Blu-ray Review
OT: Victor Frankenstein
„Ich bin Igor“
Die Frankenstein-Geschichte mal aus anderer Perspektive gesehen.
Inhalt
Der namenlose Bucklige, der im Zirkus des gemeinen Lord Barnabys als Clown für jeden schlechten und erniedrigenden Gag herhalten muss, ist eigentlich ein kluger Denker, der sich in seiner Freizeit für Medizin und vor allem die Anatomie des Menschen interessiert. Aufschauen (im wahrsten Sinne des Wortes) tut er zur Seilakrobatin Lorelei. Als die eines Tages aus großer Höhe abstürzt, kann Igor sie mit Hilfe von ein paar improvisierten Hilfemaßnahmen vor dem Erstickungstod bewahren. Damit schindet er Eindruck beim jungen Victor Frankenstein, der als Arzt und Wissenschaftler ebenfalls bei der Vorstellung anwesend ist. Der erkennt das Potenzial in dem geschundenen jungen Mann, rettet ihn aus den Händen Barnabys und löst auch das Problem mit dem Buckel. Fortan assistiert er Frankenstein bei dessen Experimenten und bekommt den Namen Igor. Dass der Wissenschaftler mit der Wiederbelebung von einzelnen Körperteilen beschäftigt ist, ist für Igor zunächst kein Problem – immerhin kann er dabei eine Menge lernen. Doch Frankenstein wird nach und nach besessener, will seine Errungenschaften nicht der Heilung von Kranken, sondern ausschließlich dem Reanimieren oder sogar Erschaffen von Leben aus totem Fleisch zur Verfügung stellen. Als dies mit einer grotesk zusammengeflickten Affenkreatur zumindest teilweise gelingt, steht dem eigentlich Ziel nichts mehr im weg: Der Erschaffung eines Menschen. Doch die Situation gerät außer Kontrolle und noch dazu tauchen fiese und manipulative Geldgeber auf …
Die Anzahl der Verfilmungen von Mary Shelleys Gruselroman ist vermutlich nur noch mit jenen der Bram-Stoker-Blutsaugergeschichte zu vergleichen. Nun gesellt sich mit Paul McGuigans (sehr freier) Adaption noch eine weitere hinzu. Die optischen Spielereien im Stile der Sherlock-Holmes-Serie (und -Filme eines Guy Ritchie) mögen zunächst nicht zum viktorianischen Flair der Geschichte passen, doch Filminszenierung hat sich nun mal geändert und deshalb sorgen die Gimmicks durchaus für Kurzweil. Kurzweil ist dann auch Programm, wenn Frankenstein und Igor im Stile eines Buddy-Movies mit knackigen Sprüchen auf Humor machen. Fans der Originalgeschichte werden sich darüber ärgern, denn in Victor Frankenstein – Genie und Wahnsinn ist nurmehr das Grundgerüst dessen übrig, was Mary Shelley einst niederschrieb. Dass sich der Film vor allem auf Igor konzentriert und ihn nach kurzer Zeit als redegewandten, eloquenten und höchst menschlichen Waisen präsentiert, funktioniert vor allem deshalb, weil Daniel Radcliffe seine Sache wirklich gut macht. Sicher, sein Zauberlehrling-Image wird er immer noch nicht ganz los, aber er ist ein durchaus ernstzunehmender Schauspieler geworden und erfüllt seinen Charakter mit Emotionen und nachvollziehbarem Handeln. James McAvoy, der zuletzt in Drecksau schon massiv an der Grenze zum Overacting entlang manövrierte, gibt den besessenen Wissenschaftler hier ebenfalls mit äußerst extrovertiertem Spiel. Er bleibt deshalb zwar in Erinnerung, übertreibt es aber hier und da ein wenig, was seine Rolle oberflächlich wirken lässt – und das, obwohl man ihm hier einen echten Hintergrund für sein wahnsinniges Handeln verpasst hat. Andrew Scott, der als Moriarty aus Sherlock bekannt ist und damit einen weiteren Querverweis zur großartigen Serie liefert, darf als Inspektor Turpin dem Wissenschaftler nachstellen und schlägt sich als dritte Hauptfigur wacker. Herausragend ist die Ausstattung, die von den Kostümen über die Kulissen bis hin zu den Innenausstattungen und den Apparaturen wirklich außergewöhnlich gut gelungen ist. Die Atmosphäre verfehlt deshalb ihre Wirkung nicht. Leider droht in dem ganzen Bombast aus Ausstattung, Tricktechnik und Blitzedonner die Tragik der Geschichte unterzugehen. Frankensteins Sinneswandel kommt im Moment des Anblicks der Kreatur viel zu plötzlich und das Wesen an sich geriet schlicht zu klischeehaft und eindimensional. Völlig fehl am Platze ist die Sidestory von Victor Frankenstein – warum man Igor ausgrechnet noch eine Liebesgeschichte auf den Leib schneidern musste, blebt wohl das Geheimnis des Drehbuchautoren.
