Birdman, oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Blu-ray Review

Birdman, oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) Blu-ray Review Cover
20th Century Fox, seit 11.06.2015

OT: Birdman: Or (The Unexpected Virtue of Ignorance)

 


Verriss?

Da ist er, der Gewinner des Oscars 2014 für den besten Film.

Inhalt

Riggan Thomson war mal ein angesagter Schauspieler, dessen Superheld „Birdman“ die Massen in die Kinos lockte. Nun ist der Ruhm etwas verblasst und was so eine echte Midlife-Crisis ist, möchte man dann urplötzlich mal etwas anderes und richtig tiefschürfendes machen. Also hat sich Thomson vorgenommen, ein Raymond-Carver-Stück am Broadway zu inszenieren und damit nicht nur Publikum, sondern auch Kritiker zu begeistern. Als sein Hauptdarsteller aufgrund eines Unfalls ausfällt, sorgt er mit Mike für Ersatz, der zwar gut, aber eben auch ein ebenso großer Egomane ist, wie Riggan selbst. So werden die Konflikte zwischen den beiden Alphatieren bald handgreiflich. Doch das ist nicht das einzige Problem, dem sich Riggan ausgesetzt fühlt: Seine Geliebte erzählt ihm, dass sie schwanger geworden ist, die härteste, Thomson nicht gerade wohlgesonnene Kritikerin von Broadway-Aufführungen, hat sich das Stück als Hassobjekt vorgenommen und Riggans Tochter verleibt sich zu allem Übel in Mike – da kann man schon mal die Stimmen des ehemaligen Alter Egos Birdman hören …

Lange, viel zu lange wurde Michael Keaton von den Regisseuren Hollywoods sträflich vernachlässigt und maximal noch für kurze Nebenrollen als fieser Bösewicht besetzt. Dabei gehört der Mime spätestens seit Beetlejuice und seinen darauf folgenden, komplexeren Rollen wie in Viel Lärm um nichts oder Schlagzeilen zu den wandlungsfähigsten und leidenschaftlichsten Schauspielern überhaupt. Nun kehrt er mit Birdman, oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) genau dorthin zurück, wo er hingehört: In die A-Liga der US-Dramen-Darsteller. Als Ex-Schauspieler, der schwer unter einer Midlife-Crisis zu leiden hat und nun ein ernsthaftes Theaterstück inszenieren will, zieht er alle Register seines Könnens und wird dabei auf Schritt und Tritt begleitet. Denn Birdman ist nicht nur aufgrund seines Hauptdarstellers auffallend anders, sondern vor allem wegen der fließenden Inszenierung. Als Zuschauer nimmt man den Film des mexikanischen Filmemachers Alejandro González Iñárritu (Babel, Biutiful) absolut schnittlos war. Die Kamera kreist um die Darsteller, zoomt hinein und hinaus, wandert in die Forschperspektive oder filmt von oben, wechselt die Richtungen – und das alles in einer unglaublich flüssigen Art und Weise. Es wirkt, als wäre das zweistündige Drama in der Tat komplett am Stück gefilmt worden, was Iñárritu durch geschickte Überblendungen realisierte. So besteht sein Werk in der Tat aus vielen einzelnen Takes, von denen die längsten jedoch bis zu 15 Minuten dauerten und viele im Bereich von zehn Minuten lagen. Es ist Kameramann Emmanuel Lubezki, sowie den beiden Cuttern Douglas Crise and Stephen Mirrone kaum hoch genug anzurechnen, dass sie dies so hinbekommen haben, dass der Zuschauer von den Überblendungen kaum etwas merkt. Eine Hauptaufgabe wurde auch dem Coloristen Steve Scott zuteil, der dafür Sorge tragen musste, dass jede Szene selbst nach einem (unsichtbaren) Schnitt farblich perfekt zueinander passte. Wenn man Birdman am Stück sieht, kann man erahnen, was für eine akribische Arbeit und auch Vorbereitung für alle Beteiligten zu leisten war. Denn trotz der Tatsache, dass es Schnitte gibt, sind zehn- bis fünfzehnminütige Szenen alles andere als gewöhnlich. Müssen Schauspieler in anderen Filme manchmal nur wenige Sekunden für einen Take konzentriert sein, sieht das in diesem Fall deutlich anders aus. Deshalb gilt das gleiche Lob, das Iñárritu einheimst (und dafür mit dem Oscar für beste Regie und bester Film ausgezeichnet wurde) auch für seine Darsteller.

Allen voran, wie oben erwähnt, Michael Keaton, der den alternden Schauspieler/Regisseur mit Inbrunst und hart am Rand des Wahnsinns gibt. Dass er dabei von den Stimmen seiner einzig erfolgreichen Filmfigur (nicht zufällig ein Comicheld, wie ihn Keaton in Batman bereits gab) verfolgt wird, intensiviert das Geschehen noch. Aber auch Naomie Watts und Edward Norton leisten Großes: Die anfänglichen „Proben“ zwischen Nortons Mike und Keatons Riggan sind ganz großes Kino. Ebenson übrigens wie eine Schlüsselszene zwischen ihm und Filmtochter Sam (Emma Stone). Als diese ihm vorwirft, dass er sein Leben nur lebt, um Anerkennung zu bekommen, ändert sich daraufhin für Riggan alles. Natürlich ist Birdman, oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) aber nicht nur aus technischer und darstellerischer Sicht herausragend, sondern auch ein grandioser und höchst selbstkritischer Blick auf Hollywood und das Verhalten seiner Kreativen. Das spiegelt sich nicht nur in den real verwendeten Namen verschiedener Schauspieler und deren Rollen in aktuellen großen Kinofilmen wider, sondern vor allem im exaltierten Verhalten der Figuren in Birdman. Der konfrontative Disput zwischen Riggan und Mike, in dem es um dessen Live-Errektion geht, ist ebenso bissig wie sie eine großartige Metapher auf das Filmbusiness ist. Es sind aber nicht nur die Darsteller und Filmschaffenden selbst, die kräftig Federn lassen müssen, auch die Presse und Journalie bekommt tüchtig ihr Fett weg. Wenn der asiatische Pressetyp im Interview praktisch kein Wort versteht, dann aber kurz „Birdman 4“ aufschnappt (einen Film, den Riggan seinerzeit absichtlich abgelehnt hatte) und die falschen Schlüsse zieht, dann steht das sinnbildlich für das Verhalten vieler Pressemitarbeiter, die einfach nur das hören, was sie hören wollen. Vorwerfen kann man Birdman eigentlich nur, dass die 120 Minuten Laufzeit ein wenig gedehnt sind und das Prinzip der flüssigen Inszenierung sich hier und da ein wenig abnutzt.

Bild- und Tonqualität

Das Bild von Birdman, oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) überzeugt mit angenehmen Kontrasten, einer hohen Laufruhe und vor allem mit einer in Close-ups hervorragenden Schärfe und Detailtiefe. Keatons Auftritte als gehörnter Ehegatte offenbaren wahrend der Einstellungen mit dem Weitwinkelobjektiv jede einzelne Hautpore. Die Farben gelangen kontraststark und natürlich ans Auge des Betrachters. Bildrauschen oder Korn sind hier Fehlanzeige.
Der Sound liegt zwar im Deutschen „nur“ in regulärem dts vor, überzeugt aber mit einem äußerst luftigem Filmscore, der schon zu Beginn mit viel Trommelwerk arbeitet, das sich über sämtliche Lautsprecher ausbreitet. Der absolut dialogdominierte Film gibt die Stimmen der Synchronsprecher hervorragend verständlich wieder und die Quelle von Riggans innerer Stimme des Birdman scheint praktisch direkt neben dem Zuschauer zu sitzen.

Bonusmaterial

Im Bonusmaterial von Birdman findet sich das 33-minütige Feature „All Access“, das von der Einschwörung des Teams auf die außergewöhnlichen Dreharbeiten über die Proben vor Ort bis hin zur Arbeit des Kameramanns reicht. Herausragend ist dabei die Ehrlichkeit und Offenheit, mit der Iñárritu und seine Schauspieler den Film und vor allem ihre eigenen Egos beschreiben. Für einen US-Film ist dieses Making-of herausragend interessant geraten. Des Weiteren gibt’s noch eine Unterhaltung zwischen dem Regisseur und seinem Hauptdarsteller sowie eine Fotogalerie mit sehr eindrucksvollen Bildern vom Set.

Fazit

Birdman, oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) muss an dieser Stelle keinen Verriss befürchten – im Gegenteil: Abgesehen von ein paar Längen während der 120 Minuten Laufzeit ist Iñárritus Film höchst innovativ und mutig gefilmt, präsentiert Darsteller in Höchstform und wirft einen bissigen Blick hinter die Kulissen Hollywoods. Dass er dabei noch witzig und tiefgründig ist, dürfte kaum schaden. Allerdings ist Birdman sicher kein Film für Actionfreunde oder solche, die möglichst rasant unterhalten werden wollen.
Timo Wolters


Bewertung

Bildqualität: 80%
Tonqualität (dt. Fassung): 75%
Tonqualität (Originalversion): 75%
Bonusmaterial: 60%
Film: 85%

Anbieter: 20th Century Fox
Land/Jahr: USA 2014
Regie: Alejandro González Iñárritu
Darsteller: Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Andrea Riseborough, Amy Ryan, Emma Stone, Naomi Watts, Lindsay Duncans
Tonformate: dts HD-Master 5.1: en // dts 5.1: de
Bildformat: 1,85:1
Laufzeit: 119
Codec: AVC
FSK: 12

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