Welcome to New York

Blu-ray Review

Welcome to New York Blu-ray Review Cover
EuroVideo, seit 12.02.2015

OT: Welcome to New York

 


Satt

Abel Ferraras jüngster Film blickt tief in den Abgrund der menschlichen und gesellschaftlichen Seele.

Inhalt

Mr. Devereaux ist ein ebenso mächtiger wie überheblicher Finanzvorstand. Da er nach New York muss, um ein paar Deals unter Dach und Fach zu bringen sowie seine Tochter zu treffen, verknüpft er seinen Besuch nur zu gerne mit der Einladung seiner mächtigen Kollegen zu diversen ausschweifenden Don-Juan-Parties. Der augenscheinlich sexsüchtige Devereaux kann nach zwei Tagen der promiskuitiven Aktivitäten kaum mehr zwischen Realität und Spiel unterscheiden, weshalb er sich in seinem Wahn auch noch am Zimmermädchen vergreift. Die macht daraufhin ihre Aussabe bei der Polizei und sorgt dafür, dass der Vergewaltiger trotz vermeintlicher Immunität noch vor seiner geplanten Abreise am Flughafen festgesetzt wird. Devereaux versteht die Welt nicht mehr, realisiert weder, was er sich zu Schulden hat kommen lassen, noch dass dieser Vorfall das Ende seines Rufs, seiner Karriere und Ehe bedeuten könnte …

Abel Ferrara ist einer der großen kreativen Künstler im Filmgeschäft und kontroverse Themen waren schon immer sein Ding. In Welcome to New York lehnt er sich unverhohlen an die Vergewaltigungsaffäre des französischen Politikers und damaligen IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn an und nimmt dabei weder ein Blatt vor den Mund, noch vor seine Bilder. Die Sex-Parties der ersten halben Stunde wirken, als hätte man Das große Fressen in die Gegenwart transportiert. Jeder andere Regisseur hätte hier frühzeitig ausgeblendet, Abel Ferrara hält voll drauf. Dabei konterkariert er die durchaus vorhandene bildhafte Erotik mit Männern, die sich kaum widerwärtiger benehmen könnten – und damit ist noch nicht die Vergewaltigung am Zimmermädchen gemeint. Um dies auch darstellerisch umsetzen zu können, unterstützt ihn ein Gérard Depardieu, der prustetnd und grunzend wie ein Tier über die Frauen herfällt und bis an die Grenzen seiner physischen Möglichkeiten spielt. Mit Vehemenz und Drastik prustet und grunztvollzieht er sowohl die freiwilligen als auch den unfreiwilligen Geschlechtsakt und lässt seine Figur alles sein, aber nicht sympathisch. Ohne sich zurückzunehmen, hält er seinen massigen Körper nackt in die Kamera und bleibt auch verbal kaum galant. Doch das ist ja erst der Anfang von Welcome to New York. Wenn nach einer Dreiviertelstunde der Film seine (bekannte) Wendung nimmt, begibt sich Depardieu mit Ferrara zusammen in die Niederungen des menschlichen Verhaltens. Angefangen von der Entrüstung des Protagonisten über seine Festnahme und die Szenen in der U-Haft bis hin zu den Auseinandersetzungen mit seiner Frau Simone – die beiden zeigen, wie tief ein Mensch in seiner Würde sinken kann.

Auch optisch zieht Ferrara viele Register. Er nutzt während der Szenen im Gefängnis und im Gerichtssaal oft die Handkamera und lässt seine Bilder semidokumentarisch wirken, was den Bezug zur Realität noch unterstützt. Dazu kommen lange Einstellungen ohne Schnitte und viele Extrem-Close-ups. Zwar ist Welcome to New York beständig kühl und bietet keinerlei Identifikationsmöglichkeiten mit egal welcher der Figuren, doch Depardieus Seelen- und Körperstriptease entschädigt auf darstellerischer Ebene für ein paar Mankos – zumal diverse Parallelen zu dessen privat ebenfalls sehr ausschweifendem Leben offenbar sind.

Was man dem Film vorwerfen kann, ist, dass er im letzten Viertel etwas den roten Faden zu verlieren droht. Weitere, filmisch eingestreute Eskapaden Devereaux‘ bremsen das Tempo und stiften Verwirrung. Vielleicht will Ferrara gegen Ende zu sehr seiner eigenen Formel der philosophischen Reflexion entsprechen, was in Kontrast zu den ersten, konventionell gefilmten 90 Minuten nicht ganz passen mag. So muss man sich einlassen auf den auch atmosphärischen Schwenk hin zur Auseinandersetzung zwischen Devereaux und seiner Frau (bissig dargestellt von Jaqueline Bisset). Gegenseitige Vorwürfe, Schuldzuweisungen und Anklagen (auch politische) kommen aufs Tableau; zynische Lebensbetrachtungen, selbstmitleidige Ergüsse und ein paar philosophische Weltbetrachtungen. Während der Täter auf sein Urteil wartet, wird Welcome to New York zum Ehedrama zweier Menschen, die in ihrem offensichtlichen Reichtum den Bezug zu jeder gefühlsmäßigen Realität verloren zu haben scheinen.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Welcome to New York ist beständig extrem dunkel. Ferrara leuchtet oft nur spärlich aus, vertraut auf das Umgebungslicht. Zwar bleibt der Eindruck dabei stabil, aber schön ist’s nicht, wenn man kaum was sieht. Die Bildruhe an sich ist gut, die Schärfe geht im Bildvordergrund schon mal verloren, was meist aber durch bewusstes Spiel des Kamerafokus begründet ist.
Abel Ferrara ist, ähnlich wie Woody Allen, jemand, der Wert auf die Geschichte seiner Filme legt und den technischen Aspekt nur zweitrangig behandelt. So ist es kein Wunder, dass der Ton von Welcome to New York ohne Subwoofer-Kodierung auskommen muss. Die 5.0-dts-HD-Spur braucht im Prinzip aber auch keinen LFE-Kanal, denn die Konzentration liegt dann ja doch eher auf den Dialogen. Nur in seltenen Fällen (Atmosphäre in der Kunstausstellung) werden die rückwärtigen Speaker mit einbezogen. Auch Filmmusik wird nur spärlich eingesetzt, findet dann hauptsächlich auf den beiden vorderen Lautsprechern statt.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Welcome to New York wartet das Feature „Welcome to Cannes“, das mit der Begrüßung des Filmteams beginnt, dann aber bald echte Making-of-Züge annimmt. Viele Interviewszenen des entspannten Regisseurs und seiner Darsteller lockern die eingestreuten Filmsequenzen auf und analysieren die Geschichte tiefgründig.

Fazit

Abel Ferraras Welcome to New York ist zwar für seine Verhältnisse relativ geradlinig gefilmt und weist bei 125 Minuten Laufzeit auch die eine oder andere Länge auf, punktet jedoch mit einem Hauptdarsteller (zu dem man aufgrund seiner Staatsbürgerschaft-Peinlichkeit stehen mag, wie man möchte), dessen Performance in ihrer Abartigkeit herausragend gut ist.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 60%
Tonqualität (dt. Fassung): 60%
Tonqualität (Originalversion): 60%
Bonusmaterial: 30%
Film: 70%

Anbieter: EuroVideo
Land/Jahr: USA/F 2014
Regie: Abel Ferrara
Darsteller: Gérard Depardieu, Jacqueline Bisset, Drena De Niro, Amy Ferguson, Paul Calderon, Paul Hipp
Tonformate: dts HD-Master 5.0: de, en
Bildformat: 1,78:1
Laufzeit: 126
Codec: AVC
FSK: 16

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