Time out of Mind

Blu-ray Review

Time out of Mind Blu-ray Review Cover
NEW KSM, seit 02.11.2015

OT: Time out of Mind


Auf der Straße

Richard Gere brilliert in einem ungewöhnlich inszenierten Obdachlosendrama.

Inhalt

George Hammond hat graues Haar und einen silbernen Dreitage-Bart. Er macht nicht den gepflegtesten Eindruck, wirkt aber dennoch nicht unbedingt wie ein Penner. Genau das ist George aber: ein Obdachloser auf den Straßen New Yorks. Sein einziges Interesse scheint offenbar lediglich der Beschaffung des nächsten Essens oder Schlafplatzes zu gelten. Immer wieder wird er verscheucht und in die nächtliche Kälte geschickt. So auch aus der Wohnung von Sheila, die schon lange weg ist und die nun zwangsgeräumt wurde. Auf seinem Weg, der kalten Nacht zu entfliehen, landet er irgendwann in einem großen Männerwohnheim. Sich den Umständen nur langsam anpassend, sind die wenigen Augenblicke, in denen George seiner Tochter unbeobachtet folgt, der einzige Lichtblick des Mannes, der nach dem Tod seiner Frau einfach alles verloren hat. Dann jedoch drängt sich der ältere Dixon Turner auf und quatscht ihn praktisch pausenlos voll. Was anfänglich nervt, führt schon bald zu einer echten Freundschaft und zu einer seelischen Öffnung Hammonds …

Richard Gere ist mittlerweile im reifen Schauspielalter und damit an einem Punkt seiner Karriere, an dem er vor allem Charakterrollen hervorragend besetzen kann. Als Obdachloser in Time out of Mind gibt er nun eine seiner eindrucksvollsten Leistungen überhaupt ab. Gere schafft es perfekt, die innere Verschlossenheit seiner Figur zu vermitteln und verliert trotz deren schweren Schicksals nie seine Würde. Selbst dann nicht, wenn Hammond mal ausrastet, ihn dezente Wahnvorstellungen plagen oder er halbnackt am Fluss von Schülern fotografiert wird. Regisseur Oren Moverman lässt seinen Kameramann das Geschehen fast ausschließlich aus der Distanz beobachten. Immer ist irgendwie eine Scheibe (oder gar mehrere) dazwischen oder es stehen Bäume oder Menschen stehen im Vordergrund. Noch dazu ist die Optik häufig auf Schulterhöhe oder zoomt aus großer Entfernung, filmt Richard Gere fast heimlich. Beinahe dokumentarisch mutet diese Beobachtungsweise an und wird vor allem in der deutschen Synchro noch dadurch verstärkt, dass Hintergrundgebrummel und – dialoge unübersetzt blieben. Das könnte man als „billig“ kritisieren, weil man das Geld für die entsprechende Übersetztung nicht ausgeben wollte, funktioniert hier aber (gewollt oder ungewollt) sehr gut. Auch scheut sich Time out of Mind nicht davor, den Finger in die Wunde einer Gesellschaft zu legen, die Obdachlose gerne von den Straßen raddieren würde. Gerade die Szenen in den Wohnheimen wirken unverfälscht und roh. In Hammonds erster Nacht kommt er kaum zu Schlaf, weil nebenan jemand unentwegt hustet. Moverman blendet das nicht nach kurzer Zeit aus, sondern behält seinen Protagonisten und dessen Reaktionen darauf gefühlt eine Ewigkeit im Auge. Auch Behördengänge, die zum Spießroutenlauf für George werden, beschreibt der Film auf ungeschönte Weise. Den dramatischen, traurigen und ehrlichen Momenten setzt Time out of Mind einen entwaffnenden Humor entgegen. Da werden Hammond und sein weißer Bettnachbar schon mal von einem farbigen Mitbewohner gefragt, ob das jetzt ein Treffen der arischen Bruderschaft sei – immerhin sind nur wenige Obdachlose in New York weiß. So bleibt der Ton grundsätzlich nicht selbstmitleidig (obwohl sein Protagonist genau unter dieser Charaktereingeschaft leidet), sondern stets optimistisch und positiv. Schade, dass das US-Publikum weder Geres Leistung, noch die außergewöhnliche Inszenierung zu würdigen wusste und den Film mit einem Gesamteinspiel von 120.000 $ abspeiste. In Deutschland gelang Time out of Mind deshalb schon gar nicht mehr in die Lichtspielhäuser, hat es aber umso mehr verdient, nun im Heimkino mehr Beachtung zu finden – trotz oder gerade wegen der ungewohnten und unaufgeregten Inszenierung. Denn selbst die, die Gere gerne noch als Mann für gewisse Stunden in Erinnerung haben, sollten sich nicht abwenden, wenn er nun als George Hammond den Müll nach Essbarem absucht (und fündig wird).

Bild- und Tonqualität

Der Authentizität verpflichtet ist nicht nur der Film, sondern auch dessen Bildqualität. Mit leichter Körnung und etwas entsättigten Farben passt sich Time out of Mind auch optisch seinem Thema an. Unschön sind die Randunschärfen, die sich sowohl am oberen als auch am unteren Rand offenbaren. Ganz schlimm sind Einstellungen in der Tiefe, die bisweilen sogar massiv verschwimmen (113’07). Dagegen ist die fokussierte Mitte meist sehr sauber konturiert und plastisch.
Beim Sound dominieren themenbedingt die Dialoge, die sauber und verständlich aus der Mitte kommen. Räumlich wird das Geschehen in Time out of Mind immer dann, wenn George auf der Straße unterwegs ist und die bekannten Straßengeräusche New Yorks erklingen. Da hupt es mal von den Rearspeakern oder eine Polizeisirene ertönt, während irgendein Hubschrauber am Himmel seine Rotoren erklingen lässt. Immer wieder fühlt man sich auf diese Weise mitten hineinversetzt in das im Film meist trübe New York.

Bonusmaterial

In Sachen Bonusmaterial gibt’s hier lediglich den Trailer und eine Bildergalerie zu finden.

Fazit

Time out of Mind besticht durch die distanzierte und quasidokumentarische Inszenierung ebenso wie durch einen herausragend agierenden Richard Gere. Das ist sicher nicht im Vorbeigehen konsumierbar, belohnt aber mit einer eindringlichen Geschichte, bemerkenswerter Authentizität und einem Schlussbild, dass in seiner Symbolkraft vollkommen ausreichend ist, um die Story im Kopf weiterzuspinnen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 10%
Film: 80%

Anbieter: New KSM
Land/Jahr: USA 2014
Regie: Oren Moverman
Darsteller: Richard Gere, Steve Buscemi, Jena Malone, Kyra Sedgwick, Michael Kenneth Williams, Danielle Brooks, Michael Buscemi
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 121
Codec: AVC
FSK: 12

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