Blu-ray Review
OT: A Fall from Grace
Single, einsam, verletzlich
Tyler Perry arbeitet zum ersten Mal exklusiv mit Netflix zusammen und verlässt seine Komfortzone.
Inhalt
Grace Waters ist von ihrem Mann verlassen worden – ganz klassisch wegen einer jüngeren Geliebten. Einige Zeit versinkt sie in Starre, was auch noch dadurch verstärkt wird, dass ihr Sohn wegzieht. Einzig ihre Freundin Sarah hält zu ihr und rät ihr, dass sie sich nun endlich mal um sich kümmern solle. Die Möglichkeit dazu scheint Grace bald zu bekommen, denn Shannon, ein (viel) jüngerer und hübscher Mann beginnt damit, ihr den Hof zu machen. Die beiden heiraten bald, was für Grace der Anfang eines weiteren Traumas werden soll. Shannon zeigt plötzlich sein wahres, dominant-aggressives Ich. Grace dreht durch und findet sich plötzlich in einem Verfahren wegen Mordes wieder. Ihre einzige Chance zur Wiederherstellung ihres Rufs und ihrer Ehre ist die junge Anwältin Jasmine Bryant. Die Pflichtverteidigerin wird von ihrem Boss Rory für das Mandat abgestellt, ohne je einen einzigen Fall verhandelt zu haben. Rory möchte deshalb auch nicht viel mehr, als dass Jasmine das von Grace erbrachte Schuldgeständnis begleitet und den Fall schnell abschließt. Denn verurteilt wird sie bei all den Beweisen gegen sie ohnehin. Da die Medien aber ein akutes Interesse an der Story haben, bringt das immerhin Publicity für Rorys Kanzlei. Jasmine nimmt widerwillig an. Doch als Grace der jungen Anwältin ihre Geschichte erzählt, fühlt sich Jasmine mehr und mehr berührt. Berührt von der Vergangenheit ihrer Mandantin und von dem, was sie erlebt hat. Sie nimmt sich vor, Grace so gut wie möglich zu verteidigen – eventuell sogar einen Freispruch zu erwirken …
Tyler Perry ist eine Instanz in den USA. Die von ihm produzierten/geschriebenen/inszenierten Filme/TV-Shows und Serien tragen nicht selten seinen Namen vor dem eigentlichen Titel des Films oder der Serie, was nicht nur geschicktes Marketing ist, sondern für die anvisierte Zielgruppe ein Entscheidungsmerkmal.
Der unter wenig erfreulichen Umständen groß gewordene Perry (sein Vater misshandelte ihn) litt in seiner Jugend unter Depressionen, die er (inspiriert von einer Oprah-Winfrey-Sendung) irgendwann durch das Schreiben von Texten zu bewältigen suchte. Dieses Schreiben führte zu mehreren Bühnenstücken, die er im zweiten Anlauf nicht nur erfolgreich in Theatern unterbringen, sondern auch auf DVD verkaufen konnte. Allerdings nicht, bevor er zwischenzeitlich so arm geworden war, dass er in seinem Auto leben musste.
Heute ist er einer der bekanntesten Entertainer/Regisseure/Schauspieler/Autoren, die Amerika zu bieten hat. Tatsächlich listete man ihn 2011 als bestbezahlten Mann im US-Showbusiness. Hierzulande ist Perry allerdings ein weitgehend unbeschriebenes Blatt.
Das liegt vor allem daran, dass sich seine Geschichten meist an ein afroamerikanisches Publikum richten und auch entsprechende Themen verarbeiten. Am bekanntesten dürfte in Deutschland noch seine Komödien rund um den Charakter der älteren Afroamerikanerin Madea sein (dargestellt von Perry selbst in Frauenkleidern).
Außerdem fiel er zuletzt als Colin Powell in Vice – Der zweite Mann auf.
Während vor allem seine Madea-Filme im Komödienfach angesiedelt sind und Perry sich ansonsten auch gut auf Romantik versteht, betritt er mit A Fall from Grace nun ein wenig Neuland.
Nicht nur ist es seine erste exklusive Zusammenarbeit mit Streaming-Anbieter Netflix, handelt es sich thematisch nun eher um einen Mix aus Gerichts-/Lebensdrama und (etwas) Romanze. Und außerdem ist es auch noch der erste Film, der komplett in Tyler Perrys neuen und eigenen Atlanta Studios aufgenommen wurde.
