Honig im Kopf

Blu-ray Review

Honig im Kopf Blu-ray Review Cover
Warner Home, seit 27.08.2015

OT: –

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Venedig sehen und …

Da ist er, der erfolgreichste deutsche Film seit Der Schuh des Manitu

Inhalt

Seit Amandus‘ Frau gestorben ist, ist der Großvater von Tilda nicht mehr derselbe. Er vergisst immer mehr Dinge und lässt im Alltag gewohnte Verhaltensweisen vermissen. Aus Sorge nimmt sein Sohn Niko ihn bei sich zuhause auf, was dessen Frau Sarah nur bedingt gut findet. Denn Opa benimmt sich immer seltsamer und fackelt aus Versehen fast das Haus ab. Nur Enkelin Tilda nimmt ihren Großvater wie er ist und tut alles, damit er sich wohlfühlt. Deshalb will sie ihm auch einen Wunsch erfüllen, denn ein Gedanke ist beim ehemaligen Tierarzt Amandus noch präsent wie gestern: DerVenedigaufenthalt vor Jahrzehnten, bei dem er seine Frau kennenlernte. Also packt Tilda eine Tasche, schnappt sich ihren Opa und besorgt ein Zugticket in die Stadt der Liebe – der Beginn einer Reise voller schöner aber auch trauriger Momente …

Man mag von Til Schweiger halten, was man will, aber er macht Filme, die die Massen bewegen. Von Knockin‘ on Heaven’s Door über Keinohrhasen bis hin zu Kokowääh verbucht der Schauspieler/Regisseur/Produzent einen Erfolg nach dem anderen und hat mit Matthias Schweighöfer bereits einen Ziehsohn, dessen Filme einem ähnlichen Muster folgen. Irgendwas muss also dran sein, an den romantischen Komödien/Lebensdramen mit humorvollem Subtext. Zum Jahreswechsel 2014/15 kam dann sein bisher jüngstes und mit Abstand erfolgreichstes – vielleicht sogar reifstes Werk in die Kinos: Über sieben Millionen Zuschauer sahen Honig im Kopf und ließen den Film monatelang in den Kinocharts verweilen. Was die einen wunderbar rührend fanden, gab den anderen (vornehmlich den Schweiger-Verweigerern) genug Anlass, sich über alle möglichen Dinge aufzuregen. Wo viel Erfolg, da auch viel Neid und wo viel Rampenlicht, da auch viel Häme. Til Schweiger polarisiert eben auch, was man nicht zuletzt an der jüngsten Diskussion rund um sein Engagement für Flüchtlinge ablesen kann. Dabei ordne ich mich vornehmlich in die Gruppe ein, die dem etwas nuschelig-launischen Darsteller und Filmemacher mit einer gewissen Grundskepsis gegenübersteht. Weder halte ich ihn für einen guten Darsteller, noch für einen außerordentlich talentierten Regisseur. Respekt habe ich allerdings davor, dass sich Schweiger nicht verbiegen lässt, seine Meinung auch mal unüberlegt und emotional kundtut und sie dann ebenso leidenschaftlich vertritt, wie er hinter seinen Filmen steht.

Aber zurück zu Honig im Kopf: Dessen Grundgeschichte ist nun erstmals eine grundlegend andere. Inszenierte Schweiger bisher vornehmlich romantische Komödien mit scheinbar unmöglichen Beziehungen, ist die Story über den an Alzheimer erkrankten Großvater, den seine Enkelin auf einen abenteuerlichen Roadtrip mitnimmt, mit vielen bittersüßen und dramatisch-bewegenden Momenten gespickt. Praktisch in zwei Teile gegliedert, beschreibt Schweiger zunächst den Mikrokosmos einer Familie, die plötzlich mit dem Thema Alzheimer konfrontiert wird. Gerade dieser Teil brachte ihm viele Vorwürfe ein. Zu wenig ernst hätte Schweiger das Thema  genommen, hätte die Krankheit verharmlost und sie für billige Witze missbraucht. Ob das nun faktisch stimmt oder nicht, ob er Alzheimer ein wenig zu naiv oder geschönt darstellt, er schaffte es für einige Zeit, die Krankheit ins Bewusstsein der Leute zu rücken und vielleicht für ein paar ratlose Angehörige einen Weg aufzuzeigen, dass man mit Familienangehörigen, die an Alzheimer erkrankt sind, liebevoll und ohne Vorwürfe umgehen sollte. Im Mantel eines fiktiven Films ist das nicht einfach zu vermitteln, vor allem dann, wenn man gleichzeitig unterhalten möchte und nicht zwei Stunden lang Trübsal blasen will. Was bezogen auf die Vorwürfe wohl wahr ist: Einige Male schlägt Schweiger etwas über die Stränge – möglicherweise genau in den Szenen, wegen denen sich Regisseur und Hauptdarsteller während des Drehs ein wenig in die Haare kriegten. Ohne diese zu benennen (der aufmerksame Zuschauer wird sie ohnehin erkennen) – so dramatisch wirkt sich das im Verlauf von gut 135 Minuten (abzüglich des Abspanns) dann doch nicht aus.

Apropos Hauptdarsteller Dieter Hallervorden: Was der verdiente Schauspieler und Komödiant schon im großartigen Sein letztes Rennen andeutete, zementiert er hier in Honig im Kopf noch einmal: Im gesetzten Alter ist er ein absolut herausragender Charakterkopf geworden. Die Rolle des Alzheimerkranken stellt er bis ins letzte Detail perfekt dar. Neben den bewusst witzigen und schlagfertigen Sprüchen sind es vor allem die kleinen Dinge, die zeigen, wie intensiv sich Hallervorden mit der Krankheit auseinandergesetzt hat. Kleine Unsicherheiten in der Grobmotorik hier, ein abwesender Blick dort – das ist großes Schauspiel und verdammt nahe dran an der Realität der Betroffenen. Ob Amandus voller Traurigkeit feststellt, dass er langsam alles vergisst und dann seiner Enkelin eine bewegende Liebeserklärung diktiert, bevor er nicht mehr weiß, wer sie ist oder ob er seinem Arzt schlagfertig entgegnet, dass er an dessen Fähigkeiten zweifelt, wenn er nicht mal weiß, was 9 +3 ergibt – Hallervorden agiert stets auf dem Punkt und mit perfektem Timing. Seine Darstellung des Amandus dürfte, nein sollte in die Geschichte des deutschen Kinos eingehen. Neben ihm besteht Emma Schweiger ihre bisher herausforderndste Rolle mit Bravour – vielleicht auch gerade deshalb, weil sie noch jung ist und entsprechend vorurteilsfrei an das Thema herangehen kann. Sie ist von Beginn an diejenige, die ihren demenzkranken Opa so nimmt, wie er ist; die ihn unterstützt und trotz aller Seltsamkeiten lieb hat wie eh und je. So ist Honig im Kopf auch ein Film, der generationenübergreifend für Warmherzigkeit, Verständnis, Liebe und Fürsorge plädiert. Dass Schweiger sich selbst dabei äußerst zurücknimmt, ist dem sonst so gern sich selbst inszenierenden Darsteller hoch anzurechnen, zeigt es doch, wie wichtig ihm seine Geschichte war. Einzig Jeanette Hain bleibt reduziert auf die kreischende, langsam in Hysterie verfallende Ehefrau, was bisweilen an die Nerven geht. Wie übrigens auch das freche und vollkommen unnötige Product Placement einer schwäbischen Fahrzeugmarke. Nicht nur dass Schweiger als Produzent das gar nicht nötig hätte, zerstört es gleich mehrfach die Stimmung einer Szene. Gut, dass es im angesprochenen zweiten Teil des Films noch einen kompletten Wechsel der Szenerie gibt und sich das Familiendrama in einen charmanten Roadtrip verwandelt. Das ist nicht nur malerisch anzuschauen, wenn das ungleiche Paar über Südtirol nach Venedig reist, sondern hält auch ein paar der schönsten Szenen, die je zwischen einer Großvater- und einer Enkelkindfigur inszeniert wurden, bereit.

