Tschick

Blu-ray Review

Tschick Blu-ray Review Cover
Studiocanal, 09.03.2013

OT: –

 


Im Lade in die Walachei

Auch in Deutschland können zwei Schuljungs „Geheimnisse eines Sommers“ erleben.

Inhalt

Maik ist 14 und überall, wo er hinkommt, ist er der Außenseiter. Dass er seit geraumer Zeit in Tatjana verliebt ist, weiß niemand und die Tatsache, dass seine Mutter Alkoholikerin ist, macht’s auch nicht besser. Die Aussicht auf Tatjanas Geburtstagsparty ist da schon besser. Doch dann taucht ein neuer Mitschüler auf. Der Exil-Russe Andrej „Tschick“ Tschichatschow ist Maik von Beginn an unsympathisch. Außerdem riecht er auch noch streng. Umso erstaunlicher ist es, als er mit einem einzigen Satz den Schul-Proleten No.1 verstummen lässt. Als ausgerechnet Maik nicht zum Geburtstag seiner heimlichen Liebe eingeladen ist, könnten die Ferien kaum schlechter anfangen – zumal die Mutter mal wieder in die Entzugsklinik geht und der Vater mit einer Assistentin einen Liebesurlaub beginnt. Es könnte also kaum schlimmer sein. Dann allerdings taucht Tschick mit einem geklauten Lada auf, erweist sich als erstaunlich guter Zuhörer und überredet Maik, mit ihm auf eine Spritztour zu gehen. Dass Tschick direkt mal bei Tatjana vorbeifährt, ist zwar irgendwie peinlich, aber auch ziemlich cool – immerhin gibt es für Maik jetzt einen Anlass, sein von Herzen gezeichnetes Geschenk zu überreichen. Und weil das so gut lief, beschließen die zwei einfach mit dem Lade weiterzufahren. Ab in die Walachei, wo ein Großvater von Tschick wohnt – ein Abenteuer voller Überraschungen beginnt …

„Nicht lange nachdenken, einfach MACHEN!“ Fatih Akin erklärt im Making-of vollkommen entspannt und locker, was für ihn die Botschaft seines neuen Werks Tschick ist. Basierend auf dem zweiten Roman von Wolfgang Herrndorf sind Anleihen bei Tom Sawyer und Huckleberry Finn kaum zu übersehen, wenn zwei Jungs im heranwachsenden Alter auf eine gemeinsame Abenteuerreise wider die Konventionen und sämtliche Vorschriften gehen. Mit unglaublich authentischen Figuren ausgestattet nimmt uns Akin mit auf einen Roadtrip, der ebenso witzig wie melancholisch, ebenso bewegend wie traurig ist. Denn was zu Beginn vielleicht etwas zu locker geschildert wird, schwingt im Hintergrund durchaus mit. Maiks Eltern haben sich nichts mehr zu sagen, der eine geht fremd, die andere flüchtet in den Alkohol und der Sohn schreibt darüber einen Schulaufsatz, als seien die Verhältnisse das Normalste auf der Welt. Tschick nutzt für diese Momente durchaus humorige Elemente, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Situation für Maik total ätzend ist. Akins Film hält die Waage zwischen Witz und Drama allerdings sehr gut und überzeugt genauso in den brüllkomischen Szenen. Wenn die zwei Ausreißer im rostigen Lada zu den Klängen von Richard Clayderman ohne Licht und mit 50 Stundenkilometern über eine Autobahn schleichen und sich die Wut der anderen Verkehrsteilnehmer aufhalsen, ist das schon grandios. Und wenn Tschick die Kühe auf dem Feld mit einem „Haut ab, ihr Opfer!“ weghupt, darf man spontan Tränen lachen.

