Blu-ray Review
OT: Videodrome
Eine zweite Netzhaut
Max Renn braucht etwas, das „reinhaut“, etwas wirklich „hartes“ – David Cronenbergs Kultfilm erscheint erstmalig ungeschnitten und offiziell in Deutschland.
Wir drücken „Play“.
Inhalt
Max Renn gehört der private TV-Minisender „Civic TV“. Mit diesem besetzt er eine Nische und sendet vornehmlich Softpornos und Horrorfilme. Doch offenbar geht es auch noch härter. Denn als Renns Mitarbeiter Harlan einen Privatsender namens „Videodrome“ entschlüsselt, kann Max kaum glauben, was er dort sieht. Am laufenden Band werden dort Menschen gequält und vor laufender Kamera scheinbar „echt“ getötet – ein realer Snuff-Kanal?
Max ist angefixt und bestrebt, die Macher des Senders ausfindig zu machen, um Inhalte in sein Programm aufnehmen zu können. Ein Medienprofessor namens Brian O’Blivion warnt Max vor „Videodrome“. Denn betrachte man die Sendungen zu lange, konsumiere man davon zu viel, würde sich ein Hirntumor entwickeln, der Halluzinationen bewirke und anfällig mache für Manipulationen. Max schlägt die Warnung in den Wind, merkt aber schon bald, dass sich sein Geist und Organismus zu verändern beginnen …
David Cronenberg, der psychologischste aller Genre-Regisseure, hatte sich mit Parasitenmörder, Rabids, Die Brutund Scanners von Kanada aus einen Ruf wie Donnerhall erarbeitet und schon nach diesen vier Filmen eine leidenschaftliche Zahl von Anhängern um sich geschart. Mit Videodrome nahm er erstmals auch Gelder aus den USA an, denn das koproduzierende Studio Universal wollte seinen Film unbedingt größer auswerten. Dass der finanzielle Erfolg des experimentellen Werks in den Kinos letztlich ausblieb, könnte daran liegen, dass die Erzählstruktur nur schwerlich massentauglich ist und sich sehr weit vom damalig-bekannten wegbewegte. Das macht den Film aber nicht weniger spannend. Cronenberg, der in seinen früheren Werken selbst schon unter der Zensur litt, wollte schildern, wie es wäre, wenn genau das „einträte, was die Zensoren immer behaupten“ (vgl. Chris Rodley (Hrsg.), Cronenberg on Cronenberg, Faber & Faber von 1997). Was also passiert, wenn man übermäßig konsumiert, wenn man immer gewalttätigere Inhalte aufsaugt – verändert sich dann der Körper? Das Verhalten? Am Ende der Mensch?
Videodrome schildert Fernsehen/Video als kannibalistisches System. Als etwas, das den Menschen aufzufressen scheint und ihn verändert zurücklässt.
Thematisch war das 1983 nicht nur ungewohnt radikal, sondern geradezu visionär.
Denn heutzutage ist vor allem erschreckend, WIE aktuell der mittlerweile 35 Jahre alte Film ist. Denn was Cronenberg seinerzeit aufs Video-Zeitalter münzte (mit der dezenten Fehleinschätzung, Beta Max würde sich durchsetzen) ist heute ja noch ungleich schlimmer. Den Konsum, den Max Renn per Video betreibt, kann man im Zeitalter frei verfügbarer Pornografie im Internet erst so richtig auf die Spitze treiben. Hier hindern einen nicht einmal mehr die Leihgebühren eines Films – alles ist nur einen Klick entfernt. Und das ganz kostenlos. Nicht wenige Menschen werden hier schon mal das Gefühl gehabt haben, dass der Inhalt nicht von uns kontrolliert wird, sondern den User seinerseits unter Kontrolle hat. Max selbst wird vom Programm-Bestimmer zum Empfänger von Befehlen – zu einem, den man sogar programmieren kann, zu töten.
Konsum um des Konsums Willen – bis die Hypophyse kurzschließt.
Diese Aussage funktioniert in Videodrome auch heute noch ohne Einschränkung – selbst wenn Technik und Mode aus gegenwärtiger Sicht ein wenig albern wirken.
Die Versionen
Videodrome hatte nicht nur in den USA mit den Zensoren zu kämpfen. Noch heftiger erging es dem Film in Deutschland. Als er 1985 hierzulande als Video-Premiere erschien, wurde er kurz darauf indiziert – und das, obwohl es schon „nur“ die gekürzte R-Rated-Fassung war. Die Indizierung hielt an und wurde 2010 sogar noch erneuert – und zwar als Folge-Indizierung auf Liste A, also der „schwächeren“ der beiden Listen. Verkauft werden durfte der Film zwar noch, aber Werbung ist damit praktisch untersagt.
Auf Blu-ray erschien Cronenbergs Film dann erstmals im September 2012, nachdem Koch Media sich die Rechte gesichert hatte. Gemeinsam mit dem österreichischen Label veröffentlichte man seinerzeit das Mediabook im Nachbarland, da dort wesentlich laxer mit der Zensur von Filmen und Medien umgegangen wird. Als im März 2018 aber die Indizierung offiziell aufgehoben wurde, war klar, dass das Mediabook nun auch ganz offiziell in Deutschland erscheinen würde. Damit liegt der Film hierzulande auch erstmalig ungeschnitten vor, denn das Mediabook liefert sowohl die R-Rated-Kinofassung als auch die Unrated auf der BD. Die DVD hingegen kommt nur mit der um eine Minute längeren Unrated. Dabei nicht wundern: Die reduzierte Laufzeit der DVD liegt in der schnelleren Abspielzeit gegenüber der Blu-ray begründet (Stichwort: 50Hz vs. 24p). Neu abgetastet wurde das Material – ausgehend von der 2012er Veröffentlichung – nicht mehr.