Erzählerisch läuft A Fall from Grace dreigeteilt hab. Zunächst erzählt Perry seinen Film in Rückblenden durch die Gespräche zwischen Grace und Jasmine.
Beginnend mit den romantischen Szenen des Kennenlernens von Grace und Shannon. 50 Minuten lang dominieren sie den Tenor und lassen auch den Zuschauer daran glauben, dass Shannon ein lieber Kerl ist. Dann, nach knapp einer Stunde, ändert sich die Stimmung schlagartig und heftig. Wir sehen, wie Grace von ihrem siebten Himmel in die sprichwörtliche Hölle abstürzt. Wie sie gefühlskalt wird und nur noch registriert, was um sie herum geschieht. Man leidet mit ihr, wenn sie den Feind im eigenen Haus hat, der ihr alles nimmt, was sie noch hatte: Ihr Geld, ihr Haus und ihre Würde. Bis zu einem eruptiven Gewaltausbruch folgen wir der Erzählung und sind dann in der Gegenwart angelangt.
Perry zeigt, dass er ein starker Geschichten-Erzähler ist, der nicht nur albernen Schabernack im Kopf hat, sondern sich durchaus auch auf seine Figuren konzentrieren kann. Nicht unüblich für ihn, wird auch A Fall from Grace von starken schwarzen Frauenfiguren getragen und behandelt nicht zum ersten Mal das Thema von Verrat in der Liebe und entsprechendem Missbrauch. Immer wieder scheint Perry seine eigene Vergangenheit zumindest in Details auch in seine Filme einzuflechten und sich an ihr abzuarbeiten. Gewalt (egal, ob physischer oder psychischer Natur) innerhalb der Familie/Ehe ist ein starkes Thema. Und es ist eins, das A Fall from Grace eindringlich vermittelt.
Auch deshalb, weil die beiden Hauptdarstellerinnen stark aufspielen. Vor allem Crystal Fox (The Have and the Have Nots) als Grace ist stark. Wenn sie wie ein verliebtes Kind in einem Feld voller Glühwürmchen steht und endlich wieder glücklich ist, wirkt sie weich und liebenswert. Doch sobald die Geschichte in die Gegenwart blendet und Jasmine eine völlig zersauste Grace mit müden, fast leblosen Augen ansieht, bekommt man es fast mit der Angst zu tun. Leider hält ihr Counterpart Mehcad Brooks in der Rolle des Shannon dieser Leistung nicht stand. Man hat schon Schwierigkeiten, ihm die Turteleien abzunehmen. Wenn er dann von einer Sekunde auf die nächste zum Kotzbrocken mutiert, wirkt das etwas aufgesetzt. Bresha Webb allerdings reißt das wieder raus. Den Wandel von der ist-mir-egal-Anwältin zur leidenschaftlich für ihre Sache kämpfende Vertreterin, die endlich Anerkennung erstreiten möchte, vollzieht sie glaubwürdig und mit Dynamik in ihren Recherchen und Ermittlungen.
Aufgrund der Intensität, die sich nach 50 Minuten mit bedrohlichem Ton ankündigt und aufgrund der spannenden Szenen vor Gericht sowie der überraschenden (wenngleich nicht ganz logischen) Wendung zum Schluss hält A Fall from Grace auch aus, dass das Erzähltempo betont langsam ist. Wer das Interesse an der Story erst gar nicht aufbringt, wird hier schnell nach der Vorspultaste suchen. Wer sich aber auf die Figuren einlassen kann, wird mit einem im besten Sinne altmodischen und intensiv gespielten Mix aus Drama und Thriller belohnt.
Bild- und Tonqualität
Leider war bis zum Anfertigen der Rezension nicht gesichert zu erfahren, wie genau A Fall from Grace aufgenommen wurde. Die teils sehr sauberen Aufnahmen in heller Umgebung mit der verbundenen Laufruhe lassen auf digitale Kameras schließen. Zudem gibt Netflix prinzipiell seit jüngerer Zeit vor, dass Eigenproduktionen in 4K gedreht werden. Da Tyler Perrys Film auf der Streaming-Plattform in 4K ausgestrahlt wird und zudem in Dolby Vision vorliegt, ist praktisch von einem 4K-Digital-Intermediate auszugehen.
Stutzig wird man auch nur deshalb ein bisschen, weil grundsätzlich eine leichte Körnung über dem Geschehen liegt, die noch dwutlicher wird, wenn’s dunkler zugeht. So nimmt das Rauschen bei Aufnahmen in Autos oder zu nachtschlafener Zeit noch einmal zu. Bisweilen sind das auch keine sehr schönen und gleichmäßigen Rauschmuster, leider. Ab und an setzt es gar Kompressionsartefakte (Umblättern der Seiten bei 16’36).
Dazu kommt die (offenbar) bewusst teils deutlich gefilterte Farbgebung. Während viele Aufnahmen in den Wohnungen der Protagonisten harmonisch warme Töne liefern, sind Szenen in den Büros und im Verhörraum meist derart kühl gefiltert, dass die Lippen der Darstellerinnen violett erscheinen und auch die dunkle Haut eher grau wirkt (13’20, 77’10). Das muss man dann schon mögen. Zumal auch Schwarz unter dieser Einfärbung leidet und bläulich erscheint. Apropos Schwarz: Auf dunklen Bereichen säuft das Bild schon mal etwas ab, hier ist Dolby Vision nicht ganz Herr über die Situation. Sehr gut gelingt die Detailtiefe, die oft sogar Buchrücken im Hintergrund nahezu lesbar erscheinen lässt.
Wie bei Netflix‘ jüngeren Film-Exklusivtitel schon fast üblich, so spendiert der Anbieter auch hier eine Dolby-Atmos-Fassung fürs Englische und beschränkt sich auf das übliche Dolby Digital Plus fürs Deutsche.
Insgesamt werden beide Fassungen aber nicht sonderlich gefordert. Immerhin handelt es sich um einen langsam erzählten, vollkommen von Dialogen dominierten Film ohne jede Action (abgesehen vom Finale). Entsprechend ist meist nur der Center aktiv und die Surrounds werden nur bei wenigen Momenten der Filmmusik oder mal in Außenszenen genutzt. Der Subwoofer schaltet sich gar immer wieder in den Standby-Modus. Das, worauf sich der Ton jedoch konzentriert, macht er gut. Dialoge kommen klar und sauber aus dem Center. Die Stimmen haben eine angenehme Klangfarbe und sind tonal sehr ausgewogen. Hier gibt’s nichts zu meckern. Zumal der englische Ton das nicht wirklich besser kann. Ja, die Dialoge klingen noch etwas authentischer. Aber sie haben auch nicht mehr Volumen oder Präsenz.
Netflix hat A Fall from Grace außerdem eine Atmos-Spur spendiert, bei der man aber so realistisch sein sollte, diese nur für die reguläre Ebene zu bewerten. Denn wer bei einem Lebensdrama/Gerichtsthriller,das/der sich praktisch ausschließlich in Studioräumen aufhält, wirklich 3D-Sounds erwartet, der würde enttäuscht werden. Und so ist die Atmos-Ebene nicht schlecht, sondern einfach quasi nicht vorhanden. Ein wenig (sehr leise) hinzugemischter Score und der immerhin korrekt oben verortete Hubschrauber direkt zu Beginn (0’51) ein heftiger Bums nach 107’33 – und dann war’s das auch schon mit der Herrlichkeit an Soundeffekten über die Höhenspeaker.
Fazit
A Fall from Grace beschreibt in zwei Stunden, wie man betrogen werden kann, wenn man nach den ganz großen Gefühlen sucht. Er beschreibt aber auch, dass es sich lohnt wieder an sich zu glauben und für etwas zu kämpfen. Das ist auf zwei Stunden zwar etwas zu ausgedehnt erzählt, fesselt aber aufgrund des intensiven Schauspiels und der konzentrierten Regie.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Tonqualität BD/UHD 2D-Soundebene (Originalversion): 70%
Tonqualität BD/UHD 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 10%
Tonqualität BD/UHD 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 60%
Film: 75%
Anbieter: Netflix
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Tyler Perry
Darsteller: Tyler Perry, Crystal Fox, Phylicia Rashad, Bresha Webb, Mehcad Brooks, Cicely Tyson, Adrian Pasdar
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): en // Dolby Digital Plus: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 121
Real 4K: Ja
Datenrate:15.25 Mbps
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)