Bild- und Tonqualität
Beim Bild von Victor Frankenstein fallen augenblicklich die satten Schwarzwerte auf, die dunkle Bereiche und Kleidung pechschwarz präsentieren. Farben und helle Spitzen sind allerdings dennoch gut ausgeprägt, was den Kontrastumfang expemplarisch hoch erscheinen lässt. Ein wenig mehr Zeichnung hätte es in der Finsternis zwar hier und da geben dürfen, doch insgesamt beeindruckt das Geschehen. Die Schärfe ist dauerhaft und bis in die Randbereiche gut, Kompressionsartefakte oder ähnliche digitale Probleme sind nicht zu erkennen. Die Detailfreude auf den viktorianischen Kleidungsgegenständen ist sensationell – ebenso wie die Bildruhe, die keinerlei Rauschen oder Korn offenbart.
Wie vom Anbieter 20th Century Fox oft schon erlebt und praktisch gewohnt: Der Ton liegt nur im englischen Original in unkomprimierte dts-HD-Master vor – noch dazu in 7.1. Die deutsche Version von Victor Frankenstein hingegen muss mit einer regulären dts-Spur in 5.1 auskommen. Den Unterschied (der zwar hörbar, aber nicht frappierend ist) kann man exemplarisch gut beim anfänglichen Blitz- und Donner ausmachen, der im direkten Vergleich auf der englischen Spur offener und feiner differenziert klingt. Auch die Flucht Igors und Victors vom Zirkusgelände gerät insgesamt noch etwas stimmiger. Das bedeutet aber keineswegs, dass die hiesige Fassung schlecht wäre. Ganz im Gegenteil: Sie tut alles, um zuschnappende Türen, wissenschaftliche Experimente und Feuereffekte absolut präsent und weiträumig zu präsentieren. Die Stimmen sind gut eingebettet, haben im Original allerdings noch etwas mehr Fundament. Geradezu brachial wird’s, wenn die aufgebrachte Meute mit Gewalt die Tür Frankensteins aufzubrechen gedenkt (67’00) – hier rumst es gewaltig. Und wenn der Prometheus am Ende unter Strom gesetzt wird, wabert und wackelt das gesamte Heimkino.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Victor Frankenstein gibt’s neben Bildergalerien und dem Trailer auch vier entfallene Szenen mit einer Lauflänge von 14 Minuten sowie ein halbstündiges Making-of, das in insgesamt sieben Teilen auf die Darsteller und ihre Figuren, die Vision des Films, den Regisseur sowie die Erschaffung der Kreaturen eingeht. Letztere wurden hauptsächlich praktisch realisiert und nur in wenigen Ausnahmen per CGI erschaffen.
Fazit
Visuell beeindruckend und atmosphärisch, dafür storytechnisch leider konfus und überladen – Victor Frankenstein – Genie und Wahnsinn nähert sich der bekannten Geschichte aus einer anderne Perspektive, lässt aber trotz guter Schauspieler Potenzial ungenutzt liegen.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 90%
Tonqualität (dt. Fassung): 85%
Tonqualität (Originalversion): 90%
Bonusmaterial: 50%
Film: 60%
Anbieter: 20th Century Fox
Land/Jahr: USA 2015
Regie: Paul McGuigan
Darsteller: Daniel Radcliffe, James McAvoy, Jessica Brown Findlay, Andrew Scott, Charles Dance, Bronson Webb
Tonformate: dts HD-Master 7.1: en // dts 5.1: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 110
Codec: AVC
FSK: 16