Bild- und Tonqualität

Wer Schweigers Filme kennt, wird auch bei Honig im Kopf nicht überrascht sein: Wie schon in allen anderen erfolgreichen Kinowerken des regieführenden Schauspielers ist auch hier das Bild geprägt durch Sepiatöne – Braun, wohin das Auge reicht. Selbst grüne Pflanzen oder rote Münder (Katharina Thalbach) sind braun. Wenn man Honig im Kopf im Vorspuldurchgang anschaut und die Geschwindigkeit entsprechend hoch einstellt, wird man sich fragen, wie die 140 Minuten überhaupt zustande kamen, denn alle Szenen sehen optisch vollkommen identisch aus. Sei’s drum, man hätte es ja auch nicht anders erwartet. Gut gelungen ist dieses Mal der Spaghat zwischen sehr guter Schärfe und ganz leichter Körnung. Im Verbund mit dem Sepialook stellt sich so ein sehr filmisches Feeling ein. Vom Kontrast her gelingt Honig im Kopf besser als bisherige Schweiger-Filme. Wenngleich auch hier schon mal die hellen Segmente überstrahlen, ist das Ganze recht ausgewogen und harmonisch. In wenigen Momenten nimmt die Körnung allerdings etwas überhand, was dann zu einem deutlichen Schärfeverlust führt.
Akustisch ist Honig im Kopf für ein dialogbestimmtes Drama äußerst räumlich geraten. Vögel zwitschern lebhaft, der (wieder mal kongenial ausgewählte) Musiksoundtrack kommt wunderbar offen und bisweilen dynamisch über die Lautsprecher und wenn das Feuerwerk zu früh losgeht, wird der Subwoofer ordentlich mit ins Geschehen einbezogen.

Bonusmaterial

Was bei anderen „B’Roll“ heißt, wird bei Til Schweiger kurzerhand familiär „Teamfilm“ getauft und zeigt knapp eine Viertelstunde lang sehr schöne Einblicke in die Arbeit vor und hinter der Kamera. Am Ende weiß man, das Schweiger und Hallervorden durchaus harmonische Momente am Set hatten und außerdem noch dazu, dass man Schafe nicht gut auseinandertreiben kann. Das „Hinter den Kulissen“ beherbergt dann insgesamt neun Kurzfeaturettes, die es insgesamt auf gerade mal 13:31 Minuten bringen. Dass im Film hauptsächlich Fahrzeuge der Marke mit dem Stern zum Einsatz kamen, wird im zweiten Kapitel noch mal verdeutlicht – wenngleich sie hier leidenschaftlich zerstört werden. Nach diesen eher unterdurchschnittlich interessanten Kurzschnipseln warten noch die obligatorischen Outtakes sowie ein Musikvideo zu „Go Solo“ von Tom Rosenthal und „I’ll Call Thee Hamlet“ von Woods of Birnam. Trailer und Audiokommentar von Til Schweiger, den er mit Co-Autorin Hilly Martinek gemeinsam eingesprochen hat, runden das Programm ab. Dass der Audiokommentar besonders persönlich ausgefallen ist, vermutet man bei Schweiger schon, da er immer geradeheraus spricht und auch gerne Anekdoten seiner Vergangenheit erzählt. Erfrischend im Übrigen, dass der Regisseur/Produzent und Darsteller ganz unumwunden zugibt, dass die Produktplazierung in Sachen Automarke ganz bewusst getroffen wurde. Insgesamt fällt das Bonusmaterial von Honig im Kopf allerdings ziemlich mau aus, wenn man bedenkt, dass der Film einen derartigen Erfolg hat(te).

Fazit

Ja, Honig im Kopf ist ein bisschen naiv, gutmenschlerisch und süß – er ist aber auch unglaublich berührend, humorvoll und von einem Dieter Hallervorden geprägt, der eine der besten Darstellerleistungen abgibt, die der deutsche Film je gesehen hat. Und was das Thema Alzheimer angeht: Selbst wenn Schweiger es ein wenig zu unbekümmert oder lustig darstellt, so nimmt er der Krankheit auch etwas den Schrecken – und das kann im Umgang mit entsprechend Erkrankten nur hilfreich sein.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Bonusmaterial: 40%
Film: 85%

Anbieter: Warner Home
Land/Jahr: Deutschland 2014
Regie: Til Schweiger
Darsteller: Dieter Hallervorden, Emma Schweiger, Til Schweiger, Jeanette Hain, Jan Josef Liefers, Fahri Yardim, Katharina Thalbach, Claudia Michelsen, Thilo Prückner
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 139
Codec: AVC
FSK: 6

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