Anomalisa

Blu-ray Review

Anomalisa Blu-ray Review Cover
Paramount Home, seit 02.06.2016

OT: Anomalisa

 


Jemand Anders

Hier kommt mal ein vollkommen ungewöhnlicher Animationsfilm.

Inhalt

Michael Stone ist Autor und Motivationstrainer – wobei das mit der Motivatin für ihn selbst und sein Leben nicht weit her ist. Sein Leben ist über die Jahre bedeutungslos und leer geworden. Als er beruflich nach Cincinnati muss und dort von den Dämonen seiner scheiternden Ehe heimgesucht wird, schnappt er sich das Telefon und ruft seine alte Bekannte Bella an. Die ist zunächst erfreut, zögert dann aber als Michael von seiner Ehe berichtet. Ein anschließendes Treffen gerät dann auch eher zum Fiasko. Doch dann, Michael kommt gerade aus der Dusche, hört er auf dem Flur eine „andere“ Stimme. Eine, die aus dem Allerlei, dass er wahrnimmt, herausragt. Diese, so stellt sich heraus, gehört Lisa und sie ist extra einen weiten Weg gekommen, um Stones Vortrag beizuwohnen. Völlig verschüchert, als der Autor vor ihr steht, geht sie nach einem gemeinsamen Abendessen noch mit ihm aufs Zimmer und versteht überhaupt nicht, warum sich Stone für die Telefonistin, die sich für hässlich hält, interessiert. Sie kann ja auch nicht wissen, dass sie die erste Person ist, die für Michael wirklich anders und damit außergewöhnlich ist. So außergewöhnlich, dass er sie „Anomalisa“ nennt und sich eine zweite Lebenschance mit ihr erhofft …

Charlie Kaufman gehört zu den außergewöhnlichsten Kreativen in Hollywood. Auf sein (Drehbuch)Konto gehen die grandiosen Filme Being John Malkovich, Adaption oder Vergiss mein nicht. Als Regisseur hatte er zuletzt mit Synecdoche, New York einen großen Kosmos in einem Kosmos erschaffen und erneut gezeigt, dass er für die bizarrsten Ideen der Traumfabrik verantwortlich ist. Mit Anomolisa wagt er sich nun auf komplett neues Terrain und inszeniert gemeinsam mit Produzent und Ko-Regisseur Duke Johnson einen altmodischen Stop-Motion-Film, der sich der neumodernsten Technik zur Erschaffung seiner Figuren bedient. Diese stammen allesamt aus dem 3D-Drucker und weisen Nahtstellen am Haaransatz auf. Was zunächst befremdlich wirkt, hat Methode. Denn unschwer zu erkennen ist die Tatsache, dass alle Menschen dasselbe Antlitz haben und mit derselben Stimme sprechen. Für den Hauptcharakter Michael stellt es sich aber genauso dar – er sieht alle um sich herum als gleiche Person in unterschiedlicher Verkleidung. Auch deren Stimmen sind für ihn irgendwie gleich und keine lässt sich individuell aus dem Einerlei herausdifferenzieren. Michael leidet damit unter dem sogenannten Fergoli-Syndrom und Anomalisa setzt dies schon zu Beginn um, indem er vor schwarzem Bild eine immer mehr anschwillende Kulisse von Stimm-Wirrwarr abspult. In der Folge sprechen alle Figuren (auch die weiblichen) mit derselben Männerstimme – Individualität gibt’s nicht. Das spiegelt perfekt Michaels seelischen Zustand wieder, wenn der sogar an einem sich heftig streitenden Paar auf dem Hotelflur entlangschleicht, ohne auch nur Notiz davon zu nehmen. Das, man merkt es schnell, ist alles andere als ein Animationsfilm für Kids – ganz im Gegenteil: Problematik und Bilder sind durchaus vor allem für Erwachsene gedacht, zumal es eine intensive Puppensex-Szene gibt. Dabei verliert Kaufman natürlich nicht seinen skurrilen Humor, wenn er Michael in einen Laden schickt, um Spielzeug für seinen Sohn zu erstehen, dabei aber im nächsten Sexshop landet und den vibrierenden Dildo vom Tisch schmeißt. Anomalisa nimmt trotz solcher kleinen Humorspitzen seine Figuren und ihre Gefühle stets ernst. Erstaunlich, wie viel Emotionen sich im Zuge dieser Auseinandersetzung mit der Geschichte von den Gesichtern der Puppen ablesen lassen. Gerade Lisas Scheu und ihre melancholische Ader kommen perfekt zur Geltung. Und obwohl die Story eher dünn ist, steckt einem der Schock tief in den Gliedern, wenn nach gut 73 Minuten klar wird, dass Michael es wohl nie schaffen wird und er niemals über seinen Schatten wird springen können. Das vermittelt Kaufman in Anomalisa mit einem ebenso simplen wie treffsicheren Stilmittel, das die zuvor entwickelte Hoffnung in Sekundenbruchteilen in Traurigkeit und Enttäuschung verwandelt.

Bild- und Tonqualität

Die warme Farbgebung, die Anomalisa grundsätzlich transportiert wirkt stets passend und unterstützt die Atmosphäre des zarten Films. Dazu spielt der Film mit teils deutlichen Unschärfen im Randbereich. Das ist aber sicherlich ebenso absichtlich gewollt wie die über die Gesichter huschenden Schatten und Farbverfälschungen, die den Film fortwährend begleiten. Bis auf ein wenig Korn ist die Bildruhe sehr gut und die Auflösung der Szenen, die im Fokus sind, darf als gelungen gelten. Aufgrund der äußerst starken Stilisierung fällt eine Bewertung nach objektiven Maßstäben etwas schwer – was dem einen gefällt, weil’s einfach passt, wird dem Technikfreak unter Umständen ein Dorn im Auge sein.
Noch immer ist es eine Unart von Paramount Home Media, die deutsche Tonspur mit einem herkömmlichen Dolby-Digital-Sound zu veröffentlichen. Auch bei Anomalisa ist das nicht anders. Seit der Übernahme von Universal Pictures gibt es zwar die Hoffnung, dass man mal diesem Studio folgt und wenigstens eine reguläre dts-Spur integriert, doch bis dahin schein noch ein wenig Wasser den Rhein hinabzufließen. Die Tatsache, dass der Film hauptsächlich Dialoge transportiert mag die meiste Zeit über dieses Manko hinwegtäuschen, doch während der Stimm-Wirr-Warr-Szenen oder in den Außenszenen mit viel Atmosphäre fehlen einfach Räumlichkeit und Auflösung. Dennoch wird es manchmal recht effektvoll, wenn beispielsweise im Untergeschoss-Büro die Tastaturen rattern (63’00). Doch wenn mann den Unterschied zwischen beiden Tonspuren in dem Moment hört, in dem die Fremden an Michaels Hoteltür trommeln, dann weiß man, warum Dolby-Digital-Kompressionen heutzutage einfach vollkommen überholt sind. Was die Originalspur hier an Kraft und Bass entfaltet, kann man auf der deutschen Version nur erahnen (69’00).

Bonusmaterial

Das Bonusmaterial von Anomalisa liefert drei Featurettes: „Du bist keine von ihnen: Die Erschaffung von Anomalisa“ ist das eigentliche Making-of, das mit 30 Minuten Laufzeit ergiebig ausfällt und vor allem auch den Ursprung der Geschichte aufgreift. Kaufman hatte das Skript als Theaterspiel konzipiert und genau den drei Schauspielern zugespielt, die nun auch die drei Stimmen des Originals geben. Für genau zwei Abende wurde es an der UCLA aufgeführt und verschwand dann wieder. Bis zwei der Produzenten extra ein Studio dafür gründeten, um das Skript zu erhalten. Die Tatsache, dass viele der interviewten Produzenten sehr jung sind, ist der Tatsache geschuldet, dass Kaufman teils über Crowdfunding gehen musste, um den Film zu finanzieren. „Intimität im Miniaturformat“ zeigt, wie die Sexszene des Films synchronisiert und umgesetzt wurde. Teilweise vergingen mehrere Stunden für eine einzige Aufnahme und die ganze Sequenz nahm mehrere Monate in Anspruch. Witzigerweise nahm man Probeaufnahmen zweier Pornodarsteller als Grundlage für die Bewegungen von Michael und Lisa – inklusive des Kopfteil-Unfalls. „Der Klang des Unbehagens“ kümmert sich dann um die Soundeffekte des Films, die Geräuschmacher beisteuerten und die nicht von einem Computer erzeugt wurden.

Fazit

Anomalisa ist ein ebenso ungewöhnlicher wie sperriger Film über die großen Themen des Lebens, angefüllt mit skurrilen Situationen und zwei außergewöhnlichen Charakteren. Für Mainstreamfans ist das sicherlich das falsche Futter. Vielmehr sollten Arthaus-Freunde hier hellhörig werden, denn abseits der verdienten Oscarnominierung und der zärtlichsten und einfühlsamsten Puppen-Sex-Szene der Filmgeschichte ist Charlie Kaufmans Stop-Motion-Werk auch äußerst wahrhaftig.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 75%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 60%
Film: 80%

Anbieter: Paramount Home
Land/Jahr: USA 2015
Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson
Darsteller: Frank Röth, Christian Weygand, Caroline Ebner
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 90
Codec: AVC
FSK: 12

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen!