das hier nutzen. Denn es wirkt äußerst effektiv. Ebenso effektiv wie der Score, der die leisen Momente perfekt beherrscht, bisweilen aber extrem dynamisch aufdreht und bis ins Mark vordringt.
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial bekam hier nicht mal einen eigenen Bereich, da ohnehin nur der deutsche Trailer abgelegt wurde – und den findet man schon im regulären Menü. Immer schade, wenn ein Film ohne Extras auskommen muss, weil man stets die Möglichkeit ignoriert, den Zuschauer über spannende Details zu informieren. Hier wäre beispielsweise wünschenswert gewesen, dass man ein Featurette über die Kameraarbeit und die Ausleuchtung des Films bekommt. Denn das sind die wirklich spannenden Motive des Films.
Fazit
Vigil ist deutlich besser und spannender als die allermeisten Kopien von ähnlichen Filmen. Gerade, weil sich Regisseur Thomas oft auf die stillen Momente, auf seine Rückblenden und den starken Hauptdarsteller verlässt, funktionieren die gezielt eingesetzten Jumpscares, ohne (wie sonst so oft) auf die Nerven zu fallen. Der Score mag bisweilen ungewöhnlich und für einige vielleicht zu dynamisch sein – dem Film dient er indes auf beeindruckende Weise.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität (Originalversion): 80%
Bonusmaterial: 5%
Film: 75%
Anbieter: EuroVideo
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Keith Thomas
Darsteller: Dave Davis, Menashe Lustig, Malky Goldman, Lynn Cohen, Fred Melamed, Ronald Cohen
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 90
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter EuroVideo)
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Trailer zu Vigil
So testet Blu-ray-rezensionen.net
Die Grundlage für die Bild- und Tonbewertung von Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays bildet sich aus der jahrelangen Expertise im Bereich von Rezensionen zu DVDs, Blu-rays und Ultra-HD-Blu-rays sowie Tests im Bereich der Hardware von Unterhaltungselektronik-Komponenten. Gut zehn Jahre lang beschäftigte ich mich professionell mit den technischen Aspekten von Heimkino-Projektoren, Blu-ray-Playern und TVs als Redakteur für die Magazine HEIMKINO, HIFI TEST TV VIDEO, PLAYER oder BLU-RAY-WELT. Während dieser Zeit partizipierte ich an Lehrgängen zum Thema professioneller Bildkalibrierung mit Color Facts und erlangte ein Zertifikat in ISF-Kalibrierung. Wer mehr über meinen Werdegang lesen möchte, kann dies hier tun —> Klick.
Die technische Expertise ist aber lediglich eine Seite der Medaille. Um stets auf der Basis von aktuellem technischen Wiedergabegerät zu bleiben, wird das Testequipment regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten – sowohl in puncto Hardware (also der Neuanschaffung von TV-Displays, Playern oder ähnlichem, wenn es der technische Fortschritt verlangt) als auch in puncto Firmware-Updates. Dazu werden die Tests stets im komplett verdunkelbaren, dedizierten Heimkino angefertigt. Den Aufbau des Heimkinos könnt ihr hier nachlesen —> Klick.
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- Mainspeaker: 2 x Canton Reference 5.2 DC
- Center: Canton Vento 858.2
- Surroundspeaker: 2 x Canton Vento 890.2 DC
- Subwoofer: 2 x Canton Sub 12 R
- Heights: 4 x Canton Plus X.3
- AV-Receiver: Denon AVR-X4500H
- AV-Receiver: Pioneer SC-LX59
- Mini-DSP 2x4HD Boxed
Das Referenz-Equipment fürs Bild findet ihr wiederum hier aufgelistet. Dort steht auch, wie die Bildgeräte auf Norm kalibriert wurden. Denn selbstverständlich finden die Bildbewertungen ausschließlich mit möglichst perfekt kalibriertem Gerät statt, um den Eindruck nicht durch falsche Farbtemperaturen, -intensitäten oder irrigerweise aktivierten Bild“verbesserern“ zu verfälschen.
Man hab ich angst gehabt. Ein wirklich grusliger film wo besonders der sound eine menge zur stimmung bei trägt.