Blu-ray Review
OT: –
„Unser Flüchtling“
Der erfolgreichste deutsche Kinofilm 2016 kommt auf Blu-ray.
Inhalt
Angelika Hartmann möchte helfen. Die Flüchtlings“krise“ hält Deutschland in Atem und irgendwie scheint die Dame im besten Alter ihre freie Zeit mit etwas Sinnvollem ausfüllen zu wollen. Als der pensionierten Lehrerin aber gesagt wird, dass für den Deutschunterricht schon genug Kräfte vorhanden sind, fasst sie einen anderen Entschluss: Sie will einen Flüchtling aufnehmen. Als sie das Abends ihrer versammelten Familie mitteilt, trennt diese sich in jene mit „Helfersyndrom“ und jene mit „Arschlochsyndrom“. Gerade Angelikas Mann Richard hat da so seine Bedenken. Also klopft gerade er ganz genau ab, warum Flüchtling Diallo aus Nigeria unbedingt nach Deutschland wollte (Antwort: Manuel Neuer) und was er von Kriminalität hält („in ein Flugzeug stecken und über der Wüste rauswerfen“). Die Antworten scheinen Richard zufriedenzustellen, denn ein paar Tage später steht Diallo vor der Tür und wird fürs Erste in die Familie aufgenommen. Natürlich geht das Ganze nicht ohne zünftige Missverständnisse ab, denn die deutschen Gepflogenheiten sind ja durchaus anders als jene in Schwarzafrika. Doch der Neuankömmling integriert sich schnell … in den Haushalt … und übernimmt all jene Aufgaben, die Richard gerne liegen lässt. Die Nachbarin allerdings ist kaum begeistert und begegnet Diallo und den Hartmanns fortan feindlich. Das ist aber alles harmlos im Vergleich zu den innerfamiliären Konflikten, die Diallo fortan im Hause der Hartmanns miterleben muss …
3,5 Millionen Zuschauer können nicht irren und machten Simon Verhoevens fünfte Regiearbeit zum mit Abstand erfolgreichsten deutschen Kinofilm des letzten Jahres. In einer Zeit, in der „Wir schaffen das!“ auf der einen Seite für Respekt und Bewunderung sorgte und auf der anderen Seite zu extremer Ablehnung und Deutschtümelei führte, traf Willkommen bei den Hartmanns genau den Zeitgeist und nahm mit Humor, was andere zum verbalen Köpfe-Einschlagen provozierte. Simon Verhoevens Komödie um eine Familie, die einen Flüchtling aufnimmt, schlägt dabei (ganz anders als bisherige Arbeiten des Regisseurs wie bspw. Männerherzen) durchaus auch nachdenkenswerte Töne an. Allerdings, und das ist sicherlich die ebenso berechtigte wie größte Kritik, die man an den Film richten kann, ist die Charakterisierung von Diallo schlicht viel zu brav, einfühlsam und gutmütig. Ein paar Ecken und Kanten hätte man ihm schon verpassen können, was den Film insgesamt böser und ein wenig schwarzhumoriger gemacht hätte. Da Verhoeven sich aber auf ein herausragendes Cast verlassen kann, muss er so viel gar nicht machen, damit sein Film funktioniert. Sogar die etwas holprige Inszenierung und das zusammengestückelt wirkende Setting fallen da nicht allzu negativ auf. Denn die Mischung aus altverdienten Schauspielern und Nachwuchsgeneration funktioniert prächtig.
Und das nicht nur, weil Familie vor der Kamera eine große Rolle spielt, sondern eben auch hinter der Kamera – immerhin inszeniert der Regisseur erstmals seine eigene Mutter. Senta Berger trägt den Film locker auf ihren Schultern und wird von einem herrlichen Heiner Lauterbach unterstützt, der es sichtlich genießt, den granteligen Midlife-Crisis-Typen zu geben. Die Szenen mit Männer-Freund Uwe Ochsenknecht sind gar dermaßen witzig, dass man sich eine Fortsetzung des Doris-Dörrie-Films herbeisehnt. Wenn der coole Schönheitsarzt Dr. Sascha Heinrich (Ochsenknecht) seinen Kumpel Dr. Hartmann (Lauterbach) mit Hyaluron die Augenfältchen unterspritzen möchte und der Patient Bammel vor den Schmerzen hat, funktioniert der Witz hervorragend – ganz zu Schweigen vom großartigen Gag, wenn Sascha ihn auf seine Haare anspricht. Doch bei allem Humor und aller Situationskomik, transportiert Willkommen bei den Hartmanns zwischen den familiären Streitigkeiten oft ganz beiläufig Wahrheiten und Weisheiten. Beispielsweise, wenn Tochter Sofie auf die Frage ihrer Mutter, ob es denn Flüchtlinge gewesen seien, die ihr Nachts in der Stadt etwas zudringlich geworden sind, mit „keine Ahnung, waren Arschlöcher“ entgegnet. Erstaunlich differenziert und ohne große Schwarz-Weiß-Malerei geht man auch mit der Diskussion um, die Flüchtlinge untereinander führen. Ebenso überraschend ist Elyas M’Barek, der moderat gegen den Strich gebürstet mal nicht rumblödelt, sondern den gebildeten Assistenz-Arzt und Love-Interest der Hartmann’schen Tochter Sofie geben darf.
