Blu-ray Review
OT: Tenemos la carne
Die Familie
In We are the Flesh wird nicht nur der Magen des Zuschauers gefordert.
Inhalt
In einer eigens eingerichteten Fabrikhalle haust der obdachlose Mariano von dem, was man ihm durch eine schmale Luke als Essen offeriert. Sein Zeitvertreib ist der Alkohol und eine Trommel, auf der er sich ab und an ins Delirium drischt. Als die zwei offensichtlich auch heimatlosen Geschwister Fauna und Lucio seine Behausung finden, laden sie sich zunächst ganz selbstlos eigens ein, werden dann aber von dem Mann festgesetzt und gegen Kost und Logie zur Arbeit verdonnert. Nach und nach verwandeln die Drei den Ort in einen gigantischen Uterus, dem Mariano vor knapp 50 Jahren ab liebsten gar nicht entkommen wäre. Nun fühlt er sich endlich wieder wohl, nutzt seine neue Zufriedenheit und Macht aber auch dazu, von seinen “Gästen” zu verlangen, dass sie es miteinander treiben. Während des Vollzugs seines Wunsches masturbiert sich Mariano dann in den Tod. Doch ist das nicht sein Ende – und auch für Fauna und Lucio ist der Weg noch nicht vorbei …
Extrem – das ist mit Sicherheit das Eigenschaftswort, das We are the Flesh am besten beschreibt. Die Tatsache, dass Magazine wie Der Spiegel sich zu einem “… wie ein pornografischer Fiebertraum David Cronenbergs …” hinreißen ließen, darf in Zeiten von Genre-Kollegen wie Human Centipede oder Serbian Film fast als eine Art Kompliment gelten, denn damit rückt man Emiliano Rocha Minters Debutwerk in die Nähe von Zelluloidkunstwerken. Wie viel Kunst aber in einem Film steckt, der spätestens nach 25 Minuten mit den unterschiedlichsten Körperflüssigkeiten hausieren geht, das sollte jeder individuell für sich bewerten. Einen starken Magen, so viel ist sicher, braucht jeder, der sich We are the Flesh zu Gemüte zu führen gedenkt. Schon Hauptdarsteller Noé Hernández (Tage der Freiheit – Schlacht um Mexiko) ist als Penner Mariano kein sonderlich attraktiver Anblick. Die Tatsache, dass alle drei Figuren stets schmuddelig und verdreckt oder gar blutverkrustet sind, lässt auch die expliziten Sexszenen kaum ansprechend wirken – und das selbst ohne den Hintergedanken, dass es sich hier storytechnisch um Inzest handelt. Wenn die Kamera dann vom 1,85:1-Format auf ein 4:3 mit stilisierten Infrarot-Look blendet, versucht Rocha Minter auch auf diese Weise, sich von experimentellen Filmen abzusetzen. Der Sinn dahinter verschließt sich allerdings meist.
Bild- und Tonqualität
We are the Flesh hat ein richtig gutes Bild. Gut, wenn man das Wort definiert als: “so wie es sich der Regisseur vorgestellt hat”. Objektiv gesehen ist es fast totgefiltert, um Farben über die meiste Zeit vollkommen zu verfremden oder möglichst schmutzig aussehen zu lassen. Am häufigsten sind Gelbfilter zu erkennen, die das Ganze kränklich wirken lassen. Die teils eingestreuten Blau-Grau-Szenen wirken hingegen (bewusst) kühl. Die Schärfe ist während der Naheinstellungen in Ordnung, in Halbtotalen aber eher mittelmäßig. Der Kontrastumfang variiert (je nach genutzter Farbfilterung) sehr stark, präsentiert aber zu keiner Zeit tiefes Schwarz oder prägnante Spitzlichter. Ein geringes Korn lässt das Geschehen filmisch erscheinen und stört nur in Ausnahmenfällen.
Akustisch bleibt We are the Flesh über weite Strecken frontlastig, nutzt die Effektspeaker aber ausgiebt, wenn seine Figuren lautstark ihren Fantasien oder Wahnvorstellungen “nachgehen”. Auch die Filmmusik bewegt sich offen durch den Raum, die akustische Atmosphäre der urbanen Umgebung einer mexikanischen Stadt im Finale funktioniert ebenfalls authentisch. Dialoge sind gut verständlich und die Synchro ist überraschend gut gelungen.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von We are the Flesh gibt es neben den Trailern noch Interviews mit dem Regisseur sowie seinen drei Hauptakteuren. Schade, dass der junge Darsteller des Lucio wirkt, als wäre er vollkommen zugedröhnt. Auch schade, dass sich der Gesprächsführer nicht traut, die interessante Frage danach zu stellen, wie die Drei mit den expliziten Sexszenen umgegangen sind. Obendrauf gibt es noch die beiden Kurzfilm “Dentro” und “Videohome”, die der erst 26-jährige Minter vor seinem Langfilmdebut verwirklicht hatte.
Fazit
Wer Grenzen erfahren oder ausloten will oder wer sein psychologisches Repertoire erweitern möchte, dem sei We are the Flesh empfohlen. Allen anderen sei gesagt, dass es vollkommen okay ist, wenn man nach Inhaltsangabe und -kritik beschließt, dass man sich das nicht antun möchte.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 50%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 60%
Bonusmaterial: 40%
Film: 60%
Anbieter: Donau Film/Wicked-Vision
Land/Jahr: Mexiko/Frankreich 2016
Regie: Emiliano Rocha Minter
Darsteller: Noé Hernández, María Evoli, Diego Gamaliel, María Cid, Gabino Rodriguez
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 81
Codec: AVC
FSK: 18 (uncut)