Umso schöner, dass die beiden Jungs kurze Zeit später in ihren Schlafsäcken auf der Wiese liegen und über Sterne philosophieren – ja das geht und wirkt so überhaupt nicht albern oder unpassend. Spätestens wenn Maik und Tschick bei einer Familie im Dorf Preußitz zu Mittag essen, weiß man, dass die zwei Jungs Erfahrungen sammeln, die man ihnen nie mehr nehmen können wird. Erst Recht, wenn sie in der zweiten Hälfte auf Isa treffen, die noch mal zusätzliche Dynamik ins Geschehen bringt. Nicole Mercedes Müller in der Rolle des Streunermädchens ist aber auch großartig. Ebenso natürlich wie die beiden eigentlich Hauptakteure: Tristan Göbel (Rico, Oskar und der Diebstahlstein) könnte kaum perfekter in die Rolle des unauffälligen Außenseiters passen, der sich schlicht nach Anerkennung und menschlicher Nähe sehnt. Ohne eine vergleichende Wertung vorzunehmen, ist es dennoch Debütant Anand Batbileg, dessen Spiel sprachlos macht. Trotz seiner körperlichen Präsenz und seinem Habitus als bulliger Exot wirkt er gleichzeitig sensibel und wirkt selbst in seiner sensibelsten Szene alles andere als überfordert – eine grandiose Vorstellung. Und ganz nebenbei ist Tschick auch noch eine Liebeserklärung an einen unverwüstlichen Lada, der nur dann aufgibt, wenn der Sprit alle ist oder sich ihm ein Schweinetransporter in den Weg stellt. Wenn dem Zuschauer dann zum Ende hin das Lachen etwas im Halse steckenbleibt, weil das Versagen von Maiks Eltern in ein paar drastischen Momenten geschildert wird, sorgt Akin dafür, dass eins der wichtigsten Motive des Films überklar deutlich wird: Aufrichtigkeit!

Bild- und Tonqualität

Zunächst mag verwundern, dass Tschick trotz seiner epischen Aufnahmen nicht im Cinemascope-Format vorliegt, sondern in 1,85:1. Die Erklärung dafür ist einfach: Tschick-Darsteller Batbileg war mit seinen 1,80 Metern gut zwei Köpfe größer als sein Co-Star Göbel. Im Format 2,35:1 wären beide nur schwer gemeinsam ins Bild zu bringen gewesen. Ansonsten überzeugt die Blu-ray mit kräftigen und dennoch natürlichen Farben, einer ausgewogenen Schärfe und knackigen Kontrasten. Dazu ist es recht rauschfrei und zeigt nur ab und an in kurzen Bewegungen leichte Nachwischer.
Für eine deutsche Komödie nutzt Tschick die Effektlautsprecher ausgiebig und bindet den Subwoofer ebenso aktiv mit ein. Geradezu exemplarisch räumlich kommen die Klavierklänge Claydermans ans Ohr – jedenfalls bis die Kassette Bandsalat hat (33’20). Danach übernehmen Seeeds Rhythmen, die genauso viel Druck machen, wie die Diskomusik auf Tatjanas Party. Windräder rauschen mit sanftem Geräusch über den Köpfen und der alte Lada darf schon mal aus allen Speakern herzhaft quietschen. Lediglich die Dialoge sind nicht immer perfekt verständlich, was allerdings vornehmlich am Stimmbruch der jungen Darsteller liegt.

Bonusmaterial

Das Bonusmaterial von Tschick ist randvoll angefüllt mit Extras. Drei Interviews mit Fatih Akin machen den Anfang und werden von drei Musikvideos begleitet. Es gesellt sich ein dreiteiliges Behind the Scenes dazu, das von einem elfminütigen Making-of flankiert wird. Sechs Minuten an entfernen Szenen schließen sich gemeinsam mit Outtakes und Bildern von der Premiere an. Eine Lesung des Autors der Romanvorlage Wolfgang Herrndorf sowie der Audiokommentar von Fatih Akin, Lars Hubrich und Andrew Bird komplettieren das Angebot.

Fazit

Fatih Akins Tschick findet irgendwo zwischen Stand By Me und Tom Sawyer seinen ganz eigenen Weg, um vom Erwachsenwerden zu erzählen – neben Detlev Bucks Knallhart der beste Jugendfilm, der hierzulande je gedreht wurde.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Bonusmaterial: 70%
Film: 90%

Anbieter: Studiocanal
Land/Jahr: Deutschland 2016
Regie: Fatih Akin
Darsteller: Anand Batbileg, Tristan Göbel, Nicole Mercedes Müller, Udo Samel, Anja Schneider, Uwe Bohm
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 93
Codec: AVC
FSK: 12

Trailer zu Tschick

TSCHICK | Trailer | Deutsch German | Jetzt im Kino!

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen!