Blu-ray Review
OT: Uncut Gems
New-York-Loser-Story
Adam Sandler mit der besten Leistung seiner Karriere!
Inhalt
Howard Ratner hatte schon bessere Zeiten. Der Juwelier hat nicht nur private Probleme mit einer Frau, die sich von ihm scheiden lassen möchte und einer Affäre mit einer Angestellten, die ständig wegen irgendwas blau macht. Nein, er hat auch noch ein ziemliches Spielproblem. Und als Resultat daraus Schulden – und zwar mit 100.000 Dollar alleine für Geldgeber Arno, seinen Schwager, nicht mal allzu knappe. Dann jedoch scheint es sich zum Besseren zu wenden. Denn Howard gerät nach 17 Monaten endlich in den Besitz eines kleinen Stück Felsens, in dem ein Schwarzer Opal verborgen ist. Das gute Stück war bei einem Minenunfall zwei Jahre zuvor zu Tage gefördert worden und ist als ungeschliffener Edelstein (Uncut Gem) immens wertvoll. Schätzungsweise eine Mio. Dollar könnte Howard damit erlösen. Doch weil er auf die Bitten eines gewissen Basketballspielers eingeht, dabei wiederum Geld durch eine Wette wittert, gerät der Opal kurzzeitig in die falschen Hände. Schlimmer noch: Als Howard ihn endlich wieder hat, geht auch noch die Auktion schief und der Juwelier steht genauso mittellos da wie zuvor …
Bereits im Mai 2016 gab es erste Ankündigungen, dass die Brüder Josh und Benny Safdie (Good Time) Uncut Gems / Schwarze Diamanten realisieren wollten. Basierend auf einem Skript, das sie gemeinsam mit Ronald Bronstein geschrieben hatten.
Für den US-Release übernahm dann der Independent-Vertrieb A24 den Verleih und am 30. August 2019 feierte der Film auf dem Telluride Filmfestival seine Premiere. Erst im Dezember folgte dann der Start in den US-Kinos, was aufgrund der vorzüglichen Bewertungen für den Film allerdings für ein phänomenales Einspiel von gut 48 Mio. Dollar reichte – wohlgemerkt bei 20 Mio Dollar Produktionskosten und einem sehr limitierten Release in wenigen Kinos. Während in den USA eine offizielle Kinoveröffentlichung genutzt wurde, schnappte sich für die internationale Vermarktung der Streaming-Anbieter Netflix die Rechte – und hat damit eigentlich einen weiteren Oscar-Kandidaten im Programm. Wenn die Academy ihn denn beachtet hätte.
Das Erstaunliche an Der schwarze Diamant ist aber seine Besetzung. Hatten die Safdies schon 2009 mit Adam Sandler gesprochen, um ihm die Rolle für den seinerzeit bereits erdachten Film zuzusprechen, lehnte er damals ab – in einer Zeit, in der Sandler noch ganz erfolgreich mit seinen Komödien war.
Als es dann 2017 in die heiße Produktionsphase ging, sollte Jonah Hill die Hauptrolle übernehmen, zog sich aber dann doch zurück. Und siehe da: Plötzlich hatte Adam Sandler doch Lust auf den Film – in einer Zeit, da er als Live-Action-Darsteller abseits von Sprechrollen in Animationsfilmen kaum noch Beachtung fand. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Ein Schelm aber auch, wer denkt, dass der Film damit schlecht beraten gewesen sei. Denn wer den in New York geborenen Schauspieler/Komiker aufgrund seiner infantil-albernen Rollen in noch infantileren Filmen stets ablehnte, dürfte sich verwundert die Augen reiben.
Schon ein paar Mal bewies Sandler, dass er ein viel besserer Schauspieler ist, wenn er ernste/dramatische Rollen übernimmt als wenn er sich wie ein Zehnjähriger benimmt. Zuletzt war ihm das im bis heute unterschätzten The Cobbler – Der Schuhmagier gelungen. Dort spielt er den Schumacher wider Willen (der auf magische Weise in die Körper anderer schlüpfen kann), sensibel, feinfühlig und zurückhaltend.
Nun agiert er in Der schwarze Diamant aber auf einem bisher ungeahnten Niveau und wird mit Preisen und Lob überhäuft.
Zu Recht. Denn was Sandler hier als vom Schicksal gebeutelter Juwelier mit Schulden und zwei Frauengeschichten am Hals abliefert, ist große Schauspielkunst. Mit einer nuancierten Mischung aus Drama, unterschwelliger Aggression, Hektik und Stehauf-Komik vermittelt er eindrücklich, dass sein Howard stets am Rande des Wahnsinns entlang hangelt.
Deutlich wird das in Szenen, wenn er das Basketballspiel schaut, auf das er gewettet hat und erst auf die x-te Bitte, seinem Sohn eine gute Nacht zu wünschen, reagiert – natürlich schaut er im Kinderzimmer das Spiel auf dem Smartphone weiter. Es ist schon erstaunlich, wie gut Sandler hier agiert. Und während er sich immer weiter in den Schlamassel reitet und gleichzeitig allen anderen die Schuld für seine eigenen Verfehlungen gibt, steigert sich auch der Film selbst immer mehr.
Denn nicht nur Sandler bietet eine unglaubliche Performance, auch Der schwarze Diamant selbst packt von Minute zu Minute fester zu. Beginnend mit einem zehnminütigen Intro, das Howard in ständiger Bewegung zeigt, wird das Szenario immer packender. Nach einer sensationell gefilmten und metaphorisch eindeutigen Sequenz, in der die Kamera vom Inneren des Opals und seinen schillernden Schichten in Howards Dickdarm während einer Spiegelung blendet, geht es kontinuierlich weiter. Die Kamera verfolgt und dokumentiert jeden von Howards Schritten – mal aus der Nähe, mal aus der Ferne. Ständig ist sie in Bewegung. Die Handlung kommt kaum zur Ruhe und wirkt genauso getrieben wie Howard selbst. Ratner braucht den Stress, das Adrenalin und den Kick. Er ist ein Spieler – und die Art der Inszenierung spiegelt das wider.
Dazu ertönt eine höchst ungewöhnliche Filmmusik. Was in den ersten Minuten noch für Verwirrung sorgen könnte, weil sie dauerhaft vor sich hin wabert, ebbt nach den Titelschriftzügen zunächst ab. Dennoch bleibt der Score einzigartig. Es vermischt sich eine 80er-Jahre-Synthie-Musik (die auch aus billigen Pornos stammen könnte) mit Elementen aus Rap, Klassik und Soul. Der Film wird auf eine Weise akustisch unterlegt, wie man es nicht vermutet hätte. Und je länger er andauert, umso mehr wird man von diesem ungewöhnlichen Musikstil gepackt. Wenn Howard nach einer Dreiviertelstunde seine Abreibung bekommt, schürt sie sogar die Spannung und Dramatik.
Gleichzeitig sorgen die bewusste Körnung sowie der steile Kontrastumfang für eine ganz eigenwillige Stimmung und Atmosphäre. New York sieht ein bisschen aus wie in den Mafiafilmen Scorseses und ist bevölkert mit unzähligen beschäftigten Menschen.
Eine Atmosphäre, die wie gemacht ist für eine klassische Loser-Story, die sich über 135 Minuten mehr und mehr in einen Rausch aus unglaublichen Situationen, fiebriger Hektik und zerplatzter Träume steigert. Und obwohl dieser Howard wirklich ein gewissenloser Arsch ist, sitzt man gespannt vor den letzten 20 Minuten, wenn er das alles entscheidende Spiel kommentiert wie ein Sportmoderator auf Speed.
Am Ende bleibt man nach einem echten Paukenschlag fast fassungslos zurück und muss konstatieren: Neben Irishman und Marriage Story ist Der schwarze Diamant eines der größten Netflix-Highlights der letzten Monate.
Bild- und Tonqualität
Der schwarze Diamant wurde hübsch oldschool aufgenommen. Kameramann Darius Khondji und die Safdie-Regisseure entschieden sich (hauptsächlich) für analoge Kameras und nutzten hier die Arricam LT und ST, um auf 35mm Film aufzuzeichnen. Allerdings wurden ergänzend auch Digitalkameras (bspw. für die Nachtclub-Szene) verwendet, die im Look später angepasst wurden.
Khondji mag die Herausforderung und die Abwechslung. Immerhin hat er schon mit Jean-Pierre Jeunet in Delicatessen oder mit David Fincher bei Sieben zusammen gearbeitet – zwei durchaus unterschiedliche Filme. Während Khondji das Kino und den Look der 70er liebt, musste er dieses Mal seine Komfortzone etwas verlassen und seine Vorlieben mit dem körnig-schmuddeligen 80er-Jahre-Wunsch der Safdies kombinieren.
Teil des Looks des Films sind bisweilen extreme Zooms bis in Close-ups hinein. Wo andere Filmemacher auf 50mm-Normalbrennweiten setzen, um ihren Figuren nahe zu kommen, beschritt Khondji neue Wege und nutzte oftmals extrem lange Brennweiten bis hin zu 350mm. Auf diese Weise war er den Gesichtern zwar sehr nahe, filmte aber dabei aber oft aus der Distanz. Eine Art und Weise, die für einen speziellen Look sorgt und die vom Stream authentisch wiedergegeben wird.
Netflix setzt zudem mittlerweile für die exklusiv vermarkteten Filme voraus, dass in 4K gefilmt oder das Master in 4K angefertigt wurde. Letzteres ist hier der Fall, denn vom 35mm-Filmmaterial wurde ein 4K-Digital-Intermediate angefertigt, was zudem für den Streaming-Anbieter mit der dynamischen Kontraststeigerung Dolby Vision ausgestattet wurde.
Was dem Betrachter natürlich als Erstes ins Auge fällt, ist das deutlich Korn, das die beiden Regisseure ganz bewusst genauso haben wollten. Und „deutlich“ meint an dieser Stelle wirklich DEUTLICH. Wer das nicht mag, wird kein Fan vom Bild von Der schwarze Diamant werden. Zumal es bisweilen in dunklen Innenräumen noch heftiger zuschlägt und zeitgleich für einen großen Verlust an Auflösung sorgt (ab 8’50).
Interessant ist hingegen, wie gut es gelungen ist, die analogen und digitalen Bilder aneinander anzugleichen. Um dies zu gewährleisten, wurden teilweise extra angefertigte, analog-körnige Aufnahmen über die digitalen Sequenzen gelegt.
Von der Farbgebung her fällt auf, dass die Außenszenen und dort vor allem die nächtlichen einen etwas kühleren, bläulich-cyanfarbenen Look haben. Innenräume sind derweil meist warm gehalten. Orange- und Brauntöne dominieren. Knallige pinke Kleider übertreiben es schon mal und überstrahlen etwas. Was die Auflösung angeht, so läuft der Stream in 4K mit dem genannten Dolby Vision und lässt Close-ups durchaus scharf erscheinen. Allerdings eben immer einem gewissen Korn über dem Geschehen.
Wie zuletzt bei den allermeisten Filmen lässt Netflix auch für Der schwarze Diamant die akustischen Muskeln spielen. Jedenfalls für den O-Ton. Denn der liefert auch hier eine Dolby-Atmos-Spur. Für die deutsche Synchronfassung liegt das für den Streaming-Dienst bekannte Dolby Digital Plus vor.
Hören wir uns die reguläre 5.1-Ebene an, fehlt es ihr allerdings durchweg an Dynamik. Die lauteren Szenen wirken nicht differenziert, der Subwoofer brabbelt ziemlich unpräzise vor sich hin und die Surrounds werden nicht sonderlich entschlossen mit einbezogen. Die anfängliche Panik nach dem Grubenunglück hätte wesentlich mehr Dynamik und Surround-Aktivität ermöglicht und auch die Vertonung innerhalb des Schachts bleibt kurz darauf unter den Möglichkeiten, die eine solche beengte und akustisch herausstechende Situation ermöglicht hätte. Der kurze Nachhall bleibt allerdings fast vollkommen auf die Front beschränkt und lediglich die Filmmusik während der Titelsequenz selbst gerät etwas räumlicher. Nehmen wir die Disko-Szene als Highlight zur Mitte, wird hier der Bass zwar mal etwas aktiver genutzt, aber die Clubmusik selbst bleibt auch eher dumpfer Natur. Immerhin sind die Dialoge gut verständlich und Sandler hat seine gewohnte Synchronstimme – das ist nicht unbedingt etwas, das man von Netflix erwarten darf.
Bezogen auf die Dolby-Atmos-Spur des O-Tons wird diese einfach durchweg mit einbezogen – allerdings meist ohne echte dedizierte 3D-Sounds. Im Prinzip wird nur das Geschehen der regulären Ebene etwas nach oben gespiegelt. Nach zweieinhalb Minuten gibt’s mal etwas zielgerichteten Wind von oben und während der Titelsequenz wabern Elektrosounds aus den Heights. Während diese beiden Elemente gut passen, werden die Dialoge teilweise viel zu präsent mit nach oben gemischt, obwohl sie dort optisch nichts verloren haben (18’00). Noch einmal recht gelungen mischt sich der Score bohrend auf die Heights, wenn Howard von Arnolds Schergen gepackt wird (ab 43’50).
Fazit
Uncut Gems – Der schwarze Diamant ist ein ungeschliffener Diamant – um mal einen abgedroschenen Vergleich zu bemühen, der hier aber voll zutrifft.
Fernab vom Hochglanz sonstiger Hollywood-Produktionen begleitet der Zuschauer einen brillanten Adam Sandler auf seinem unaufhaltsamen Weg in die Hölle von Spielsucht und Schuldenproblemen. 135 Minuten, die aufgrund der fiebrigen Kameraarbeit und der (passend) hektischen Inszenierung zum kurzweiligen Vergnügen mit Knalleffekt werden. Ein absoluter Tipp für Cineasten und Menschen, die sich überraschen lassen können.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 65%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität BD/UHD 2D-Soundebene (Originalversion): 60%
Tonqualität BD/UHD 3D-Soundebene Quantität (Originalversion): 20%
Tonqualität BD/UHD 3D-Soundebene Qualität (Originalversion): 60%
Film: 90%
Anbieter: Netflix
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Benny Safdie, Josh Safdie
Darsteller: Adam Sandler, Keith Williams Richards, Eric Bogosian, Lakeith Stanfield, Ca$h Out, Pom Klementieff, Kevin Garnett, Julia Fox, Idina Menzel
Tonformate: Dolby Atmos (DD+-Kern): en // Dolby Digital Plus: de
Bildformat: 2,39:1
Laufzeit: 135
Real 4K: Ja
Datenrate: 15.25 Mbps
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Netflix)
Trailer zu Uncut Gems/Der schwarze Diamant
Danke für den Link!
Aber anschauen kann ich ihn noch nicht. Kann mich erinnern lassen wenn er dann verfügbar ist.
Hast du einen speziellen Account als Kritiker/Journalist?
Gruß
Christian
Hi Christian.
Das ist sehr seltsam. Der ist ganz offiziell und regulär seit Freitag, 31.01.20 abrufbar.
Einige meiner Bekannten haben ihn schon ganz regulär über Netflix gestreamt und auch in den entsprechenden Facebook-Gruppen wurden bereits Meinungen von Usern über den Film ausgetauscht.
Bei mir liegt er ebenfalls ganz normal in der Anzeige – bspw. bei Netflix Originale.
Ab wann gibts denn bei Netflix?
Kann ihn nicht finden.
Seit gestern ist er online.
Guck mal hier:
https://www.netflix.com/title/80990663?s=a&trkid=13747225&t=cp
Für „Menschen, die sich überraschen lassen können“. Der war gut 😉 Nach einer Einsortierung ins Marvel-Universum brauche ich hier also nicht fragen.
Mal wieder ein Grund für einen Netflix-Monat.