Blu-ray Review
OT: Le tout nouveau testament
Die Tochter Gottes, die sechs Apostel und der Ghostwriter
Wenn es nach Jaco von Dormael geht, müsste das Neue Testament mal überarbeitet werden …
Inhalt
Gott lebt mit seiner seiner gelangweilten Frau und der aufmüpfigen Tochter Ea in einem ziemlich schäbigen Bau in Brüssel und misanthropt sich durch sein Leben. Weil er so ein Miesepeter ist, lässt er sich ständig neue Gebote für seine Lieblingsopfer, die von ihm erschaffenen Menschen einfallen. Ob es das Marmeladenbrot ist, das immer auf die falsche Seite fällt (Gebot #2125) oder die Schlange nebenan, die immer schneller vorankommt als die eigene (Gebot #2218). Warum Gott so schlecht gelaut ist, weiß niemand so genau. Selbst sein Sohn Jesus flüchtete irgendwann. Seitdem ist er unter den Menschen unterwegs, um seine frohe Botschaft zu verkünden. Als Ea mal wieder von ihre Vater vermöbelt wird, hält sie es nicht mehr aus: Sie packt ihre sieben Sachen und will abhauen, um sich sechs Apostel zu suchen. Bruder Jesus empfiehlt ihr sogar, dass sie ein brandneues Testament schreiben solle – oder schreiben lassen solle – hat er selbst ja auch nicht anders gemacht. Allerdings nicht, ohne vorher Rache an ihrem Gottesvater zu üben. Das tut sie indem sie sämtlichen Menschen ihr Todesdatum per SMS zuschickt und hernach den göttlichen Computer terminiert. Während die prognostizierte Lebensdauer beim Homo Sapiens für Chaos, Verwirrung oder wahlweise Überheblichkeit sorgt, lernt Ea das Leben kennen …
„Gott existiert, er lebt in Brüssel“ – schaut man sich die aktuellen (Terror)Ereignisse in der belgischen Hauptstadt an, möchte man meinen, dass Gott überall lebt, nur eben nicht gerade dort. Oder aber es ist zu viel Gott da – zumindest so viel, dass religiös motivierte Attentäter gerne ihren eigenen Gott gewaltvoll über einen anderen stellen. Mit solchen Geschehnissen im Bewusstsein würde es eigentlich ein wenig schwer fallen, Das brandneue Testament möglichst unvoreingenommen zu sehen, wenn Jaco von Dormaels Film nicht eine ebenso böse Satire auf Religion wäre wie eine wunderbare Huldigung an das Leben. Schon die Reaktionen der Menschen auf die Ankündigung ihres Todes sind nicht nur vordergründig witzig, sondern auch tiefgründig bedeutungsvoll. Wenn Ea nach und nach ihre sechs Apostel aufsucht und sich von ihnen erzählen lässt, was das Leben für diese bisher bereithielt, dann darf man als Zuschauer durchaus mal bewegt sein. Denn Das brandneue Testament durchzieht eine melancholische Grundstimmung, die exakt den richtigen Ton trifft, um dem Zuschauer zu vermitteln, dass er es hier nicht mit einem billigen Schenkelklopfer zu tun hat. Inszenatorisch teilt sich der Film nach der halbstündigen Eröffnung in sechs Akte (je Apostel einer) auf, die qualitativ nicht zwingend alle auf demselben Niveau spielen, allerdings die ganze Bandbreite unterschiedlicher Lebensgestaltung offenbaren. Herausragend ist sicher das Evangelium von Marc, dessen Bessesenheit des weiblichen Wesens mit einem wunderbaren Ende gesegnet ist. Auch die Story um Killer François gelingt gut – gerade seine Erklärung, warum er auf Menschen schießt, sorgt für eine bittere Note. Dass Catherine Deneuve, die große Dame des französischen Kinos als einsame Martine die abstruseste aller Geschichten bekommt, ist das größte Manko von Das brandneue Testament. In dieser Geschichte wird offenbar, dass frankobelgisches Kino immer auch eine Spur bizarr und skurril ist. Ebenso wie in den manchmal etwas grobschlächtigen Szenen mit Gott, die ein wenig wie ein Fremdkörper wirken. Wenngleich sein Diskurs mit einem Pfarrer in der Kirche vor Sarkasmus trieft und durchaus unbequeme Fragen aufwirft. Benoît Poelvoorde (Mann beißt Hund) jedenfalls gefällt sich gut als fluchender Gottvater mit schmuddeligem Morgenmantel, versifftem T-Shirt und fettigen Haaren. Wenn dann im Finale die brandneutestamentarische Wochenordnung eingeläutet wird und Gott nach Usbekistan abgeschoben wird, weiß man: Die Welt nach Ea mit den 18 Aposteln wäre eine bessere und vermutlich eine, in der Terror keine Wurzeln hätte.
Bild- und Tonqualität
Leicht grau und mit eher durchschnittlichem Kontrast präsentiert sich das Bild von Das brandneue Testament und entspricht damit dem eher melancholischen Ton des Films. Die Bildruhe ist hoch, Rauschen oder Korn sind kein Thema. Nahaufnahmen sind knackscharf und hervorragend aufgelöst (Aurélies Gesicht 37’38).
Während der Ton hauptsächlich von seinen Dialogen lebt, die gut verständlich aus dem Center ans Ohr gelangen, darf die Filmmusik auch alle anderen Lautsprecher frequentieren und ein paar effektvolle Situationen gibt’s auch immer mal wieder (Perlen 34’10). Das spätere Fauchen des Gorilla hätte hingegen etwas mehr Wucht verdient gehabt.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial von Das brandneue Testament finden sich neben zwei Interviews mit Regisseur van Dormael und Hauptdarsteller Benoît Poelvoorde noch ein Making-of und eine knapp fünfminütige Vorher-Nachher-Darstellung der visuellen Efekte. Das Making-of läuft knapp 20 Minuten und
Fazit
Das brandneue Testament beginnt als Religions-Satire und endet in einer Ode an das Leben – wenngleich in einer melancholisch gestimmten. Fans von frankophilem Kino und bösem Humor greifen bedenkenlos zu.
Timo Wolters
Bewertung
Bildqualität: 70%
Tonqualität (dt. Fassung): 65%
Tonqualität (Originalversion): 65%
Bonusmaterial: 40%
Film: 75%
Anbieter: EuroVideo
Land/Jahr: BE/F/LUX 2015
Regie: Jaco von Dormael
Darsteller: Pili Groyne, Benoît Poelvoorde, Marco Lorenzini, François Damiens, Serge Larivière, Laura Verlinden, Catherine Deneuve, Didier De Neck, Romain Gelin, Yolande Moreau, David Murgia
Tonformate: dts HD-Master 5.1: de, en
Bildformat: 2,35:1
Laufzeit: 115
Codec: AVC
FSK: 12