Wirklich herrlich ist das ironische Brechen der typisch deutschen Verkrampftheit im Umgang mit stereotypen Ausdrücken und Begrifflichkeiten. Wenn Heiner Lauterbach sich praktisch die Zunge bricht, bevor er von „Schwarze“ über „Farbige“ nach „Dunkelhäutige“ kommt, ist das extrem befreiender Humor. Das lässt auch darüber hinwegsehen, dass so manche Szene ins Klamaukige abdriftet – ein Zebra im Garten der Hartmanns? Das hätte es nun wirklich nicht gebraucht. Auch nicht, um die Figur der Alt-68er-Hippie-Frau zu karikieren, die eben eine von vielen Typen ist, die Willkommen bei den Hartmanns persifliert. Ebenso wenig gelungen ist die Nebenstory mit der Polizei, die weder vom Timing passt, noch dem Film irgendeine neue Seite abgewinnen kann. Glücklicherweise werden derartige Klischees und Ausuferungen nicht allzu sehr strapaziert. Und an anderer Stelle funktioniert die Satire ja auch gut. Ob das nun die Pegida-Anhänger sind, die sich vor dem Haus der Hartmanns versammeln und ihre Überzeugung in die Welt hinausposaunen oder es um den Flüchtlingshelfer (großartig: Eisi Gulp) geht, der sich tierisch über einen seiner Schützlinge aufregt. Und zwischen all der Komik, der Satire, der Melancholie und dem kritischen Blick auf die Befindlichkeit eines Landes im Angesicht einer Flüchtlingsthematik schafft Willkommen bei den Hartmans am Ende das Wichtigste: Er sorgt für Toleranz und Verständnis.
Bild- und Tonqualität
Das Bild von Willkommen bei den Hartmanns ist schön kontraststark und farbkräftig. Dazu gefällt es durch seine hohe Laufruhe und die natürliche Ausleuchtung. Lediglich in dunkleren Bereichen werden Details schon mal etwas unterschlagen. In der Disko und bei weniger gut ausgeleuchteten Szenen gesellt sich außerdem ein klein wenig Korn hinzu, was vor allem auf roten Bereichen auffällt. Die Schärfe der im Fokus stehenden Charaktere und Objekte ist sehr gut (93’30), wenngleich ab und an Randunschärfen im unteren Bereich auftreten (11’30).
Akustisch bleiben die Dialoge stets gut verständlich und dominieren den Film. Allerdings kontert Willkommen bei den Hartmanns dies mit fetten Beats bei den Diskoszenen (50’07) und sehr räumlichen Musik. Auch wenn Richard und Diallo sich an der Isar begegnen und auf einer Parkbank über Ehe und Partnerschaft diskutieren, plätschert der Fluss im Hintergrund schön räumlich vorbei. Das macht den Film zwar lange nicht zu einem Actionkracher, aber zu einem durchaus räumlichen Vertreter der Komödienzunft.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Willkommen bei den Hartmanns gibt’s neben einem Premieren-Clip aus München und Aufnahmen vom Sonderscreening in Berlin auch noch Outtakes, sieben Minuten an nicht verwendete Szenen, Outtakes, Making-of und ein dreiteiliges Featurette. Das Making-of läuft gut 25 Minuten und beschreibt die Entstehung des Films, dessen Idee schon weit vor Merkels „Wir schaffen das!“ entstand. Auch die Schauspieler und die Stimmung am Set werden beleuchtet. Die drei Featurettes kümmern sich in „Young Stars“ um das Trio aus Palina, Elyas und Florian. In „Die Familie“ geht’s um die familiären Verbindungen, die das HINTER der Kamera mit dem VOR der Kamera verbinden. „Triff die Hartmanns“ hingegen schlüsselt noch mal auf, welche Rolle die einzelnen Mitglieder spielen.
Fazit
Trotz ein paar kleinerer Mankos und einem im Grunde zu braven Tenor hat Willkommen bei den Hartmanns genug Witz und Esprit, um zwei Stunden lang zu unterhalten. Dazu gesellt sich ein herausragendes Cast aus dem Heiner Lauterbach, Senta Berger und Elyas M’Barek noch hervorstechen – entspannte Familienunterhaltung mit (ein bisschen) Botschaft.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 70%
Bonusmaterial: 50%
Film: 75%
Anbieter: Warner Home
Land/Jahr: Deutschland 2016
Regie: Simon Verhoeven
Darsteller: Senta Berger, Heiner Lauterbach, Elyas M’Barek, Palina Rojinski, Florian David Fitz, Ulrike Kriener, Uwe Ochsenknecht, Eric Kabongo
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 116
Codec: AVC
FSK: 12