Blu-ray Review
OT: Wildling
Die Einzige, die übrig ist
Horror-Drama-Mix voller Atmosphäre.
Inhalt
Der Mann kümmert sich rührend um die kleine Anna. Er spielt mit ihr, versorgt sie, untersucht sie, wenn sie kränkelt und beschützt sie vor der Außenwelt. Dass Anna eingesperrt auf einem Dachboden ohne jeden Kontakt zur Außenwelt aufwächst und der metallene Türknauf unter Strom steht – all das erklärt „Daddy“ damit, dass sie auf keinen Fall dem „Wildling“ zum Opfer fallen soll. Doch der selbsterklärte Vater kann nicht aufhalten, dass Anna beginnt, erwachsen zu werden. Eines Tages schießt er sich eine Kugel in den Kopf und Anna wird von der Polizei gefunden. Sheriff Ellen Cooper, die mit ihrem aufmüpfigen Bruder Ray zusammen lebt, nimmt die verstörte junge Dame bei sich auf und versucht, ihr ein Zuhause zu geben. Nicht ahnend, was Anna noch durchmachen wird. Denn bald schon mehren sich seltsame Ereignisse: Anna verliert Zähne, hat eine Mordslust auf Fleisch und entwickelt zudem erstaunliche Kräfte …
Der Deutsche Fritz Böhm war bisher vornehmlich als Produzent und (gemeinsam mit seiner Produktionsfirma Toccata Film) als Titel-Designer größerer deutscher Kinoproduktionen unterwegs. Mit Wildling gibt er nun sein Langfilm-Debüt und darf das gleich unter internationaler Ägide mit einem Star-Cast tun. Neben dem großartigen Brad Dourif agieren Liv Tyler als Cop und Bel Powley (Diary of a Teenage Girl, Equals – Euch gehört die Zukunft) als Anna in diesem Mix aus Horror und Drama, aus Coming-of-Age- und Kaspar-Hauser-Geschichte. Aber bevor wir zu den Darstellern kommen, erst ein paar Worte zum Film selbst.
Böhm beginnt mit einem tollen Gespür für Atmosphäre, wenn er innerhalb einer Viertelstunde das Aufwachsen Annas auf dem Dachboden beschreibt. Dafür findet er stimmungsvolle Bilder, filmt gerne mal aus dem Hintergrund und bleibt dann auf Abstand. Dann wiederum geht er nahe heran an Dourifs Charktergesicht und stellt eine unmittelbare Nähe her. Gleichzeitig schafft Wildling es, die Figur des „Daddy“ nicht allzu sehr zu dämonisieren. Ja, er hält das Mädchen gefangen. Ja, er verabreicht ihr später dauerhaft Medikamente, um ein körperliches Erwachsenwerden zu unterdrücken. Aber er zeigt gleichzeitig eine tiefe Zuneigung, kümmert sich rührend und macht deutlich, dass er Anna auf eine krude Art und Weise zu lieben scheint.
Dann folgt der Stimmungswechsel mit der Befreiung Annas und die Bühne gehört Bel Powley. Die junge Aktrice mit dem ausdrucksstarken Gesicht hat die anspruchsvolle Aufgabe, eine Figur zu verkörpern, die noch nie zuvor die Welt außerhalb ihres Dachbodens gesehen hat. Die nicht mal den Unterschied zwischen Vater und Mutter kennt und auf die sämtliche Eindrücke der Außenwelt plötzlich hereinprasseln. Für die folgenden 30 Minuten wird Wildling dann tatsächlich zum femininen Coming-of-Age-Film. Und zwar zu einem mit einer sehr selbstbewussten und starken Frauenfigur. Anna lernt schnell zurecht zu kommen und noch schneller, sich zu wehren, wenn man ihr zu nahe kommt. Parallel entsteht eine erstaunliche Sinnlichkeit und Emotionalität, während Anna und Ellens Bruder Ray sich näherkommen.
Auf dem Höhepunkt dieser Annäherung nimmt Wildling dann seine zweite Wendung und wandelt sich mehr und mehr zum Horrorstreifen. Auch das gelingt dem Film überzeugend – inklusive recht beeindruckender praktischer Masken. Was es letztlich mit dem „Wildling“ auf sich hat, sei an dieser Stelle aber nicht verraten.
Wohl aber, dass Powley und Collin Kelly-Sordelet (ebenfalls ein Langfilm-Debütant) als Ray wirklich herausragende Leistungen abliefern und sich beide für Größeres empfehlen. Liv Tyler bleibt da eher die undankbare Rolle des Cops, der zwischen den Stühlen sitzt. Für Genrefans natürlich ein Fest: Das Wiedersehen mit Brad „Schlangenzunge“ Dourif.
Bild- und Tonqualität
Die Bildqualität von Wildling zeigt sich in Naheinstellungen mit sehr hoher Schärfe und feiner Auflösung. Außerdem sind die blauen Augen von Dourif und dem kleinen Mädchen unglaublich klar und prägnant. Auch die farbigen Gummibärchen auf dem Kuchen nach etwas über sechs Minuten sind kräftig. Die Schwarzwerte reichen tief hinab und lassen beleuchtete Gesichter im dunklen Keller noch stärker erstrahlen. Allerdings gehen bisweilen auch ein paar Details im Sattschwarz verloren. Hin und wieder zeigen sich außerdem stärkere Unruhen als das generell genutzte, dezente Korn. Sobald Anna aus ihrem Verlies befreit wurde, gibt’s schon mal etwas weichere Szenen – gerade während Kameraschwenks und in Bewegungen.
Beim Sound baut sich von Beginn an eine räumliche Atmosphäre auf. Die Geräusche, die Anna auf dem Dachboden hört, gelangen aus allen Lautsprechern zum Gehör und wenn die laute Außenwelt auf ihre Ohren einwirkt, wird das für den Zuschauer umso intensiver dargestellt. Fällt dann unvermittelt ein Schuss, zuckt man regelrecht zusammen (8’23). Die Szenen, in denen Anna Stimmen nur gedämpft hört, werden entsprechend dumpf dargeboten, was viel Atmosphäre vermittelt. Dynamisch und laut wird’s, wenn sie auf eine Party geht, auf der entsprechende Musik läuft. Extrem effektvoll kommen dann im Hinblick aufs Finale die Schüsse aus den Gewehren rüber (67’20) – sie fetzen förmlich durchs Heimkino und schlagen wuchtig ein.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Wildling befinden sich insgesamt zehn entfernten Szenen mit einer Gesamtlaufzeit von etwas über fünf Minuten. Dazu kommen vier Minuten an Outtakes und Patzern sowie die Originaltrailer und einige Programmtipps.
Das limitierte Mediabook ist dazu wunderhübsch geworden und kommt mit einer Struktur im Stile eines Leder-Einbands. Im Inneren befindet sich neben der Blu-ray auch die DVD sowie ein 24-seitiges Booklet mit einem sehr aufschlussreichen Interview mit Regisseur Böhm sowie einigen Abdrucken von Storyboards.
Fazit
Fritz Böhm liefert mit Wildling ein beendruckend atmosphärisches, spannendes und hervorragend gespieltes Langfilm-Debüt ab, das den Creature-Horrorfilm mit Coming-of-Age-Aspekten anreichert. Außerdem wird (mal wieder) deutlich, dass Horror und Romantik sich nicht ausschließen müssen – und zwar abseits von einer schmalzigen Jugendbuchroman-Verfilmungen wie Twilight.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 80%
Tonqualität (Originalversion): 80%
Bonusmaterial: 50%
Film: 75%
Anbieter: Capelight Pictures
Land/Jahr: USA 2017
Regie: Fritz Böhm
Darsteller: Bel Powley, Liv Tyler, Brad Dourif, James LeGros, Troy Ruptash, Charlotte Ubben
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 92
Codec: AVC
FSK: 16
(Copyright der Cover und Szenenbilder liegt bei Anbieter Capelight Pictures)