Bezeichnend und Sinnbild für veränderte Sehgewohnheiten: Nach der Indizierung winkte die FSK sogar die Unrated-Fassung mit einer 16er Freigabe durch.
Bild- und Tonqualität
Die erste digitale Fassung von Videodrome war die DVD von 2001. Glücklicherweise basiert die Blu-ray NICHT auf diesem Output von Universal. Denn damals realisierte man die DVD auf Basis eines Laserdisk-Masters im Letterbox-Format – also nicht anamorph.
Um das Bild auf ein zeitgemäßeres Niveau zu bringen, remasterte man es 2010 unter Aufsicht von Kameramann Mark Irwin und ließ diese Fassung von Cronenberg absegnen. Criterion zog das neue Master auf Basis eines 35mm-Interpositivs und ließ die ganzen Schmutzpartikel, Kratzer und Drop-outs sowie das Helligkeitsflackern entfernen/korrigieren. Herausgekommen ist dabei ein Bild, das schon aufgrund seines Alters und der nicht gerade teuren Produktion aller Ehren wert ist.
Denn wenn man vom natürlich vorhandenen analogen Korn absieht, ist die Laufruhe erstaunlich stabil. Schmutzpartikel findet man praktisch überhaupt nicht mehr und die Schärfe ist in Close-ups wirklich hervorragend. Lediglich in ganz dunklen Bereichen und auf solchen Flächen lassen sich leichte Artefakte ausmachen und ein ganz dezentes Helligkeitsflackern ist dann doch noch vorhanden. Aber gerade Szenen bei guter Ausleuchtung liefern klare Bilder und sogar erstaunlich gute Kontraste. Dass die Szenen, die auf dem TV zu sehen sind, natürlich schwächer sind, muss hier nicht erwähnt werden, bleibt aber als Stilmittel außer Konkurrenz.
Der Ton liegt auf der Blu-ray in dts-HD-Master 2.0 vor, wobei es sich der höchsten Wahrscheinlichkeit nach um eine gedoppelte Mono-Spur des Originaltons handelt. Auch hier wurde 2010 ein digitales Remaster vom Original 35mm-Filmmaterial angefertigt, um von dort aus Brummen, Rauschen und Störgeräusche heraus zu filtern. Jetzt reißt eine Mono-Spur natürlich keine Bäume aus und die Vertong vor 35 Jahren war auch noch – sagen wir – ziemlich konservativ. Aber gerade die Rauschfreiheit ist bemerkenswert – und das fast vollständig ohne hörbares Ein- und Ausschalten von Rauschfiltern. Die Dialoge sind klar – auch in der deutschen Synchro – und dominieren das Geschehen auch dann, wenn parallel Filmmusik läuft. Einen ausgeprägten Hang zum Zischeln macht man nicht aus, vielleicht eine leichte Überbetonung von „s“-Lauten. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen aus den 80ern ist diese Synchro aber wirklich hervorragend – sowohl was die Sprecher angeht als auch in Bezug auf die Wiedergabe-Qualität. Gerade Genrefilme litten seinerzeit oft unter geradezu hysterischen Synchronisationen.
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial von Videodrome beginnt ja eigentlich schon mit dem schicken Mediabook, das eine Klappbox im Beta-Max-Style-Design preisgibt. Auch das 24-seitige Booklet begeistert mit Texten von Christoph Huber und Stefan Jung. Die darüber hinaus enthaltene Bonus-DVD liefert dann mehrere Featurettes, die man von den US-Veröffentlichungen von Criterion und Arrow Video zusammen sammelte.
Kernstück ist dabei das 80-minütige „Cronenberg über Cronenberg“. Hierin analysiert sich der Regisseur ein Stück weit selbst – entstanden übrigens rund um die Zeit von Naked Lunch.
Des Weiteren gibt es ein Interview von Robert Mitchell mit Cronenberg. Der Regisseur selbst stellt seinen Film dann in einem elfminütigen Beitrag vor und in „Die Schmiede des neuen Fleisches“, das knapp eine halbe Stunde läuft, kommen Special Effects Mann Michael Lennick sowie Make-up Effects-Spezialist Rick Baker zu Wort. Sie diskutieren über die unterschiedlichen visuellen Effekte und natürlich auch über die Masken.
The Making-of läuft ca. acht Minuten und ist eine Zusammensetzung aus kurzen Interview-Schnipseln und unkommentierten Hinter-der-Kamera-Bildern.
Dazu gibt es noch die kürzeren Featurettes „Samurai Dreams“ (ca. 5 Min.), „Transmissions“ (ca. 7 Min.), „Helmkamera-Test“ (ca. 5 Min.) sowie Beta-Tapes (ca. 1 Min.) Der siebenminütige Kurzfilm „Camera“ sowie Trailer und Bildergalerien schließen den Extra-Bereich ab.
Fazit
Rein vom Pacing her ist man heute natürlich anderes gewohnt und muss sich auf das langsame Erzähltempo von Videodrome etwas einlassen. Doch inhaltlich ist Cronenbergs Film heute aktueller denn je. Das Mediabook liefert dazu das beste bisher mögliche Bild und den besten Ton des 35 Jahre alten Films.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 60%
Bonusmaterial: 80%
Film: 80%
Anbieter: Koch Films
Land/Jahr: Kanada 1983
Regie: David Cronenberg
Darsteller: James Woods, Sonja Smits, Deborah Harry, Peter Dvorsky, Jack Creley, Julie Kahner, Lynne Gorman,
Tonformate (Blu-ray): dts HD-Master 2.0: de, en
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 87’28 / 88’25
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Koch Films)